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Friedrich Bodenſtedt's

Geſammelte Schriften.

Siebenter Band.

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Friedrich Vodenſtedt's

Ger ammelte Schriften.

Gesummt- Ausgabe

zwölf Bänden.

Siebenter Band.

Perlin

Verlag der Königlichen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei (R. v. Decker).

Burfirge Dichter. Deutſch von

Friedrich Bodenſtedt.

III. Michail Lermontoff, Kolzoff und Andere.

Vierter Band,

Perlin

Verlag der Königlichen Geheimen Ober- Hofbuchdruderei (R. v. Decker).

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Inhaltsverzeichniß.

Seite

Ismail- Bey, eine morgenländiſche Sage, in drei Theilen, von Michail Lermontoff.

% d ĩ , ĩ᷑ 11 % U :2...2 2.2... 0 une - 45 Dritter Weil iel d Ind ind)» 79 Alexéi Kolzoff: ee A ER TEN ee OL 117 DaB. Brob 2 ͤ ar. . „„ 118 n vanı Were nis, lade 119 Ei am Tiſch allein Nici en. Bl 121 FETT... ²˙¹w:oð-m̃ ̃ ³¹I 7 —Uʃ ER 122 Br o V NV BERN, 125 %% ˙wAA BIREN. 128 . II, 130 Sag worum, warm ER, 131 Heißer glübte mein Herz al HE. ah 8 133 „„ d er e, S ree 137 Lieder von Feth: F oA V... art 143 , / an Pike) 25 144 ahi, einn „„ 145 Golden glühn der Berge Gipff.tet u 146 Flüſtern, athemſcheues LauſcheennNnzß„dn 53 i, . en 148 Aus verſchiedenen Dichtern. Karamſin: Das Lied vom guten Zaren 151 Shukowsky: Nacht ENT eee 153 Delwig: Sang wohl, fang das Vöge lein 154 Dawydoff: ee e , NE mare te 155 —: V a 156 Dimitrijew: a Die Turteltaube und der Wanderenr»n»‚nn 157 Leſ' ich im Liede Deine Liebesthräne n 158 Du kommſt den Friedhof zu durchw anderern 158 Gräfin Roſtoptſchin: Der fand , A RT . 159 / 204 0 » MR hl, 160

Woßkreſſenßky: O frage nicht nach meinem Sarme ... 161 %%% mn d el -

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Ismail Ben.

Eine morgenländiſche Sage von M. Lermontoff.

In drei Theilen.

Erſter Theil.

Ismail Vey.

Aufs Neu der Bruſt, die leblos lang, Iſt die Begeiſterung erſchienen,

Den Gram, der Leidenſchaft Ruinen, Mir umzuwandeln in Geſang.

Dem Paradieſesvogel gleich'

Ich, der im fremden Steppenland, Wohin das Unglück ihn verbannt, Sich einſam wiegt auf dürrem Zweig Hell glänzt ſein himmelblau Gefieder; Ob Stürme heulen, Schnee die Flur Bedeckt: ihn ſtört es nicht und nur Vom Süden ſingen ſeine Lieder.

E

Du greiſer Kaukaſus, ich grüße dich!

In deinem Reich kein fremder Gaſt bin ich:

Haſt mich ſchon früh, in meiner Jugendzeit, Gewöhnt an deine Bergeseinſamkeit.

Und oft ſeitdem durchzogen meine Träume

Mit dir des Oſtens ſonnenhelle Räume.

O, freies Bergland! rauh biſt du, doch ſchön! Altären gleich ſind deine ſteilen Höhn,

Wenn Abends fernher Wolken zu dir fliegen, Bald, blauem Dampf gleich, deine Höhn umſchmiegen, Bald, ſchwanken Federn gleich, auf dir ſich wiegen, Bald, Schatten gleich, an dir vorüberſchweben, Bald graunvoll, wie Geſpenſter, ſich erheben,

(Die man im Traumgeſicht zu ſehen meint) Und nur der Mond vom blauen Himmel ſcheint.

II.

Wie liebt' ich, Berge, eure wilde Schöne,

Die kriegeriſchen Sitten eurer Söhne,

Des Himmels über euch durchſicht'ge Bläue,

Der Stürme graus Geheul, das immer neue, Wenn's von den Höhen, aus den Schluchten tief,

et

Wie eine Stimme zu der andern rief Gleichwie Ablöſungsrufe nächt'ger Wachen.

Und Abends oft ſah ich am Himmelsdach

Dem Ziehn der regenſchwangern Wolken nach Hier: hell umſäumt und roſig angehaucht

Ziehn ſie einher dort: dunkel, rieſiggroß

Steigt's wie ein Zauberſchloß aus ihrem Schoß ... Da fährt ein jäher Windſtoß auf, und wild Zerſtört er, ſchneller als es aufgetaucht,

Das wunderſame, luftige Gebild,

Das, aus der Nacht erzeugt in Nacht entweicht. (Gleichwie zerſtörend Kettenklirren bricht

Durch des Gefongnen nächtlich Traumgeſicht,

Das ihm der Heimatfluren Bild gezeigt)

Indeſſen, weißer als die Gletſcher, flieht

Gen Weſten hoch ein Wölkchen nach dem andern. Ihr heller, leichtbeſchwingter Reigen zieht

Die Abendröthe mit im luft'gen Wandern,

So leicht, ſo ſorglos ſchweben ſie einher,

Als ob ihr kurzes Sein ein ew'ges wär! ..

) Alle wie hier mit Punkten ausgefüllten Stellen ſind von der Ruſſiſchen Cenſur geſtrichen.

III. Wild ſind die Stämme jener wilden echagee

u Kampf / en Kampft alte fie 1 Kämpfend beginnt das Kind, endet der Mann.

Der »Ruſſe« iſt des Kampfes Loſungswort,

Die Mutter ſchreckt damit ihr Kindlein dort; Verzeihung kennt ſelbſt nicht das Kind, das ſchwache, Treu iſt die Freundſchaft, treuer noch die Rache. Kein Blut fließt dort, das ungerochen bliebe,

Doch maßlos wie der Haß iſt auch die Liebe.

IV

Graunvoll find ihre Sagen. Ein Tſchetſchen,

Den durch's Gebirg ich mir zum Führer wählte, Ein alter Inſaß des Kasbek, erzählte | Mir eine ſolche Stammesmär im Gehn.

Er pries die Vorzeit, führte mich des Wegs

Zu dem berühmten Steine Roslam⸗Begs,

Der hoch den krummen Fußpfad überdeckt,

So ſchwebend, ohne Stützen hingeſtreckt,

Als ob die Luft ihn trüge. Moos und Gras Umgrünt ihn üppig, und in ſeinem Schatten, Gleichwie in einem Tempelheiligthume,

Wächſt hoch und lieblich die Erinnrungsblume. Sie blüht und duftet, hat nicht Sorge, daß

Der Stein herabſtürzt auf die grünen Matten.

= 907

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Unter dem alten, moosbewachſ'nen Stein Einſtmals ſaß der Tſchetſchen mit mir allein, Felsgrau umkräuſelte der Bart ſein Kinn,

In ſtillem Sinnen ſchaut' er vor ſich hin... Vielleicht für ſeine Heimat betet er

Ich fremder Pilger wagte nicht zu ſprechen Stumm wie der Greis ragt das Gebirg umher Das Schweigen wagt ich nicht zu unterbrechen.

V.

Bald wild, bald traurig klang, was er erzählt. Ich hab's zum Inhalt dieſes Lieds gewählt. Mag es auch ſeltſam Euch im Norden klingen, Wie ich's gehört, ſo will ich's wiederſingen.

Ich mag es als Geheimniß nicht bewahren

In meiner Bruſt, ich muß es offenbaren.

Nicht um die Gunſt der Menge zu erſtreben Sing ich mein Lied denn kein Verlangen hegt Nach ſolchem Kranz, wer Stolz im Buſen trägt: Geſang und Liebe ſind des Dichters Leben, Das ohne dieſe grau und öde ganz,

Wie nächt'ger Himmel ohne Sternenglanz.

VI.

»Wo tief zu Thale, zwiſchen Kieſeln, Podkumoks reine Waſſer rieſeln,

Wo hinterm Maſchuk!) auferſteht Der Tag, beim Befhtau?) untergeht Unfern den fremden Steppenlanden

Einſt blühende Aoule ſtanden,

Durch keinen Streit und Haß entzweit. In jedem Haus der Wandrer fand

Ein ſchützend Dach und gaſtlich Mahl Noch frei und glücklich dazumal

War der Tſcherkeß im eignen Land. Berühmt durch ihre Schönheit waren Des Landes Töchter weit und breit, Und Greiſe übten, hocherfahren,

Das Richtamt bei der Jugend Streit. Von Luſt erklang der Barden Sang Durch's Land: Sie kannten dazumal Noch nicht der Ruſſen Gold und Stahl!

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VII.

Nie ganz treu iſt das Glück im Bunde, Cas kommt und geht wie Tag und Stunde. Einſtmals, ſchon war der Tag vollbracht, Dicht ſah man rings die Nebel ſchweben, Nacht ward's, doch ſollte dieſe Nacht Den Menſchen keine Ruhe geben. Die Heerden bang die Erde ſcharrten, Die hohen ſchweren Arbas!) knarrten, Die Burka“) umgethan, die warme, Saßen die Männer ſtumm zu Pferde, Geſchäftig die Piſtolen ladend Und jede Mutter bielt im Arme Ihr zitternd Kind, mit Angſtgeberde Sich und ihr Kind in Thränen badend Was man nicht mitnahm aus dem Land, Ward aufgethürmt und dann verbrannt. Die nächſte Morgenſonne zeigte Davon noch Aſche, Trümmer nur, Und als der Wind den Nebel ſcheuchte, Den dicken, von der feuchten Flur, Sah man rings um die Berge her Nur wüſte Häuſer, wüſtes Land, Drauf einen Reſt von Feuerbrand, Und friſche Räderſpur nichts mehr.

F. Bodenſtedt. VII.

en VIII.

Doch was hat dieſen Stamm verſucht, Fort aus der Väter Haus zu ziehn, Und nächtlich, in freiwillger Flucht, In fremde Wüſtenei zu fliehn?

Hat Muhammed ihm vorgeſchrieben Sein Schickſal, und den Stamm vertrieben? Nein! eine andre Unglückshand Vertrieb den Stamm aus ſeinem Land: Ein fremdes Kriegsheer zog heran,

An Macht und Stärke unermeßlich, Und machte Alles unterthan

Auf feinem Weg, und hauſte gräßlich.

IX.

Und Jahre kommen, Jahre ziehn,

Fünf Jahre ſchon ſah man entfliehn, Und an dem feindlichen Geſchlecht

War noch die Unbill nicht gerächt.

Im Hochland ließ nach langem Lauf Der flüchtige Tſcherkeß ſich nieder,

Und baute neue Hütten auf,

(Davon ſchon lang die Spuren wieder Verſchwunden). Nur an Kampf und Streit Dachte das Volk zu jener Zeit,

Und Alt und Jung nach Rache dürſten.

Roslam-Beg hatte mit den Fürſten Und ihren kriegeriſchen Horden

Schon gegen den verhaßten Feind

Zu offnem Kampfe ſich vereint,

Und harrte an des Kuban Borden.

X.

Im Herbſt des Jahrs, in früher Stund, Zwiſchen dem Eifenberge’) und

Dem Schlangenberge, “) wo inmitten Des Krauts, im dicht bewachſ'nen Raum Der ſchmale Weg bemerkbar kaum,

Ein Reiter kam des Wegs geritten.

Zur Rechten und zur Linken, neben Dem Weg und kaum dadurch geſchieden Zerborſtne Trümmer ſich erheben,

Wie Reſte hoher Pyramiden.

Und wie die Blicke weiter wandern, Drängen, einander überſtreckend,

Gewaltge Berge ſich hervor

Doch ſteigt als König aller andern, Durch ſeine Höhe faſt erſchreckend,

Der Beſchtau in die Luft empor.

Er ſtrahlt im Glanz des reinſten Blau's, Und lichte Nebelſtreifen ſchweben

Um ſeine Schultern her, daraus

Fünf weiße Häupter ſich erheben.

IND *

XI.

Noch hatte von den Wieſen nicht

Den Thau geküßt das Morgenlicht,

Und aus den ſchlängelnd wilden Reben, Die den Granitfels hier umgeben,

Noch Silberregen niederträufte,

Sobald der Reiter daran ſtreifte.

Doch plötzlich ſeinen kleinen, zähen Bergrappen hielt der Reiter an,

Und ſcharf umher zu ſchaun begann

Als wollt' er Jemand fern erſpähen.

Bald lockert er des Pferdes Zügel,

Stellt ſich bald aufrecht in den Bügel, Sein Auge ſpäht, die Glieder zittern

Vor Ingrimm, nichts kann er erwittern . Im Zorne ſpringt er ab vom Pferde

Und hält ſein Ohr zur feuchten Erde, Doch mag er noch ſo emſig lauſchen, Nichts hört er, als der Büſche Rauſchen. Stumm war es, öde ringsumher;

Sein Blick ward trüb, ſein Herz ward ſchwer. Er fluchte feinem Mißgeſchick ... f Gern hätt' er zu der Zeit ſein Leben, Die ganze Welt dahingegeben

Für einer nahen Hütte Dampf,

Für naher Pferde Hufgeſtampf.

| | | |

Voir

XII.

Wer iſt der Mann? Ein Ruſſe? Nein! Ein Waffenrock von fremder Art

Hüllt feine ſchlanken Glieder ein,

Und eine Mütze, langbehaart,

Bedeckt den Kopf im Gürtel trägt Er, ſchwarz und golden ausgelegt,

Dolch und Piſtolen an der Seite Sein Degen hängt, der ſcharfe, breite Am Riemen, überm Rücken quer,

Trägt er ſein filzumhüllt Gewehr.

Wehr und Gewand ſind ganz beſtellt

Wie ſich die Bergkoſaken kleiden;

Doch hat kein Andrer ſolch Geſchick, Und wie er ſich im Sattel hält,

Kann man ihn auf den erſten Blick, Leicht von Koſaken unterſcheiden:

's iſt kein Koſak es iſt ein Tſcherkeß!

Ein Mann, von Haltung ſtolz und prächtig,

Jung, aber wie ein Greis bedächtig.

Kein Jugenddrang nach Spiel und Luſt Schwillt dieſe breite Mannesbruſt. Was will er? wer hat ihn geſandt, In dieſes unruhvolle Land?

XIII.

Sein Auge kalt verdeckt, was heiß

Und ſtürmiſch ſeine Bruſt erfüllt,

Wie wenn das erſte dünne Eis

Des Meeres dunkeln Schlund verhüllt Bis zu den nächſten Sturmesſchauern .. Furchtbare Leidenſchaft verſteckt

In dieſer jungen Bruſt ſich tief,

(Wie Löwen in der Höhle lauern,

Bis ſie ihr Opferthier entdeckt

Und wild erwacht, was ſcheinbar ſchlief.) Schien wie ein Stein ſein Herz zu ſein: Der Stahl lockt Funken aus dem Stein!

XIV.

XVI.

XVII.

Wohin mag der Tſcherkeß wohl eilen? Und ſucht er nirgends Ruh und Raſt? Er will nicht raſten, will nicht weilen, Er reitet fort in ſtürmſcher Haſt.

Er treibt ſein zähes Roß und ſchlägt es, Als ob nur wilde Flucht ihn rette;

Schnell wie der Wind der Steppe, trägt es Ihn fort die Nüſter ſchnaubt und ſchäumt, Das Auge glänzt im ſtürmſchen Lauf.

Bald ſteigt die vielgeſpaltne Kette

Des Hochgebirges vor ihm auf,

Endlos von Schnee und Grün umſäumt. Und über alle Berge hoch

Der Elborus zum Himmel ſteigt,

Sein Doppelhaupt von Schnee gebleicht. Der Reiter ruft: »Ein Stündchen noch Geduld, dann hab' ich ihn erreicht

XVIII.

Vor ihm erheben ſich die nackten Felswände, ſchauerlich, doch ſchön Bald hell und glatt vom Fuß bis Oben, Bald ſchwarz, in Formen, rauhgezackten, Seltſam zerklüftet und verſchoben,

Bald licht verſchwimmend in den Höhn... Schon längſt verfloß die erſte Stunde, Noch iſt der Reiter nicht am Ziel;

Die Berge ſchimmern in der Runde

In wechſelvollem Farbenſpiel.

Vor Zorn der Reiter ſelbſt erbleicht,

Wie ferner ſtets das Ziel ſich zeigt.

Das müde Pferd kann kaum noch weiter; Nah iſt's vor Sonnenuntergang,

Schon bläſt der Abendwind dem Reiter Kalt in's Geſicht am Bergeshang Wird's dunkler, nur die Kuppen glimmen Und roth im Abendroth verſchwimmen Den Schattberg !) kann er mit den beiden Schneekuppen nicht mehr unterſcheiden. |

XIX.

Doch unaufhaltſam weiter ſteigt

Er auf, ob's rund auch ſchauerlich,

Hat bald der Berge Rand erreicht,

Wo zwiſchen hohen Kuppen ſich

Der Weg verliert, Geſtrüpp-durchſchlungen

Und, ob von Schaum bis an die Ohren Bedeckt, hier athmet wieder leicht

Sein müdes Roß; der Reiter ſtreicht Das treue Thier und ganz verloren In alter Zeit Erinnerungen,

Blickt der Tſcherkeß umher im Land, Aus frührer Zeit ihm wohlbekannt. Sein Auge wird von Thränen naß, Und auf ein Kurzes flieht der Haß

Der ſchwer auf ſeinem Herzen drückt, Der Kindheit Zauberbilde weicht er, Das vor ihm aufſteigt, ihn beglückt Sein Auge ſtrahlt, ſein Herz wird leichter;

So freundlich ſchaut er rings darein,

In der Erinnerung verloren,

Als ſei er ſtolz, Tſcherkeß zu ſein; Stolz auch, daß ihn dies Land geboren, Der unbeugſamen Felſen einen Und wie die Jugendzeit in reinen Gebilden ihm vorüber gleitet,

Vergißt er Alles, was das Leben Ihm Trübes, Schreckliches bereitet, Vergißt er auch ſein dunkles Streben, Vergißt die Freunde, wie die Feinde, Ein Herrſcher dünkt er ſich der Welt, Die Liebes, Schönes nur enthält.

Er gleicht der jungen, frohen Braut, Die ihren Liebſten wiederſchaut,

Und glaubt, daß ſie die ganze Welt Mit ihm in ihren Armen hält.

Im Glanz der Abendröthe ftreben

Hochauf die Kuppen ſteil und kahl,

Bergab die grauen Nebel ſchweben

Hinunter in das enge Thal.

Und tiefes Schweigen herrſcht kein Schall Ertönt, als Roßhufwiederhall.

Ein feiner Duft zieht durch die Luft;

Die halbverblühten Blumen ſchließen

Die Kelche zu, um nächtge Ruh,

Wenn auch bewußtlos, zu genießen ... Schon iſt, bei hellem Sternenſchein

Der Abend ganz hereingebrochen;

Aus tiefzerklüftetem Geſtein

Kommt eine Schlange angekrochen.

Sie ſpielt und hebt ſich bleibt dann träge Sich krümmend, liegen auf dem Wege.

Hell glitzert in der Sterne Strahl,

Wie ſich die Schlange krümmt und windet, Die bunte, glatte Ringelhaut,

Gleichwie die Klinge eines Dolches,

Oder ein Panzerhemd von Stahl,

(Wie nach der Schlacht man oft noch ſolches Verloren auf der Wahlſtatt findet)

Beim Schein des Mondes angeſchaut.

XXI.

Spät iſt's zur Nacht; der Reitersmann Thut ſeine breite Burka an.

Dort, wo das Baumgeſtrüppe dicht

Den Weg verſperrt, bäumt ſich das Pferd, Und ſchnaubt und tobt, und will nicht weiter. Schnell aus dem Sattel ſpringt der Reiter, Und wie er ſich zur Seite kehrt,

Sieht er mit ſtaunendem Geſicht

Zu Füßen einen Abgrund gähnen,

Darin ein Gießbach brauſend ſchäumt Das war's, warum das Pferd gebäumt Und bang geſträubt die ſchwarzen Mähnen. Und zweifelnd ſtand der Reiter lange

Am abgrundtiefen Felſenhange,

Und wußte nicht mehr ein, noch aus Da plötzlich, fern im nächtgen Graus Entdeckt er eines Lichtes Schimmer,

Das, wie er ausſpäht, näher immer

Zu kommen ſcheint auf's Neue ſchwingt Er ſich aufs Pferd, und ohne Ruh

Treibt er das Thier der Gegend zu, Woher das Licht ihm flackernd winkt.

XXII.

Bald ſollt' er nun am Ziele ſein Und finden was er lang geſucht Es war kein trügeriſcher Schein, Der ihn gelockt in jene Schlucht.

Durch einen Hügel halb verſteckt,

Zwei weiße Häuschen ſieht der Reiter, Das platte Dach hoch überdeckt

Mit dicken Bündeln Stroh und Kräuter. Der kalte Herbſtwind pfeift und ſingt, Spielt mit den Halmen, mit den Stengeln, Die rings vom Dache niederſchlängeln.

Ein breiter Hof das Haus umſchlingt.

Der Zaun von Pfählen und von Zweigen Kunſtvoll geflochten und gezimmert,

Schon halb verfallen; tiefes Schweigen Herrſcht ringsumher; im niedern Haus

Mit mattem Schein ein Lichtchen ſchimmert, Der Rappe wiehert, ſtampft die Erde

Und weckt das Wiehern andrer Pferde; Bald tritt ein Mann zur Thür heraus, Der Hausherr ſelbſt: „Schickt der Prophet Noch Gäſte in der Nacht ſo ſpät?

Wer iſt da?« So die Frage ſchallt.

»Ein Fremder!« ſcholl die Antwort bald. Das Wort genügt, er fragt nicht weiter, Der heilig noch die alte Sitte,

Die gaſtliche der Väter, hält ... Begrüßend naht der Wirth dem Reiter, Dem müden, von dem langen Ritte,

Und ſorgt, daß Obdach ihm beſtellt; Nimmt das Geſchirr vom Pferde ab

Und führt es ſelbſt zum Stall hinab.

a XXIII.

Nun heißt der Wirth den Gaſt willkommen An ſeinem Herd, reicht ihm die Hand; Bald iſt ein Feuer angezündet,

Wo Beide traulich Platz genommen.

Der Schmuck im Zimmer an der Wand Ringsum, dem kund'gen Aug' verkündet Des Bergſohns Reichthum: Pfeile, Flinten, Dolche, mit Koranſchrift verziert,

Ein weiß Baſchlik') im Winkel hinten, Und, zwiſchen Sattelzeug und Burka,

Die Peitſche. Das Geſpräch verliert Der Beiden ſich in alte Zeit,

Sie ſprechen von der Herrlichkeit,

Und Freiheit frührer, beſſrer Tage,

Und führen ob der Jetztzeit Klage. Lebendig fließt das Wort vom Munde Dem Greis und ſeinem jungen Gaſt;

Sie achten nicht der ſpäten Stunde,

Sie denken nicht an Ruh und Raſt.

Des jungen Gaſtes Worte ſchlugen Gewaltig an des Greiſes Herz,

Bald Schmerz, bald Freude weckend, trugen Sie ihn gen Oſten, heimatwärts.

A

Er war ein Lesghier. Früh verbannt Von Vaterhaus und Heimatland, Hatt' es ihn weit umhergetrieben Bis er ein Obdach hier gewann.

Vier Kinder wuchſen ihm heran:

Drei Söhne und ein Töchterlein;

Es ward im Kreiſe ſeiner Lieben

Ihm leichter der Verbannung Pein.

Vom Raube lebt ſein ganzes Haus:

Sobald der Himmel ſeine Sterne

Anzündet, ziehen in die Ferne

Auf Beute die drei Söhne aus,

Und Furcht und Graun folgt ihren Schritten. Sie plündern, nehmen, wo es geht,

So fehlt es nie an Speiſ' und Trank,

An Hirſe, Hafer, Wein und Meth.

Der ſcharfe Dolch hilft ihnen bitten,

Die Flintenkugel giebt den Dank.

Sie jagen auf geraubten Pferden,

Gefahr iſt ihnen lieb und Plage,

Und unbegrenzt ihr Reich auf Erden Furcht haben ſie nur vor dem Tage! »Heut ſprach der Greis von meinen Lieben Iſt nur der Aeltſte heimgeblieben.«

Doch kaum noch hört der Gaſt den Wirth, Verſteht nicht mehr, was er ihm ſagt,

Sein klares Auge blickt verwirrt,

Kaum daß er noch zu athmen wagt,

Er wußte nicht wie ihm geſchah,

Denn plötzlich, wie geſandt von Oben, Stand eine Jungfrau vor ihm da,

Aus Erd- und Himmelsreiz gewoben.

XXV.

Wie eine Peri war ſie ſchön und rein

Und wer, der ſie geſehen, ſpräche: nein!

Und wer, der ſolch ein weiblich Wunder ſieht, Wie es durch unſre erſten Träume zieht, Wie's einmal nur an uns vorüberflieht Wer unterſchiede nicht die Himmelsſpuren

Im ſüßen Zauber dieſes Augenlichts,

Im ſelgen Lächeln dieſes Angeſichts,

Von nichtger Schönheit irdiſcher Naturen?

Des Weibes Hoheit von des Weibes Roheit! Und wer auch ſagt, entzückt von ſolchem Weibe: Ein kaltes Herz in einem ſchönen Leibe!

Wenn plötzlich ſtrahlend in der Reize Fülle Die vor ihm ſteht, die aller Erdenhülle

Er frei geglaubt, und die nur auf der Erde Erſchien, daß ſie ein Troſt den Menſchen werde! Tritt prüfend er zum Zauberbilde hin:

Erkennt ſein Auge leicht die Lesghierin;

Aus ihren Zügen ſtrahlt ihm irdſche Glut, Durch ihre Wangen flammt des Oſtens Blut. Doch kaum tritt fern ſie wieder dem Geſicht, So traut er ſeinen eignen Augen nicht,

So weiß er ſelbſt nicht mehr wie ihm geſchehn, Und zweifelt ſelbſt an dem, was er geſehn.

32

XXVI.

Holdſelig, einer Peri gleich,

Voll Erden- und voll Himmelsſchöne,

Und lieb wie wenn in fremdem Reich, Wo wir die Sprache nicht verſtehen,

Uns plötzlich heimatliche Töne,

Dem Ohr ſo traut, entgegenwehen

So lieb wie Duldern im Gefängniß Wohl auch durch Kummer und Bedrängniß Das Lied des freien Vögleins klingt,

Das draußen in den Zweigen ſingt

So troſtmild ſtand mit heitrer Miene

Die junge Sara am Kamine:

Das Köpfchen halb zur Bruſt geneigt, Sonſt ſtolz von Haltung, frei und leicht, In ihrem Anzug ſchlichter Art

Geſchmack und Einfachheit gepaart.

Ein enganliegend Tuch umſchlang

Den Kopf, wie zu des Haarſchmucks Zwang, Draus feſſellos zwei Locken drangen,

Die dunkel über beide Wangen

Bis auf die weiße Bruſt ſich ſchlangen .. Schon iſt es Zeit man ſieht's ihr an Die dunkeln Haare aufzuſchlingen,

Hübſch Ordnung in den Putz zu bringen O, man erkennt das Weib daran!

e

XXVII.

Das Händchen zitterte der Maid, Als mit der Haſt der Schüchternheit Sie das beſcheidne Nachtmahl jetzt

Dem alten Vater vorgeſetzt.

Sie lächelte und wollte gehn,

Und blieb doch ſchwankend wieder ſtehn, Als ob ſie Scham und Neugier quälte, Hoch hob ſich ihr die junge Bruſt ... Sie hätte gar zu gern gewußt

Was wohl der fremde Mann erzählte. Doch ſchwieg er ſelbſt nun, und im Zimmer Umher, vom Wandſchmuck angezogen, Verlegen ſeine Blicke flogen.

Sie traf zuletzt des Auges Schimmer, Und ſo durchdringend, daß ſie faſt

Vor ſeinem tiefen Blick erbangte.

Doch, trotz dem Vater, blieb ſie ſtehn In ſtummer Neugier es verlangte Sie, mehr zu hören, mehr zu ſehn

Von ihrem jungen, fremden Gaſt.

Doch dieſer wurde ſelbſt verlegen,

Und ſchwerer ward es ihm zu ſprechen. Er ſchlug die großen Augen nieder

Und hob ſie lang zu ihr nicht wieder Empor was mag in ihm ſich regen? Durch Lächeln ſucht er und durch Scherzen Seine Verlegenheit zu brechen,

Doch kam dies Lächeln nicht von Herzen!

F. Bodenſtedt. VII.

34

Sich häufig unterbrechend, ſetzt

Er mühſam ſeine Rede fort,

Und lächelt wieder und zuletzt

Stockt auf der Zunge ihm das Wort. Das kalte Lächeln im Geſicht,

Das ſchwer erzwungne, ſteht ihm nicht. Er ſchweigt und leid iſt ihrs darum; Sie ſeufzt und weiß doch nicht, warum? Er hatte Anfangs doch ſo traut,

So voll herzinniger Bewegung

In's dunkle Auge ihr geſchaut,

Und ſie erwiederte die Regung,

Und wandte lieb den Blick auf ihn,

Als wollte ſie aus ſeinen Augen Geheimnißvolle Antwort ſaugen

Und jetzt? Was iſt mit dem Tſcherkeſſen? Sein Aug' erwiedert nichts! ihr ſchien Als hätt' er plötzlich ſie vergeſſen.

War ihm der Blick nicht angenehm?

Iſt Sara's Näh' ihm unbequem? Verwirrt es ihn ſie anzuſehen?

Genug, genug! zum zweiten Mal

Fragt fie ihn nicht fie muß ſchnell gehen.

BE

XXVIII.

Wer in der Welt ſich viel bewegt,

Die Sitte kennt in fremdem Land Der Leidenſchaften Spuren trägt,

Mit ihrer Sprache auch bekannt; Wer früh ſich hingeriſſen fand

In's ſogenannte „große Leben, «

Wo er gelernt, mit ſeiner Hand

Nicht auch ſein Herz dahinzugeben: Dem mag es wenn er ſonſt beachtet Von Damen iſt, und leicht gefällt Dem mag's auch leicht geſchehn, daß er Die Neigung einer Frau von Welt Nicht grade als ein Glück betrachtet. Doch dem Naturkind gegenüber

Iſt er der alte Menſch nicht mehr, Stimmt ihn die Liebe ernſter, trüber Er ſchämt ſich, fürchtet ſich zu ſcherzen Mit einem einfach - wilden Herzen,

Und wird der Jungfrau zart Begegnen Oft kalt, mit Thränen gar entgegnen. Für ſündhaft hält er Küſſen, Schmeicheln, Unmöglich iſt es ihm zu heucheln.

Es hat das Herz noch nicht genug

Am Leide, das es mit ſich trug

Aus frührer Jahre ſtürmſcher Zeit Sich einzubilden macht ihm Leid,

Daß für fein Feuer keine Nahrung ...

3 *

Leicht halten ſolche Menſchen Alles In ihrer Herzenswelt Erfahrung

Für lauter Zeichen tiefen Falles,

Für lauter Sündenoffenbarung. Unfähig ſind ſie der Verführung, Doch leicht zugänglich tiefer Rührung; Und, iſt ihr Herz in vollem Brand, Voll unbefriedigter Gelüſte:

So glauben ſie in fremdem Land,

In wilden Bergen, in der Wüſte, In ſchattger Thäler Einſamkeit,

Am Ort, wo ſie die Jugendzeit Verlebt, den Qualen zu enteilen, Sich zu befrein, ihr Herz zu heilen. Umſonſt! es ſchleppt auf jedem Schritt Sein Weh und ſeine Feſſeln mit.

XXIX.

Verſchwunden ſchon aus dem Gemach War Sara lange ſah ihr nach Der fremde Gaſt, und in ſich ſprach: »Biſt kaum den Kinderſchuhn entgangen N »Und kennſt ſchon Thränen, und Verlangen »Iſt ſchon im jungen Buſen wach? »Kraftloſes, helles Abendlicht,

»Glüh' auf der dunkeln Wolke nicht: »Es wird auf ihr dein letztes Funkeln, »Dein letztes Leuchten ſelbſt verdunkeln.

.

XXX.

»Du kennſt mich noch nicht, ſüße Maid! »Dem wilden Kampf, der Männerſchlacht, »Und nicht der Liebe ſtiller Macht

»Iſt vom Geſchick mein Herz geweiht. »Ich könnte wohl mit ganzer Glut

»Dich lieben doch in höhrer Hut »Stehſt du und ich ... ich muß dich laſſen. »Darf dieſe blutbeſprengte Hand

»Dein reines, zartes Händchen faſſen? »Dich dieſer Arm umſchlingen, und

»In dir die Glut der Liebe ſchüren? »Und darf mein fluchgewohnter Mund »Je deiner Roſenlippen Rand | »Entheiligend im Kuß berühren? «

3

XXXI.

Schon bricht der Morgen an es iſt Zeit! Vom Schlaf erwachte der Tſcherkeß

Und machte ſich zum Weg bereit.

Sein greiſer Gaſtfreund unterdeß

Blies auf dem Herd die Flamme an, Bereitete von Hirſe dann

Den Morgenimbiß ſagt ihm auch Wo er die beſten Wege reitet.

Zur morſchen Schwelle dann geleitet

Er ihn nach feinem alten Brauch... Zerſtreut, nachdenkend ſtand am Thor Der Gaſt, den Blick voll Traurigkeit; Er dachte an die junge Maid

Doch: Wer führt ihm den Rappen vor?

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XXXII.

Schau! Sara ſelbſt führt ihm das Pferd Vom Stall her, ſchüchtern und verlegen, Und richtet dann, zu ihm gekehrt,

Die leiſen Worte ihm entgegen:

»Hier iſt dein Roß, ſteig in den Bügel! Ich habe Sattelzeug und Zügel

Mit eigner Hand ihm angethan.

Die Arbeit hat mich nicht beläſtigt, Dergleichen iſt nicht neu für mich.

Die ſchwarze Burka habe ich

Dir überm Sattel her befeſtigt.

Sieh nur das Thier, wie ſchimmern dran Die Silberſchuppen vom Kuban!

Sieh, lieber Fremder, nichts gebricht! Ein prächtig Pferd! das ſcheut gewiß Im Lauf vor Fels und Schluchten nicht. Welch' ſtolze Haltung, welch' Gebiß!

Ob auch aus fremdem Lande ſtammt Dein Pferd, aus ſeinen Augen flammt Doch eine wilde, ſtolze Glut!

Sein Rücken iſt ſo glatt und rein,

Wie in dem Bergſtrom kaum ein Stein Geglättet von der ſtarken Flut.

Dem kleinſten Wink gehorcht es flink. Ich hab's geſtreichelt, ihm geſchmeichelt, Daß es dich treu und ſicher trage

Durch Berge und durch Steppenland, Dich ſchütze vor der Feinde Hand,

Vor Dolchesſtich und Unglücksſchlage.«

XXXIII.

»Droht Sturm und Wetter: ſchneller ſchmiegt Der Reiter ſich auf's Pferd und fliegt Einher in ungeſtümer Haſt.

Wer weiß, o junger, fremder Gaſt!

Wer weiß, es kommt vielleicht ein Tag, Wo dir im Innern leis Erinnern

An uns, an mich erſtehen mag!

Und denkſt du mein in froher Zeit,

Beim Klang und Lärm der Feſtgelage: Verſcheuche die Erinnrung weit

Von deinem Blick, wie eine Plage!

Doch wenn dein Herz voll Traurigkeit,

Der Schlaf dich flieht dein Auge weint, Und dann mein Bild vor dir erſcheint:

So halt es feſt o hör' mein Flehn! So laß es tröſtend vor dir ſtehn,

Und denk dabei: auf Wiederſehn!«

XXXIV.

Wohl klein iſt unſer Aufenthalt,

Doch ſicher vor des Feinds Gewalt.

Nie ſind wir hier durch Feindestücke Beraubt, bedroht, geängſtigt worden Was ſollten auch die Ruſſenhorden

Uns nehmen? Unſre Kleidungsſtücke?

Ein halb Dutz Pferde? ... Traue mir, O Fremdling! ſage mir, wohin

In ſolcher Haſt dich treibt dein Sinn? Was ſuchſt du fern? O, bleibe hier! Bleib hier im Kreiſe meiner Lieben.

Ich ſeh dir's an, o fremder Mann,

Du biſt ein Flüchtling, biſt vertrieben Vom heimſchen Herd und heimſchen Glück, Wie ſo viel andere Tſcherkeſſen,

Haſt deine Sprache gar vergeſſen

Was treibt dich in dein Land zurück? Was iſt's, das dort dein Herz noch hofft? Wohl predigt uns der Vater oft,

Daß wir uns willig, ohne Grollen,

Iſt's an der Zeit mit Herz und Hand Dem Vaterlande opfern ſollen,

Dem Vaterland, das uns geraubt!

Doch da nur iſt mein Vaterland,

Wo man mich liebt, wo man mir glaubt! «

wu, ak XXVV.

»Noch liegt der Nebel rings umher, Der Bergespfad iſt ſo beſchwerlich, Die Morgenkälte dir gefährlich.

O, einen Tag noch bleibe hier,

Nur eine Stunde noch, nicht mehr! Ein einzig Stündchen bleib bei mir. Ich will dein Pferd abſchirren, pflegen Mit Trank und Korn, laß ſich's noch legen. Du aber ſetz dich her zu mir,

Stütz deinen Kopf auf meine Hand

Es iſt ſo traut, ſo lauſchig hier!

Noch einmal laß an deinem Munde

Mich hängen horchen unverwandt

O, halt das Glück mir nicht zurück!

Sprich, oder willſt die ſchwere Stunde

Des Scheidens mir noch mehr verbittern?« Und Sara ſtand in Angſt und Zittern,

Und harrt, daß er auf ihre Frage

Ein Wörtchen nur zur Antwort ſage

Wird er den Wunſch ihr nicht erfüllen? Vergeblich wartet ſie: er ſchweigt.

Sie kann ihr Wehe nicht verhüllen:

Ihr Auge wird von Thränen feucht.

Doch ach! er bricht ſein Schweigen nicht Schon ſchwingt er ſich auf's Roß, bereit Davonzujagen doch dann dreht

Er plötzlich ſeinen Rappen wieder,

Neigt freundlich ſich zu Sara nieder,

Zu lindern ihre Traurigkeit,

Ihr zu gewähren was ſie fleht.

_ AXXVI

» Du mußt mich nicht ſo grauſam wähnen, Sara! was willſt du von mir Thränen? Mein Aug' war viel von Thränen feucht, Aus Neid hat ſie die Welt verſcheucht.

Doch paßt ſolch dunkles Loos wie meines, Nicht für ein liebend Herz, wie deines! Allein als Sklab, als Herrſcher ſtehn

Will ich allein auch untergehn ..

Was mir das Leben Liebes bot

Hab ich als Opfer dargebracht

Mein Hauch iſt aller Freude Tod,

Und Schonung nicht in meiner Macht Wohl keinen ganz geringen Mann,

(Laß ich als ſolchen auch rich an)

Siehſt du Sara! du ſiehſt in mir

Den Bruder Roslam⸗-Beg's vor dir! Mein Glück gab ich dahin als Opfer, frei... O klage nicht darum, verzeih, verzeih! —«

XXVXVII.

Sprach's, winkte mit der Hand, und fernher ſchon Scholl, kaum vernehmbar, Roßhufwiederhall f

Und ſtarr und ſtumm horcht ſie dem fernen Schall,

Ihr Geiſt, Gefühl, Bewußtſein war entflohn, |

Als ob mit jenem dumpfen Roßhuffchalle

Ihr Herz, all ihrer Zukunft Glück verhalle.

O Sara, Sara! denke ſein nicht mehr!

Zurück aus deinen ſchönen Träumen wandre

Dein Auge iſt ſo voll, dein Herz ſo leer, -

Ein Augenblick dir ſchwerer als der andre. u S9 O nähre nicht den Schmerz, laß ihn vergehn 2 © Den ganzen Tag blickt ſie hinaus in's Land

Wo ihrer Liebe heller Stern verſchwand

Und in der lichten Abendwolken Ziehn,

Allüberall glaubt ſie ſein Bild zu ſehn.

Und Nachts im Schlaf bei jeglichem Geräuſche

Schnell ſpringt ſie zitternd auf, erwartet ihn,

Und ſpäht, bis fie gewahrt, daß fie ſich täuſche .

So ſieht man wohl ein Meteor aufflammen,

Es ſcheint zu nahn und bricht in Nichts zuſammen.

Zweiter Theil.

J.

In trüber Flut brauſt der Argun durch's Land, Des Winters Feſſeln ſind ihm unbekannt,

Nie unter Eiſesdruck ward er gebeugt,

Denn ſelbſt von Eis und Schnee ward er gezeugt, Der keck aus ſeinen Silberwindeln ſprang

Auf ſteilen Höhn, wo ſelbſt der Gemſe bang. Ein derb Naturkind, treibt er ſeine Flut

In kindlich frohem, lautem Uebermuth

Bald rauſcht er hüpfend zwiſchen hohem Gras, Bald krümmt er ſich, und wie gebognes Glas Durchſichtig, in den Abgrund ſtürzt er, bis

Er ganz verſchwunden in der Finſterniß.

Hier über'm Schlund, wohin ſein wilder Lauf Treibt, girrend fliegt ein Schwarm von Tauben auf. Und aus den ſtrauchbewachſ'nen Wänden drängen Steinblöcke ſich hervor, und drohend hängen, Erwartend, daß das Flutgetös verhalle,

Um in das Flußbett dann zu ſtürzen alle,

Die Fluten zu begraben in dem Falle. Vergebens warten ſie die Woge ruht nicht, Und aller Steine Sturz begräbt die Flut nicht: Wird ein Weg ihm verſperrt: zu einem andern Bricht der Argun ſich Bahn, fürbaß zu wandern.

II.

III.

IV.

Roslam-⸗Beg hatte einſtmals einen Bruder, Davon man jetzt noch ſingt und um ihn trauert;

Nicht unter ſeidner Perſerdecken Pracht Ward Ismail geboren um ihn wacht! Kein weiblich Weſen in der dunklen Nacht, Einlullend ihn mit kindestrautem Klang. Der Stürme Heulen war ſein Wiegenſang. Als er zum Erſtenmal den Blick erhob, Ein Ungewitter ihm entgegenſchnob.

In dunkler Höhle feuchter Lagerſtatt, Wohin ſein Vater ſich mit ihm gerettet Vor feinem Mörder⸗Bruder Bey⸗Bulät, Ward Ismail als zartes Kind gebettet. Und wieder ein Verfolgter war er, da Zum Erſtenmal das Licht er wieder ſah.

V.

Von früh an hielt er ſich für überflüſſig

In dieſer Welt des Lebens überdrüſſig

War er, und ob noch rein von Herz und Händen

Hub er ſein Leben an, wie's Viele enden:

Durch ein Verbrechen. Fremd der Mutterliebe

Fand er als Kind kein Herz ſich anzuſchmiegen,

Blieb unerſchloſſen jedem zarten Triebe;

Ließ ſich von kühlen Abendwinden wiegen;

Nachts war der Mond ſein einz'ger Spielgenoß.

So zwiſchen Erd' und Himmel ward er groß.

Bedürfniß, Sorge war ihm unbekannt.

Er war gewohnt im rauhen Bergesland

Zu ſehn, wie unter ihm die Wolken zogen,

Und über ſich den blauen Himmelsbogen.

Und ſeine jugendlichen Spiele theilten

Die Adler nur, die oben mit ihm weilten.

Es war fein Herz voll starker Leidenſchaft,

Voll wilder Glut und ſtarker Willenskraft. Des Südens Stürme brachen ſich darin,

Erſchütterten und ſtählten feinen Sinn ..

Vom Vater ward Ismail, jung an Jahren

Noch, in das ferne Türkenland geſandt:

Seitdem hat man nichts mehr von ihm erfahren.

VI.

Durch Berge vor der Sonne Strahl Geſchützt, dehnt ſich ein blühend Thal Drin liegt, am Stromesufer dort, Inmitten hochbewachſ'ner Räume

Ein wirthlicher Tſcherkeſſenort.

Die Häuſer ſtehn in bunter Reihe (Jedwedes Haus für ſich allein)

Im Schatten alter Mispelbäume.)

Zur Sommerzeit, in Mittagsglut, Wenn's vom Kamine wirbelnd dampft, Die Kinderſchaar voll Uebermuth

Im Spiel und Lauf das Gras zerſtampft, Und der Tſcherkeß ermüdet ruht, Derweil geſchäftig ſeine Frau

Das Feuer ſchürt, den Löffel ſchwingt, Auch wohl ein Lied zur Arbeit ſingt Von ihrem fernen Heimatgau | Es ziehn durch des Tſcherkeſſen Träume All ſeiner Heimat traute Räume;

Dort duftger iſt die grüne Au,

In hellern Perlen glänzt der Thau, Der Himmel iſt ſo rein und blau

Es ſpannt ſich hoch der Regenbogen Weit über alle Wolken weg,

Von einem Felſen zu dem andern

Wie eine Brücke hingezogen,

Ein luftger, wunderbarer Steg,

Drauf nur Peris und Dſhinnen wandelten ..

Hier hat auch ſeine junge Hand Zuerſt der Armbruſt Schnur geſpannt.

VII.

Die Tage flohn. In Luſt begann

Der Beiram'?) Alles umzuwandeln.

Es ließ der Mullah den Koran,

Um froh nach eignem Sinn zu handeln

Das war ein Jubel, eine Pracht,

Ein Feuermeer die ganze Nacht!

Um die Moſchee, in vollem Glanze,

Und von den Bergen nah und ferne,

Flammt es in lichtem Strahlenkranze, Wie über Wolken helle Sterne..

Die Sterne ſchaun vom Himmel nieder Und finden ſich auf Erden wieder.

Der Mond allein muß einſam gehn

Auf ſeiner Himmelsbahn, der blauen,

Sieht keinen andern Mond erſtehn,

Mag er auch noch ſo ſchmachtend ſchauen.

F. Bodenſtedt VII.

VIII.

Das Rennen, Schießen, Tanzen war Des Feſtes, lange ſchon beendet;

Nacht herrſchte rings. Im trauten Kreiſe Am Feuer ſtanden ernſte Greiſe,

Und um ſie her in heimſcher Weiſe

Der jungen, kühnen Männer Schaar, Dem fremden Sänger zugewendet,

Der auf dem Stein allein dort ſitzt.

An ſeinem Leib kein Waffen blitzt,

Denn Wehr und Waffen braucht er nicht: Er fürchtet Räuber nicht und Dränger, Sein einzig Gut iſt ſein Gedicht.

Ob arm er leidet keine Noth!

Er hat kein Gold doch hat er Brod, Und Stolz hat er er iſt ein Sänger! Ein Sohn der Steppe, in der Gunſt Des Himmels reich in ſeiner Kunſt. Jetzt hebt er an: es zittern ſchon,

Von ſeiner Hand berührt, die Saiten; Wild, einfach, in lebend'gem Ton, Singt er ein Lied aus alten Zeiten:

IX.

Tlcherkelülches Lied.

»Aus der Bergmaid Augenpracht Strahlt beſtirnte Mitternacht; Schön iſt's hier ſich zu beweiben, Aber beſſer frei zu bleiben! Freie nicht, du kühner Burſch! Nimm zum Weib dein Schwert Für das Brautgeld, kühner Burſch, Kaufe dir ein Pferd!

»Wer ſich in der Ehe quält, Hat ein ſchlechtes Theil erwählt: Wahret ängſtlich ſeines Leibes, Denn es jammert ihn des Weibes! Freie nicht, du kühner Burſch! Nimm zum Weib dein Schwert Für das Brautgeld, kühner Burſch, Kaufe dir ein Pferd!

»Wie ſo treu das Pferd von Sinn, Fliegt mit uns durch Dick und Dünn, Trägt in Luſt und Leid uns gerne, Macht zur Nähe uns die Ferne! Freie nicht, du kühner Burſch! Nimm zum Weib dein Schwert Für das Brautgeld, kühner Burſch, Kaufe dir ein Pferd le

4 *

Woher der Lärm? Wer find die Beiden? Stumm ſieht man ſchnell den Kreis ſich ſcheiden Der Fürſt des Stammes tritt heran, Führt mit ſich einen fremden Mann, Und drei Usdene ) folgen dicht.

„Allah ift groß und fein Prophet! (Ruft er mit ſtrahlendem Geſicht) Ruhm, Preis und Dank ihm im Gebet! Den Bruder, den ich längſt gebettet Im Grab geglaubt, im fremden Land, Hat Allah mir mit ſtarker Hand Bewahrt, ihn heimgeführt, 3 Kennt ihr Ismail? ; :

XI.

Laut wiederhallt' es in der Runde, Kein Ende war des Luſtgeſchrei's,

Es freut ſich Alt und Jung der Kunde Der Wiederkehr Ismail⸗Bey's.

Alle umdrängen ihn, laut preiſend Des Wiederſehens froh Geſchick;

Die Weiber, mit gerührtem Blick Halten die Kinder hoch empor,

Hin auf den neuen Fürſten weiſend.

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Doch, wo iſt, der fonft Allen theuer, Des Volkes Abgott, Roslam⸗Beg? Der Freiheit Säule weiter weg Vergeſſen ſteht er dort am Feuer. Nachdenkend, finſter von Geberde, Senkt er den ſcharfen Blick zur Erde. Wie lang iſt's her, daß er allein

Des Volkes Blicke auf ſich zog,

Ihm jedes Herz entgegenflog,

Die Mutter ihn den Kindern wies

Und ſtaunend ſeine Thaten pries?

War Alles dies nur Trug und Schein? Und muß jetzt Alles anders ſein?

Wer hat die Volksgunſt ihm genommen? Ismail! weil er einſt verſchwand, Darauf im Dienſt des Feindes ſtand, Und plötzlich nun zurückgekommen.. Und Roslam-Beg, der geſtern noch Des Volkes einz'ger Abgott ſchien, Heut hat man ganz vergeſſen ihn.

»Die Menge ſtellt das Neue hoch

In ihrer Dummheit, aber bald

Wird auch der Eifer wieder kalt!

So murmelt er leis vor ſich hin.

Doch wenn ein Menſch von böſem Sinn Einmal im Leben Neid gefühlt,

Kann er dem Eindruck nicht entfliehn, Und wie zum Hohne foltert's ihn,

Bis er des Herzens Glut gekühlt.

XII.

Krieg! . . . grauſes Wort, der Welt bekannt, di aach

Seit Bruderblut durch Bruderhand Unſchuldig floß vor dem Altar ...

Weit durch den öden Kaukaſus

Erſcholl es laut rings wie zum Gruß: Krieg! Krieg! ſchon nah iſt die Gefahr, Und weckt des Herzens ſchlimmſte Flammen. Froh rottet Alles ſich zuſammen

Zu Schlacht und Tod im ſtillen Ort, Wo eben noch der Feſtgeſang

Erſcholl klirrt's jetzt von Waffenklang. Es ſchweigt des Sängers Spiel und Wort, Zum wilden Kampf zieht Alles fort. „Seht, wie die Herzen muthig ſchlagen Zur Freiheit und zur Ehre That;

So war es ganz in unſern Tagen,

Da uns geführt Achmet-Bulat!«

So flüſtern unter ſich die Alten,

Wie ſie mit ſtolzem Lächeln ſtehn,

Des Stammes Heerbann ſich geſtalten, Die jungen Streiter ziehen ſehn.

's iſt Zeit! Und manches Herz wird ſchwer;

XIII.

Der Winter ſchwand. Schon heller ziehn Die Wölkchen fern am Himmelsbogen, Liebäugelnd im Vorüberfliehn

Tiefunten mit des Stromes Wogen. Der Strom, in ſeiner ſtolzen Schnelle Sich ſchlängelnd unter lautem Toben, Erwiedert nicht den Gruß von oben, Wälzt ſchäumend weiter Well' auf Welle. An beiden Ufern weit entlang

Sich dunkle, hohe Berge ſtrecken Durch Höhe und durch ſteilen Hang Zugleich ein Zauber und ein Schrecken. Dort muß die Fichte einſam trauern, Mit rothen Wurzeln, langen, nackten, Gekettet an die rauhgezackten, Zerklüftetſteilen Bergesmauern.

Warum fie trüb? Woher das Trauern? Sie muß dort einſam und allein

Auf ihren ſtolzen Höhen ſein!

So mag es einem mächtigen Beherrſcher großer Reiche gehn,

Auf ſeinem Thron, dem prächtigen, Den Schmeichler, kriechende, umſtehn. Er trauert, weil er ſeines Gleichen Nicht hat in feinen weiten Reichen ...

XIV.

Die Krieger hatten durch Verhaue

Den Weg vom Thal zum Aul gehemmt; Geſtein und Holz ward durch die graue Flut des Argun mit fortgeſchwemmt. „Geduld, ihr liſt'gen Feinde! bald

Wird Euch zum Grab der Hinterhalt So ruft's in der Tſcherkeſſen Reihn; Doch mächtig bricht der Feind herein, Schon fernher durch den Nebel blitzen Zahlloſer Bajonette Spitzen.

Und Roslam⸗Beg beruft den Rath Und redet zu entſchloßner That: „Sobald die Nacht hereingebrochen Stürzen wir auf den Feind zumal, Jäh, wie der Waſſerfall ins Thal Den Ruſſenſchaaren zum Verderben,

Sie ſollen ſtarr vor Schrecken ſterben. Es ſollen ihre mürben Knochen

Zernagt von Wölfen und von Raben, Verfaulen offen, unbegraben!

Dann mögen wir, wenn Alles warm Vom Blut zum Schein von Frieden ſprechen, Um insgeheim mit unſerm Arm

Durch Blut die lange Schmach zu rächen!

8 XV.

Und Alle waren einig drob;

Nur Ismail im Widerſpruch

Lärmend vom Platze ſich erhob,

And zürnend an den Degen ſchlug.

Im Kreiſe die Usdene ſaßen

Und ſcharf ihn mit den Augen maßen. Doch Ismail, verächtlich ſchien

Er alle Blicke, die auf ihn

Sich wendeten, zurückzuweiſen.

Sich ſtützend auf ſein klirrend Eiſen

Hub er alſo zum Bruder an:

»Ich bin kein nächtger Räubersmann! Ich lieb es mich an Blut zu weiden; Doch, wenn mein Feind am Boden liegt, Soll er mich ſehen, unterſcheiden

Die ſtarke Hand, die ihn beſiegt!

Ich kenne unſers Feindes Macht,

Ich haſſe ihn wie du, ja, mehr! Doch mach' ich nie die dunkle Nacht Zum Mantel meiner Fürſtenehr! Verſchieden iſt der Ruhm der Schlacht, Der Glanz der hehren Kriegesflamme, Von Blutſchuld in dem eignen Stamme! Stumm hörten, was der Fürſt geſprochen, Wie Roslam⸗Beg fo die Usdene

Es hat ihn Keiner unterbrochen.

Er ging und ſtumm noch ſaßen Jene.

XVI.

Furchtbar erhebſt du, Berg Scheitan!!“) Dich aus der Oede himmelan.

Der böſe Geiſt, ſo geht die Sage Schuf dich, gewaltger Bergesrieſe!

In ſeinem Zorn an jenem Tage,

Da Gott ihn aus dem Paradieſe

Verſtieß. Hier zwiſchen Erd' und Himmel Wollt' er, wenn auch nur auf ein Kurzes, Sich dem Gedächtnif feines Sturzes Entziehn, fern von der Welt Gewimmel.

Mit dunklen Tannen rauh umkleidet, Durch ſeine Schwärze unterſcheidet

Er ſich von ſeinen Berggenoſſen.

Ein gelber Fußpfad kriecht hinauf, Entſtanden, wo im jähen Lauf

Bittre Verzweiflungsthränen floſſen.

Kein Strauch, Gras, Moos, gedeiht darauf; Durch Schluchten, Wälder, kreuz und quer Führt er, Gott weiß wohin, woher.

Tief zwiſchen Sträuchen, hohen, ſchwanken, Dran Hopfen rings und Epheu ranken, Halb ſchlummernd ruht ein Edelhirſch.

Und plötzlich hört er's fernher rauſchen, Spitzt ſeine Ohren um zu lauſchen,

Hört Hundsgebell, das Nahn der Birſch .. Schon näher kommt der Feind herbei Langſam erhebt der Hirſch ſich jetzt

Mit dem vielzackigen Geweih,

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Schüttelt den Thau vom mächtgen Rücken Athmet noch einmal voll und frei,

And dann mit Einem Sprunge ſetzt

Er in's Gehölz, wo Sträuche dicht

Ihn der Verfolgung bald entrücken.

Ob Schlünde drohn, der Schlehdorn ſticht: Er jagt vorbei und achtet's nicht.

Jetzt iſt er plötzlich angelangt

Vor dem verhängnißvollen Wege,

Und ob auch nichts ringsum ſich rege Er prallt zurück und ſcheut und bangt; Gebannt von unſichtbarer Hand.

Doch, der Verfolgung Noth verſchwand Er eilt nicht weiter, ſtreckt die Glieder Zur Ruhe in den Raſen nieder.

XVII.

Wer hat am Scheitansberg zur Nacht Das große Wachtfeu'r angefacht? Laut praſſelt und kniſtert der helle Brand, Weit leuchtet die Glut hinaus in's Land. Beleuchtet von der Flamme Schein Liegt Ismail allein und wach, Das Haupt geſtützt auf einen Stein. Die Stammgenoſſen wollten ihm nach, Doch wagten's nicht er blieb allein.

8 XVIII.

Das alſo hat die Heimat ihm bereitet!

Erfüllt ſind ſeine Träume, heimgeleitet

Ward er zu ſeines Paradieſes Flur,

Wo noch ſo jung und üppig die Natur.

Aber die Menſchen! was bekümmern die

Sich um Natur? Noch kaum hat der Verbannte Den langvermißten Bruder grüßen können,

Und ſchon mit Neid, Verläumdung quälen fie, Verfolgen ihn, als ob ſie's ihm nicht gönnen, Daß ihn das Schickſal glücklich heimwärts ſandte. Ein zärtlich Wiederſehn, der Freunde Grüßen, Die Rückkehr zu der Heimat Paradieſe,

Wofür ein Andrer ſeinen Schöpfer prieſe,

Muß er wie eine ſchwere Sünde büßen.

's giebt ſolche Menſchen, denen alle reinen Genüſſe ſtets zu trüben Leiden werden,

Und die vom Schickſal auserkoren ſcheinen

Zum Spielball ſeiner Launen hier auf Erden.

Es wirft ſie unter uns, und läßt ſie ſteigen

Und fallen, bloß um ſeine Macht zu zeigen.

So warf ein König einen Diamant

In's Meer einſt doch in ſeiner Schickſalsſtunde Geheimnißvoll kam aus dem Meeresſchlunde

Der ſtolze Stein zurück in ſeine Hand.

Für Schickſalskinder iſt kein Platz hienieden,

Kein ſtäter Hort, kein dauernd Glück beſchieden. Sie glänzen, doch verwiſcht ſich ihre Spur Dem Blitz gleich, der aus dunklen Wolken fuhr. Oft wecken ſie des Volkes Staunen doch

Viel öfter Haſſen und Verdammen noch;

Weil ſie im Meer des Unglücks gute Schwimmer,

ww...

Nie nach der Andern Rath und Hülfe fragen, Und ſich auf eigne Kraft verlaffend, immer In Bf und Gutem Alle überragen,

Auf ſtolzer Stirn der Herrſchaft Zeichen tragen.

XIX.

»Leichtſinniger! warum ſchlugſt du die Bitten

Der Schönheit und der Liebe in den Wind?

Warum, nachdem ſo Vieles du gelitten

Vom Schickſal, und ſo lang damit geſtritten,

Erſchrickſt du jetzt davor gleichwie ein Kind?

Leicht war bei Sara die Vergeſſenheit

All deines Ungemachs vergangner Zeit,

All deſſen, was dein glühend Herz je büßte.

Du konnteſt bei dem Engel in der Wüſte

Vergeſſen alle Schmerzen, alle Leute;

Du konnteſt lieben wollteſt nicht und heute

Taucht vor dir aus der Neider wüſtem Hauf

Dein Bild des Glücks lebendig wieder auf:

Siehſt Sara vor dir, hängſt an ihrem Munde,

Sprichſt, hörſt und ſchwelgſt in wonnigem Verlangen,

Erſchöpfeſt dich in Küſſen und Umfangen,

And leerſt der Wonne Becher bis zum Grunde. Wie lang iſt's her, ſeit du ihr Bild, das ſchöne,

In Wahrheit ſahſt? Daß ihre ſüßen Töne

Vernahmſt Entzücken ſogſt aus ihren Zügen?

Haſt du nicht ſelbſt dich um dein Glück betrogen?

Ach, kaum iſt dieſer ſüße Traum verflogen,

Und ſo lebendig kehrt das Bild zurück,

Daß dir das Herz erſchrickt vor deinem Glück,

Aus Furcht, es könnte wieder dich betrügen!

,

So murmelte beim Feuer Ismail |

Da hört' er's plötzlich knallen, Schüſſe fallen

In Menge, daß die Berge wiederhallen

Und aufgeſcheucht aus feinen Traumgedanfen Späht er umher doch ward es wieder ſtill.

Er ſprach: »es war das Traumbild eines Krankenle

XX.

Erſchöpft von ſeiner Sinne Kampf Und wilder Aufregung, ſank wieder Der müde Fürſt zur Erde nieder. Das Feuer kniſtert, und der Dampf Aufwirbelnd in der Luft verlor ſich.

Ismail ſtarrt was ſieht er vor ſich! 1 nd e

Sieh', ein Geſpenſt am Feuer ſtand, Ein Grab entſtieg'ner Kriegesmann Lehnt va fein Schwert ſich mit der a

Hohl waren 55 Züge; laß

Ismail wollte fragen, was

So ſpät zur Nacht ihn aus dem Grabe Verſcheucht, hiehergetrieben habe?

Wie roth die Flammen vor ihm brennen, Zeigt auf dem Antlitz des Tſcherkeſſen Sich ein ſo finſtrer, ſtolzer Trutz,

Daß Ismail kaum zu erkennen,

Deß Augen ſcharf den Fremdling meſſen. Was willſt du von mir? fragt er ihn. »Gewähr' mir Gaſtfreundſchaft und Schutz! Ich mußte vor den Feinden fliehn,

Hab' im Gebirge mich verirrt,

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8

Und noth thut's, daß mir Hülfe wird. Erſchlagen liegen meine Mannen, Es fiel durch -feindliches Geſchoß

Auch unter mir mein treues Roß

Hülflos, allein floh ich von dannen.

Du kannſt mir helfen! fürchte nicht:

Von Fleiſch und Blut iſt mein Geſicht,

Die Bruſt voll Kampfluſt auf dich baut ſie, Und deiner Kraft und Ehre traut ſie!«

Fremdling, mit Recht bauſt du auf mich! Komm, ſetz' dich zu mir, wärme dich. —«

85 XXI.

Klar und voll Ruhe war die Nacht, Die Sterne glänzten in hellſter Pracht, Und hinter Wolken ſchlief das Licht

Des Monds die Menſchen ſchliefen nicht. Es ſaßen neben den kniſternden Flammen Die beiden Feinde friedlich beiſammen,

Schweigſam, mit offenem Geſicht.

Ismail lange unverwandt | Sah prüfend auf dem Fremdling hin, Die Züge ſchienen ſo bekannt

Aus alter Zeit her ſeinem Sinn.

Mt dieſes plötzliche Erinnern,

Dias hell erwacht in feinem Innern,

Wahr oder iſt's ein Spiel des Böſen? Er muß die dunklen Zweifel löſen,

Und ſchnell beginnt er ihn zu fragen In feiner Ungeduld: »du biſt

Noch jung, gewohnt nach Ruhm zu jagen, Die haſt'ge Jugend leicht vergißt,

Daß bei dem rohen, großen Haufen Durch blut'ge That Ruhm zu erkaufen Kein würdiges Beginnen iſt.

Sprich ohne Furcht zu mir, ſag', was Treibt dich gen uns zu Kampf und Haß? Was that dies Volk dir, ſteh mir Rede, Daß du ihm nahſt in blut' ger Fehde?«

XXII.

»Du irrſt, Tſcherkeß!« der Fremdling ſpricht Mit freundlich lächelndem Geſicht:

»Glaub mir, ich liebe ganz wie Ihr

Die waldbedeckten Berge hier,

Des wilden Waſſerfalls Geplätſcher,

Das wunderbare Glühn der Gletſcher

Beim Morgen- und beim Abendroth.

Und Eurem Volk auch bin ich gut;

Nur Einem dieſes Volkes bin

Ich gram und feind mit ganzer Wuth, Den Einen haß' ich bis zum Tod! Tſcherkeß von Stamm, doch nicht von Sinn Iſt er, mit dir in nichts vergleichbar

.

Doch, iſt er meinem Arm erreichbar,

So findet Einer hier ſein Grab

Von uns, Ismail oder ich!

Ein heil'ger Eidſchwur bindet mich. Was ziehſt du ſo vom Kopf herab Die Mütze über's dunkle Auge?

Dein tiefes Schweigen ſoll mir zeigen Daß dir mein Blutgelüſt nicht tauge Hör' mich nur aus, es wird dich rühren, Du ſelbſt wirft meine Rache ſchüren!«

XXIII.

»Du weißt gewiß, daß viele Jahr' Inm Dienſt Ismail bei uns ſtand. Doch immer unzufrieden war

Er, faſelte vom Heimatland ... Ganz in der Weiſe des Tſcherkeſſen War er im Kampf, beim Feſteseſſen Der Erſte ſtets. Zu ſeines dunkeln Schwarzüberſäumten Auges Funkeln, Geſellte ſich des Oſtens braune Und glatte Haut, geſchmeid'ges Weſen, Die Weiberherzen zu entflammen. Die Frauen, Mädchen allzuſammen Waren ein Spielzeug ſeiner Laune: Als Opfer fiel, die er erleſen.

Er hielt es nicht für ein Verbrechen, Er fühlte weder Scham noch Reue Ein ſchwaches Weiberherz zu brechen, Des Landes Sitte zu verletzen, Und Hohn zu ſprechen den Geſetzen.

F. Bodenſtedt. VII.

Und täglich ſündigt' er auf's Neue. Kalt blieb ſein Herz und ohne Rührung Bei allen Opfern der Verführung,

Die Liebe war ihm eitler Tand,

Ein Zeitvertreib ihm das Vergehen, Und keine mocht' ihm widerſtehen

Der allerſchönſten Fraun im Land.«

XXIV.

»Tſcherkeß! manch ſchönes Mädchen mag In euren freien Bergen blühn,

Es mag ihr Antlitz wie der Tag,

Wie Sternennacht ihr Auge glühn: Doch mögen ihre Glutenblicke,

Ihr feiner Bau, die Haut wie Sammt, Das Haar, das lang im anmuthreichen Geflechte fällt ſich nicht vergleichen Der Schönheit, welche mich entflammt Zu unglückſeligem Geſchicke!

Tſcherkeß! du haſt wohl nie geliebt, Kennſt nicht der Sinne ſüßen Rauſch, Der Liebe und der Küſſe Tauſch,

Der Wonne nimmt und Wonne giebt. Nie hat ein blendend Angeſicht

Dich in ſein Lockennetz gezogen,

Du kennſt der Liebe Schwüre nicht, Und biſt von ihnen nie betrogen,

Wie ich es bin durch mein Geſchick! Buntſchimmernd wie ein Regenbogen Baut es zum Glücke mir die Brücke,

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Veerlockend zeigt es meinem Blick

Des Glückes höchſte Höhen und Stürzt dann mich in den tiefſten Schlund Des Unglücks. Eine Braut war mein: Kein Mädchen mochte ſchöner ſein

Und unſchuldsvoller von Geberde;

In meines Glückes Uebermaß,

In ihrem Himmelsblick vergaß

Ich, daß kein Himmel auf der Erde! Da ſchlug die ſchwere Unglücksſtunde, Die Quelle jahrelanger Leiden

Von neuem Krieg erſcholl die Kunde, Ich mußte fort wir mußten ſcheiden. Jaurchtbar umflort' es meinen Geiſt DO, nimmer werd' ich jene Stunde, Wie jenen Unglücksſchlag vergeffen!

Du kannſt ſolch Unglück nicht ermeſſen, Tſcherkeß! du weißt nicht, was es heißt, Wenn liebend ſich zwei Herzen trennen Kannſt, wenn du nichts von Liebe weißt, Auch nicht den Schmerz der Trennung kennen!«

5 *

Ms mes

XXV.

»Ein unglückſel'ger Zufall mußte Ismail bald nach unſerm Scheiden

In meines Mädchens Nähe führen. Schnell flammt' er auf für ſie, und wußte Auch ſchnell ihr junges Herz zu rühren, Zu feſſeln durch Verführungsbande.

So kos'ten, liebelten die Beiden Derweilen ich im fremden Lande

Tod ſuchte oder Ruhm im Kriege: Kämpft' Ismail um andre Siege.

Wie er's verſtand, durch Liſt und Heucheln, Durch Thränen, Flehen, ihre Gunſt Und ihr Vertrauen zu erſchmeicheln! Durch der Verführung ganze Kunſt Sie abzulocken vom Geleiſe

Der Tugend, in die Zauberkreiſe

Der Leidenſchaft ſie zu verſtricken;

Mit ſanften und mit wilden Blicken Der Sinne Luſt in ihr zu ſchüren, Des Herzens ganze Glut zu wecken; Bald ſie durch Zärtlichkeit zu rühren, Bald ſie durch Drohung zu erſchrecken. Er wußte, daß ſie meine Braut war, % . ,. 7.0.00

Sie fiel, ein Opfer feiner Luft,

Sie ſank an feine Mörderbruſt

Von ganzer Leidenſchaft getrieben,

Sie wußte nichts als lieben, lieben ..

* PIE * * * 2 j >, Klaas 2055 N

1

XXVI.

»So lange er um ſie gekämpft, War ſie ſein Alles aber bald Nachdem er ſeinen Raub umkrallt, War ſein Gelüſten auch gedämpft. Geſättigt war der wilde Brand

Der Leidenſchaft, die ihn verzehrte; Sein Opfer, die mit ihm den Becher Der Freude bis zur Neige leerte, Die er bethört, verführt, geliebt: Treulos verließ er ſie und kehrte Leichtſinnig heim in's Vaterland, Vergeſſend, daß es einen Rächer Im Himmel und auf Erden giebt. Erreichen wird ihn meine Hand, Mein Racheſchwert ihn niederſtrecken, Sei's im Gebirg, im Steppenland, Mag er ſich wo er will verſtecken, Mag ſich verkleiden, anders nennen; Kann ihn mein Auge nicht erkennen, So wird mein Herz den Feind entdecken!«

XXVII.

»Tſcherkeß! ich ſeh, dein Herz begreift, Daß ich gerechte Rache ſuche;

Wie grimm dein dunkles Auge ſchweift, Die Lippen öffnen ſich zum Fluche! Du würdeſt ſchaudern, könnt' ich Alles Erzählen von der Unglücksſtunde,

Von jener Schreckensſtunde, da

Ich tief im Elend ihres Falles

Das holde Weſen wiederſah.

Doch ſtirbt das Wort mir auf dem Munde, Verſuch' ich's, die Verzweiflungsqualen, Das wilde Elend dir zu malen

Der Unglückſeligen, die ganz

Im Irrſinn jetzt die Zeit verbringt, Bald laut in wirrer Freude ſingt, Bald ſtumm ſich ſchwingt in wildem Tanz, Bald Tage lang am Fenſter weilt, Die Straßen mit dem Blick durchmißt, Zu ſpähen, wo Ismall iſt,

Ob er nicht wieder zu ihr eilt.

Ach! ſelbſt im Wahnſinn nicht vergißt Sie ſein, der treulos ſie verlaſſen,

Der dieſes wunderſchöne Weib

Kalt hingemordet, Seel und Leib Zerknickt der Jungfrau Blüthenkranz, Gebrochen ihres Auges Glanz ..

Und lange noch der Fremdling ſpricht

Von Glück, von Liebe und Verrath,

Von Rache für die Miſſethat,

Doch hörte Ismail ihn nicht.

Sein Antlitz barg durch kalten Schein

Des Herzens unruhvolle Regung,

Um ſeine innere Bewegung

Wußt', außer ihm, nur Gott allein.

Den Blick zum Himmel ſtolz erhoben, (Hofft er auch keinen Troſt von Oben)

Gewaltſam kämpft' er hin und wieder

Was ihm die Bruſt bewegte, nieder.

So lag er auf der feuchten Erde

Stumm wie ſie ſelbſt, kalt von Geberde.

XXVIII.

Habt ihr geſehen, wie zum ſtillen Thal,

Wo Leichen, der Verweſung Opfer, liegen, In gier'gem, wildem Triebe auf einmal

Zum Fraße Raben, Geier, Adler fliegen?

So giebt's im Leben kurze Augenblicke,

Wo, wie Naubvögel, alle Höllenplagen

Sich auf uns ſtürzen, unſer Herz zernagen, Zu einer Ewigkeit von Mißgeſchicke

Uns die Minute machen. Leicht zerbricht

Die Lilie bei des Wirbelwindes Wehen;

So mögen auch die ſchwachen Seelen nicht Dem Andrang ſolcher Plagen widerſtehen.

Bei Menſchen ſtark von Herz und Geiſt zumal, Wird ſolche Plage zur Prometheusqual, Davon die Spuren nie verwiſcht die Zeit;

's giebt Alles hier nur nicht Vergeſſenheit!

XXIX.

Der Tag bricht an. Schon golden blitzen Der Schneegebirge zack'ge Spitzen.

Es ſchweben in des Frühroths Strahle

Die dichten Nebel tief zu Thale,

Und an des Scheitanberges Rand Im Glanz des jungen Tags erblaßt Das nächt'ge Feuer. Schweigend ſtand Und mit vorſichtiger Geberde

(Als wäre todeskrank fein Gaſt) Der Fürſt auf von der feuchten Erde. Bleich war ſein Antlitz, wild, verſtört, Es ſchien, als graute dem Tſcherkeſſen Vor dem, was er zur Nacht gehört, Das war ein ſchreckliches Erinnern! Gewaltig kämpft's in ſeinem Innern:

Er wollte gar zu gern vergeſſen

Die Schreckensworte, die ihn trafen, Einbilden ſich, daß er geſchlafen,

Daß Alles nur ein Traumbild war ... Er rieb die Stirn ſich mit der Hand, Doch ob er taſtend ſtand und ſann: Der Gram, der eiſerne Tyrann,

In ſeiner Bruſt, bewies ihm klar, Daß Alles wirklich, Alles wahr, Was er geſehn, gehört, empfand ...

XXX.

Ismail winkt zum Aufbruch, will Durchaus den jungen Gaſt geleiten, Der folgt erſtaunten Blickes ſtill

Dem ſtummen Führer, und ſie ſchreiten Fürbaß auf wildverſchlungnen Wegen. Und Alles ſchreckt ſie rings im Wald, Das Vöglein, das vom Buſch auflfliegt, Der Fuchs, der ängſtlich ſich verkriecht In ſeinen ſichern Aufenthalt. Ismail-Bey wie ſein Begleiter

In Vorſicht hält die Hand am Degen, Und eilig ziehn die Beiden weiter, Bergab, auf ungebahnten Wegen.

Sie ſpringen ohne umzuſehn,

Klafft irgendwo ein Felſenſpalt,

Und keinem Mund ein Wort entſchallt. Auf einem Hügel endlich ſtehn

Sie Beide ſtill, in düſterm Schweigen. Von dort beherrſcht der Blick ein Thal, Wo, ſchimmernd in der Sonne Strahl, Sich weithin Kriegsgezelte zeigen, Gleichwie ein großer Kranichſchwarm. Ismail nimmt des Fremden Arm, Zeigt mit der Hand hinaus in's Land,

Und ſpricht dann, ſtolz zu ihm gewandt:

|

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> Leb' wohl! Gefahrlos magſt von hier Zu euren Zelten du gelangen.

Doch höre mich, und glaube mir:

Es iſt ein eiteles Verlangen

In Blut den Kummer wegzuſpülen!

Du würdeſt nach der blut'gen That Nicht Ruhe, ſondern Reue fühlen! Glaub's: dein Beginnen iſt nicht gut. Ein Weh wie deines heilt kein Rath Der Freunde noch des Feindes Blut. All' deine Mühe iſt vergebens, Umſonſt ſuchſt du im fremden Land

Für das verlorne Glück des Lebens Erſatz es iſt ein eitel Hoffen. Den Feind trifft nimmer deine Hand, Den ſchon des Schickſals Hand getroffen,

Das auf fein Opfer nicht Verzicht

Den Händen ird'ſcher Richter thut.

Doch wer dem Schickſal widerſteht, Im Kampf mit ihm nicht untergeht:

Der fürchtet auch die Menſchen nicht,

Anbeugſam iſt fein ſtarker Muth. Du kennſt Ismail ſchlecht ſchau her:

Ich ſelbſt bin es, der vor dir ſteht!«

Und ſtolzen Blickes wandte er

Sich weg, harrt nicht auf Antwort mehr,

And blitzſchnell im Gebirg verſchwand, Derweil der Fremde ſtarrend ſtand,

| | Sprachlos mit ſtaunender Geberde Wie angewurzelt an die Erde.

4

. XXXII.

Am Scheitansberge ſaß indeſſen Bewaffnet eine Schaar Tſcherkeſſen

Im Kreiſe um die Lagerfeuer.

Vom Troß Ismails war die Schaar, Der aller Krieger Liebling war,

Und ihnen über Alles theuer.

Sie folgten ihm zu Ruhm und Tod;

s galt ihnen gleich, wenn er gebot! Sie waren in der Brüder Streite Geblieben auf Ismails Seite;

Sie kannten nicht des Streites Grund, Doch folgten ſie Ismail und

Sie hätten ihn in jedem Falle

Ob Recht, ob Unrecht treu vertheidigt, Denn ſein Verſtand war ihr Verſtand. | Es hatte Roslam-Beg ſie Alle

In ihrem Führer mitbeleidigt!

(So ſind die Leute hier zu Land.)

XXXIII.

Sie rauchen ſorglos bei der Wacht Des Fürſten harrend, ihre Pfeifen: »Ismail kommt, ſobald die Nacht Entflohn, die Feinde anzugreifen. Gewaltig und verderbenſchwer,

Ein Adler, fliegt er vor uns her! Es fällt ſein Blick gleich Ungewittern Auf unſrer Feinde Heer, daß Jene

.

In Angſt und Furcht vor ihm erzittern, Wie Roslam⸗Beg und die Usdene le So ſchwoll aus ſeiner Mannen Kreiſe Das ſchlichte Lied in ſchlichter Weiſe.

5 XXXIV. Dem Kreiſe fern, am Bergesrand, Den kummerſchweren Blick nach oben Zum liebetrauten Mond erhoben, Der bald im Morgenglühn verſchwand, 3 ſchöngebauter Jüngling ſtand:

ne Menſchenblume zu ſchön und 3 0 Daß bon des Todes Hand ſie knicke. Er wartet auch auf Ismail, Doch nicht wie Jene ſorglos, ſtill: Er fürchtet feine Gegenwart, Und wünſcht ſie doch aus ſeinem Blicke Sprach ſeines Herzens tiefer Gram. Was mocht' es ſein warum er kam? Er kam bei Ismail zu weilen, Im Kampf mit ihm ſich zu verbinden, Sein Kriegsgeſchick mit ihm zu theilen, Ruhm oder Tod mit ihm zu finden... Mrs dieſer weißen Hand Geſchick Roth von Koſakenblut zu rauchen? Soll dieſer kindesfromme Blick Sich in des Schlachtfelds Gräuel tauchen? Was hat er hier die ganze Nacht Mit ſeinem Aug', dem liebesmilden,

Allein inmitten dieſer wilden Schaar Bergtſcherkeſſen zugebracht? Ob er auch Scheu hat, es zu ſagen,

Man ſieht's ihm an, braucht kaum zu fragen! ...

Jemehr noch jung und unerfahren

Das Herz, je keuſcher das Gemüth, Strebt es geheimnißvoll zu wahren,

Was in ihm zehrt, was in ihm glüht. Auch Selim, wie vor giftgen Schlangen, Barg vor der Neugier Späherblick

Des jungen Herzens Mißgeſchick,

Sein Leiden, Hoffen und Verlangen.

Dritter Theil,

II.

Es brennen die Aoule rings im Land,

Der Himmel wiederflammt den Schreckensbrand.

Zerſtreut, geſchlagen flohn die heimſchen Krieger

In wilder Unordnung; der Feind blieb Sieger.

Wie wilde Thiere hauſ't er, ohne Schonung,

Zum neuen Schlachtfeld wird die ſtille Wohnung.

Was nicht in Brand ſteht, wird von Blut geröthet,

Der ſchwache Greis fällt unterm Bajonette,

Man ſchont der Mutter nicht im Wochenbette,

Und in der Wiege wird das Kind getödtet.

Der blut'ge Mörder frech umſchlingt den Leib

Der zarten Jungfrau, koſ't das junge Weib Doch iſt das Weib hier nicht wie anderwärts,

Im zarten Leibe wohnt ein ſtarkes Herz!

Den Kuß zu rächen wird der Dolch gezückt,

Dem Küſſenden ins gier'ge Herz gedrückt,

Und röchelnd ſtürzt er: »Rache Kamerad!«

Dem Racheworte folgt die Rachethat

Todt ſtürzt das Weib bald ſteht das Haus in Flammen,

Des Stammes Gut und Freiheit bricht zuſammen.

III.

Roslam-⸗Beg hat ſich, trotz der Niederlage, Auf's Neu in einem fernen Ort befeſtigt, Bereitet ſich zu einem neuen Schlage,

Den er in Hinterliſt vollführen will;

Jetzt wird er nicht vom Bruder mehr beläſtigt In feinen Plänen . .. Wo ſteckt Ismail? Der kämpft noch im Gebirge mit den Seinen, Täuſcht ſchlau die Feinde durch verſtellte Flucht, Und wie ſie folgen, ihn zu fangen meinen, Verlockt er fie in eine enge Schlucht,

Greift ſie dort an, entläßt lebendig Keinen.

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Doch Ismail ſtrebt in dem Kampfgewühl

Nach Ruhe nicht und Selbſtvergeſſenheit

Er hat für Ehre, die das Schlachtfeld beut, Für Ruhm und Heldengröße kein Gefühl Zieht nicht für's Vaterland das Racheſchwert Er kennt der Ehre und der Worte Werth,

Die man gewußt für Thoren zu entdecken.

x Die kaum erloſchne Glut, die ihn verzehrt, Er will ſie nicht aufs Neu im Herzen wecken

Kein Lüftchen weht, kein Wölkchen zieht Am bleichen Himmel einen Aar

Nur wird man fernhin noch gewahr, Wie er zum Felſenneſte flieht. And durch die Felſen ſchauerlich

Des Mondes gelber Lichtstrahl ſtiehlt In eine wilde Thalſchlucht ſich,

Aud mit den nackten Schädeln ſpielt, And mit den Knochen, mit den Leichen, Die ringsum auf dem Raſen liegen Und wie die Strahlen fie beſtreichen, Scheint's als ob Funken daraus fliegen. Es wundert ſich der Mond der kalten, Stumm unbeweglichen Geſtalten Doch ſieh': er läßt ſein falbes Licht Zbwei andre Körper dort erreichen Noch Leben haucht aus dem Geſicht, Doch reglos liegen ſie wie Leichen.

F. Bodenſtedt. VII.

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Einer der zwei iſt Ismail!

Es blickt ſein Auge trüb und ſtill, Doch ungebeugt vom Mißgeſchick.

Er ſah die Sonne untergehn,

Wie wir wohl oftmals mit dem Blick Noch einen läſtgen Gaſt begleiten,

Den wir gleichgültig ſcheiden ſehn.

Des Panzerhemdes Ringeln decken

Die Schulter ſammt der Bruſt, der breiten, Ein Helm das Haupt doch blutge Flecken Verdunkeln hier und dort den Glanz Des blanken Stahlgewandes ganz.

Der Kopf des jungen Selim ruht

Auf feinen Knien er zog ihm nach, Er folgt ihm in freiwillger Flucht,

Und birgt ſich in Ismails Huth,

Wie man im Schatten Obdach ſucht. Trägt mit ihm alles Ungemach,

Mit ihm Gefahr und Kriegsgeſchick, Treu, ohne Murren, ohne Klagen Und iſt er müde, will verzagen,

Hebt er auf Ismail den Blick:

Und hin iſt Sorge und Beſchwerde, Und heiter wird er von Geberde.

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83

VII.

Er ſchläft; es deckt fein Augenlicht Die Wimper zu, die ſeidne, lange, So midchenhaft iſt fein Geficht,

So feingeröthet ſeine Wange!

Dioch auf des Panzers Stahlgefüge Liegt er ſo hart. In Mitleid ſieht Der Krieger auf die feinen Züge, And Trübſinn ſeinen Geiſt durchzieht: So fällt ein klarer Tropfen Thau Aus ſeiner Himmelsheimat Blau

Auf ein verwelkend Blatt hernieder, Strahlt alle Himmelsſchönheit wieder,

Wie eine Perle licht und rein

N Und ſüß Vergeſſen lullt ihn ein, Daß bald das Blatt, ihn ſelber mit,

Die Sichel trifft, das Roß zertritt!

VIII. Er athmet mit halboffnem Mund

Die Abendluft, die friſche, kühle; Er ſchläft doch ſeiner Bruſt Gefühle

Thun ſich in leiſen Worten kund. Es iſt als ſpräche er im Traum Mit Jemand und erſtaunt und ſtill Mit offnem Ohr lauſcht Ismail, Wagt, wie er horcht, zu athmen kaum. Vielleicht im Traum thut Selims Mund Der jungen Bruſt Geheimniß kund. 6

»Du konnt'ſt vergeſſen?« klang das Wort, »Ich will dein ganzes Herz ja nicht,

Will nur ein freundliches Geſicht,

Vergieb! ich kann nicht von ihm fort!

»Vergeben, wem? « fragt Ismail, Ein Kurzes wurde Selim ſtill,

Dann fuhr er fort: »Was nützt es, ſich Zu täuſchen, er verachtet mich!

Was iſt für ihn die arme Maid?

Was Selim? Doch in Ewigkeit

Alſo bleibt zwiſchen uns der Bund

Warum durch ſeinen theuren Mund

Hat er den Namen mir geweiht? «

»Wer, ich?« nahm Ismail das Wort. Doch Selim fuhr im Traume fort: b

»O heilger Gott! entſetzlich doch

Iſt eines Vaters Fluch den Kindern! Entſetzlicher die Thränen noch

Der fluchbeladnen Trennungsſtunde

Kein Troſt vermag dies Weh zu lindern!« ..

Noch weiter klang's aus ſeinem Munde, Doch fehlte der Zuſammenhang.

Bald ſchwieg er ganz, ein Seufzer rang Sich tief aus ſeiner jungen Bruſt, Dann blieb er ganz in Schlaf verſunken. Und auch Ismail ſchlafestrunken

Schloß ſeine Augen unbewußt.

Selim erwachte, ſah ſich ſtumm

Und ängſtlich erſt im Kreiſe um,

Und lächelte, als er gewahr,

Wo dieſe Nacht ſein Lager war:

Daß ihn Ismails Knie getragen! Erröthen zog durch ſein Geſicht,

Er ſchämte ſich, und wagte nicht Was er im Traum geſehn, zu ſagen. Als ob das böſe Traumgeſicht

Einfluß geübt auf ſein Geſchick,

Senkt er verlegen ſeinen Blick, And ſucht den Fragen auszuweichen, (des Kummers unverkennbar Zeichen!) Kaum mag ſein Auge noch gewaltſam Die heißen Thränen unterdrücken, Bald drängen ſie ſich unaufhaltſam Hervor ſchnell hat er ſich gewandt, Scheinbar um Blätter abzupflücken Von wilden Roſen mit der Hand Sucht er, gebückt zum Strauch, inzwiſchen Die dicken Thränen wegzuwiſchen « Dem Fürſten war es nicht entgangen, Dioch ließ er ihn darob in Ruh,

Er ſchrieb die Glut auf Selims Wangen Des Augenblicks Erregung zu.

Er ſelbſt hat wohl ſeit lange nicht Der Liebe ſüßen Schmerz gefühlt? Ihm Thränenflut die Wange nicht Gewaſchen und ſein Herz gekühlt?

86

X.

Ich weiß es nicht ... Doch nie bemißt er Nach eignem Herzen fremde Rührung,

Denn häufig ſchon im Leben iſt er,

Wenn er den Künſten der Verführung,

Als ſeiner unwerth, ſich entzogen,

Durch ſolche Künſte ſelbſt betrogen,

Durch Thränenflut bei Herzenskälte.

Die Täuſchung, die er ſelbſt vermieden,

Ward ihm durch Andere beſchieden,

Daß es ihm manche Luſt vergällte.

Er glaubt blos nicht: um ſeinem Glauben Nicht noch den letzten Reſt zu rauben.

Die nicht'ge Welt verachtet er, darin

Das Leben nur ein wechſelndes Betrügen, Wo Gram und Freude nur Geſpenſterlügen, Und jegliches Erinnern Gift dem Sinn; Das Böſe ſchmeichelnd uns noch mehr erboſt, Der Bruſt im Guten nur ein flücht'ger Troſt, Und wo die Leidenſchaften ſtets auf's Neue Uns nichts zum Erbtheil laſſen als die Reue

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XI.

Selim erhebt ſich und beſteigt

Den Berg, an deſſen Rand er ſchlief .. Das Dunkel ſchon dem Morgen weicht,

Der Raſen blitzt vom Thaue feucht

Rings um die Schlucht, bis abwärts tief Und plötzlich tönt ein fern Geſchrei, ITſcherkeſſen die zum Kampfe rufen Staub wirbelt auf von Roſſeshufen, Weälzt gelb ſich bis zur Schlucht herbei. Rings wiederhallt's verworrnen Schalles, Selim hört, ſieht von Oben Alles;

In Angſt zurück zur Thalſchlucht flieht er,

v Sie kommen, dringen ſchon herauf!

Ruft er, mit ſich den Fürſten zieht er, Weckt ihn aus ſeiner Ruhe auf. Und ſieh: ſchon zeigt ſich dort ein Reiter Wie aus der Erde aufgeſprungen

Schien er, da er zum Hügel ritt Dem erſten Reiter folgt ein zweiter, Ein ganzer Schwarm kommt angedrungen Zur Hohlſchlucht in gemeſſ'nem Schritt. Es iſt der Schluchtpfad hier ſo ſchmal Geformt vom Doppelfelſenrück,

Daß ein paar Pferde, auf einmal

Zur dunklen Schlucht hineingetrieben, Im Drängen beide ſtecken blieben,

Nicht vorwärts könnten, nicht zurück.

XII.

Der Schwarm der kühnen Kampfgenoſſen Macht vor dem Berge Halt dort ſteigen Sie lärmend von den müden Roſſen.

Da naht der Fürſt und Alle ſchweigen, Sich des Gebieters Wink zu fügen:

In ihren ausdrucksvollen Zügen

Iſt Achtung keine Furcht zu ſehn.

Als freie Männer vor ihm ſtehn

Die Krieger:

»Des Feindes Heer iſt aufgeſtellt Zum Marſch im A 13 3

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Ismail ſpricht: »Wer von Euch liebt die Freiheit nicht? « Sie ſchweigen.

»Laßt die Roſſe nun Ein Kurzes noch vom Ritte ruhn. Mit Tagesanbruch ziehen wir, Sei es zum Siege, zum Verderben Doch, in des Lebens Blüthe ſterben, So jung ... nein, Selim, du bleibſt hier! «

»Nun, was bringt Ihr Neueste

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XIII.

Selim erbleichte bei dem Wort, Er ſprach mit vorwurfsvollem Blick:

Ich kann nicht bleiben, mußt du fort! Nein, Fürſt! ich theile dein Geſchick, Ich folge meines Schwurs Gebot:

Mit dir im Leben und im Tod! Wardſt du es ſelbſt nicht oft gewahr, Daß Schlachtendonner und Geſchoß Mich nicht erſchreckt, mich nichts verdroß, Wenn ich bei dir, Ismail, war!

Wie oft von deiner Stirne ſchon

Hab' ich gewaſchen Staub und Blut Als alle deine Freunde flohn:

Hielt ich nicht aus mit frohem Muth?

War dir's nicht wohl in meiner Huth? Und wußt' ich nicht durch Koſen, Streicheln, All deinen Kummer wegzuſchmeicheln?

O meine Liebe, bleib mir gut!

O nimm mich, nimm mich mit von dannen! Du weißt, ich kann den Bogen ſpannen, Wie Andre was iſt mir der Tod? Dir hab ich ganz mich hingegeben, Dein will ich fein in Qual und Noth, Wiill Schönheit, Glück der Jugend, will Geern Alles laſſen, Welt und Leben, Doch laß ich dich nicht, Ismail!«

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XIV.

Sprach's. Und der Fürſt ſtand lange ftumm Den Blick zum Himmel aufgewandt; Dann kehrt er tiefbewegt ſich um, Drückt warm und kräftig Selim's Hand. Selim giebt warm den Druck zurück, Den ihm der Freund als Zeichen bot, Daß ſie vereint in Leid und Glück, Daß nichts fie trenne als der Tod ... Lang ſah der Fürſt zur Erde nieder, Ein Zittern ging durch ſeine Glieder, Im dunklen Auge glänzt etwas:

Ich hätt' es mögen Thränen nennen In ſolchem Auge Thränennaß? Es war nicht deutlich zu erkennen, Denn bald ſchloß ſich das Auge wieder.

XV.

Am Bergesabhang ſtehn die Roſſe;

Es wurden Feuer angemacht

Am Eingang zu der Schlucht; Geſchoſſe

Wie Panzer, Köcher, und ein ganzer

Berg Sattelzeug hineingebracht.

Auf Ismail blitzt hell der Panzer,

Doch trübe iſt der Fürſt von Sinn,

Iſt krank an Körper und Gemüth.

Und Selim tritt zum Freunde hin:

»Ich weiß « ſpricht er » was in dir glüht;

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|

.

Der Thalſchlucht Nachtluft iſt es, die

Verpeſtend über dich gekommen!

Ein Lied will ich dir ſingen, wie Ich's in der Heimat oft vernommen,

Wo manche junge Maid es ſingt

Dem Liebſten der zu Felde zieht

Ein Abſchiedslied, das traurig klingt, Doch weiß ich gar kein andres Lied. Es ſang mir bei der Wiege ſchon Die Mutter in der Kindheit Tagen;

Horch nur, es wird ſein ſanfter Ton

Den Gram von deiner Stirn verjagen, 5 Und liebe Bilder längſt entflohn,

Der Kindheit Bilder zu dir tragen! Selim hub an, und ringsum wiederhallt

Der Fels, wie hellen Ton's das Lied erſchallt.

Das Lied Selim's.

Schimmert die Nacht

So friedlich und heiter

Doch der Jüngling Streiter

Muß fort in die Schlacht.

Mit Schwert und Geſchoß er dort ſteht, Und es ſagt ihm die Maid wie er geht:

»Mußt fort, meine Liebe! Das Schlachtfeld betreten Vergiß nicht zu beten,

Bleib treu dem Propheten, Doch treuer der Liebe!

92

»Wird immer belohnt

Wer liebt bis zum Sterben;

Er bleibt von Verderben

Und Unglück verſchont;

Und mag er im Tod auch vergehen: Was liebt muß ja ewig beſtehen!

»Wer falſch in der Liebe,

Im Kampf nicht beſteht er

Vor feindlichem Hiebe,

Und ruhmlos vergeht er

Es wäſcht ſeine Wunden kein Regen Ihn meidet der Wolf auf den Wegen!«

Schimmert die Nacht

So friedlich und heiter Doch der Jüngling -Streiter Muß fort in die Schlacht! ..

»Fort mit dem Lied!« ſchrie voller Wuth Der Fürſt, » du ſollſt mich nicht bethören! Glaubſt, der Prophet wird auf dich hören? Im Schlachtfeld, in des Kampfes Glut, Waſch' ich die Worte weg mit Blut,

Will jede Spur davon zerſtören In meinem Herzen ... Auf! ’8 iſt Seit, Ihr Mordgeſellen, auf zum Streit!

Die Pferde vor! macht Euch bereit!

Fort mit dem Liede! Blut will ich, Kanonendonner, Panzerraſſeln, | Wehrufen, Schlachtlärm, Kugelpraſſeln! ... O ſing' nicht, ſing' nicht! höre mich,

I: Fühl' meines Herzens wilden Brand! Biſt nicht zufrieden? Laß ab laß! O Himmel, du biſt grauſam, daß

Diu ſtrafen willſt durch dieſe Handle ... So abgebrochen, wild, in Zittern Stieß er die Worte aus dem Munde Sie wiederhallten in der Runde

Wie fernes Donnern bei Gewittern. Und wie er ſtarr und reglos ſtand, Verzweiflung in den wilden Mienen, Halb von des Feuers Glut beſchienen, Dien blanken Degen in der Hand: Erſchien er wie ein böſer Geiſt, Der plötzlich aus der Grabesnacht Durch einen Zauberſpruch erwacht. Sein finſtres Auge ſpähend kreiſt Ulmher im fernen Steppenland,

And furchtbar droht er mit der Hand Zur Steppe, ohne Unterlaß ... Wer iſt es, der ſein Blut ſo kochen

. Gemacht, die ſtolze Ruh gebrochen? Selim bemerkte endlich, daß

Jcsmail nicht zu ihm geſprochen.

Der Unvorfihtige! er ſchürte

Die Flammen, die hier aufgegangen, Bedachtlos feine Hand berührte

Des Herzens Saiten und ſie klangen Und bebten in Ismails Bruſt,

Daß Selim ſelber unbewußt

Des Grundes, ſtand in Angſt und Bangen.

XVI.

Die Reiter ſchwangen ſich zu Pferde, Gar finſter blickten ihre Mienen,

Matt von des Feuers Glut beſchienen, Das bald erloſchen auf der Erde.

Und lärmend zog's hinauf den Hügel Wie wenn im Feld ein Kranichzug

Am Abend noch zu weitem Flug Aufwärts erhebt die weißen Flügel. Gewieher, Lachen, Lärm, Geſtampf,

Es athmet Alles Glut und Kampf! Wie Männer in des Geiſtes Kindheit Stets voll ſind von dem Muth der Blindheit.

XVII.

Der Tag bricht an; in ſeinem flüchtgen Glanz bricht das Morgenroth herein, Entflammt der blauen Wolken Reihn, Der aufeinander eiferſücht'gen.

Fern durch die enge Hohlſchlucht reitet Der Fürſt, die Mannen hinterdrein

In langem Zug. Bedächtig ſchreitet Das Roß an ſchluchtbedrohter Stelle Doch durch das Thal mit Windesſchnelle Fliegt es, und macht in ſeinem Lauf Den Staub aufwirbeln; dann bergauf Steigt es und windet ſich im Kreis. Dort ragt ein Fels wie Schnee ſo weiß, Daß man in ſeiner hellen Pracht

Ihn weithin ſieht, ſelbſt bei der Nacht.

Den bunten Köcher auf dem Rücken, Trabt Selim leicht auf ſchwarzer Stute; Mag ihn der Waffen Laſt auch drücken: Sein Auge glänzt von frohem Muthe . . S bo durch die Luft an ſchwülem Tage Wohl eine weiße Wolke ſchwebt Sborglos und leicht auf hohem Pfad; Und plötzlich, wie mit Zauberſchlage, Fern ein Gewitter ſich erhebt

And, wie ein ſchwarzer Flecken, naht Doch, ob es immer höher ſteigt,

Und ob's in Blitz und Donner ſpricht Voll dunklen Zornes es erreicht Der weißen Wolke Höhe nicht!

XVIII.

Schon nah ſind ſie dem Feindesheer, Der Wahlſtatt, der verhängnißvollen. Wen heute trifft des Schickſals Grollen? Horch! Schüſſe fallen ... immer mehr! Es wächſt zu lautem Donnerrollen

Das Schießen ringsum wiederhallen Die Felſen von dem Lärm und Knallen. Der Fürſt fährt auf, winkt mit der Hand: » Vorwärts! mir nach und auf mich feht!« Er ſprach's, und ließ die Zügel fallen. Nein! ſo gewaltig niemals ſtand

Er in der Schlacht! Voll Majeſtät War ſeine Rede und Geberde;

Sein Rappe bäumt, ſtampft wild die Erde,

MM

Und Ismail fliegt in den Feind.. Ein Engel der Zerſtörung ſcheint

Er wie von Höllenglut getrieben. Und wer den ſtolzen Krieger ſah

In ſeinem Flug wer wäre da, Sprich Selim! wer zurückgeblieben?

XIX.

Ein Feindestrupp warf ſich indeſſen

In großer Zahl mit ganzer Wuth

Auf einen kleinen Schwarm Tſcherkeſſen, Der in der Keckheit Uebermuth

Den Feind die ganze Nacht geneckt, Bis zu der Lagerzelte Wacht Herangeſchlichen, heimlich, ſacht,

Dann ſicher feuernd hingeſtreckt

Die Wachen, Alles aufgeſchreckt

Und wie im Fluge Kehrt gemacht. Ergrimmt, daß man ihn ſo beläſtigt Zur Nacht, brach jetzt der Feind heran, Wo die Tſcherkeſſen ſich befeſtigt,

Und griff ſie an mit ganzer Wucht. Heiß ein Verzweiflungskampf begann. Hart war die kleine Schaar bedroht, Doch hielt die Scham ſie ab, durch Flucht, Sich zu entziehn dem ſichern Tod.

Und Schwerter klirren, Kugeln ziſchen, Hier fällt ein Hieb, dort trifft ein Blei Die Flüche der Gefallnen miſchen

Sich mit der Sieger Kampfgeſchrei. Durch graue Wolken Pulverdampf

97

Flammen die Blitze der Geſchoſſe.

Es ſtürzt der Reiter mit dem Roffe, And wird im Kampfgewühl zertreten. Zu ungleich iſt der wilde Kampf! Tſcherkeſſen! betet zum Propheten Schon wirft der Krieger das Gewehr, ein Ausweg, keine Hoffnung mehr! Doch horch! was pfeift ſo ſchrill durch's an vi Den Kriegern ift der Ton bekannt ie ſpähn: auf einem Hügel ſtand smail⸗Bey im blanken Stahl!

XX.

Nicht lange ſtand Ismail dort:

Er ließ ſein Roß ſich nur verſchnaufen,

Späht' ſcharf umher, dann ſprengt er fort,

ort in den dicht ſten Feindeshaufen.

3 ſprüht der Tod aus feiner Fauſt,

Sie er auf feinem ſtolzen Pferd N

auf er wie angeſchmiedet ſitzt,

och durch der Feinde Reihen ſauſt. Rappe ſchnaubt, der Panzer blitzt,

ewalt' ge Hiebe führt fein Schwert,

8 trifft zur Rechten und zur Linken,

d Todesleuchten iſt ſein Blinken.

it Ismail iſt das Verderben

och, die im untern Thale ſtehn /

ie Krieger, können ihn nicht ſehn

Und müſſen unvertheidigt ſterben!

Er wüthet wie ein junger Leu

In ſeiner Wildheit Majeſtät

F. Bodenſtedt. VII. 7

8

Und wo er naht, weicht Alles ſcheu,

Rings knallt es, ziſcht's: ihn trifft kein Blei, Mit Ismail iſt der Prophet!

Die Schützen zielten ſchlecht auf ihn,

Der Hieb prallt' ab vom blanken Stahl; Noch unverſehrt ſein Helmſchmuck ſchien Neu hebt ſich der Tſcherkeſſen Muth,

Der Kampf entbrennt in neuer Wuth,

Von Blut und Feuer glüht das Thal .

XXI.

Weitab vom Schlachtfeld, zwiſchen dem Geſträuch, Zuneben Reitgeſchirr und Sattelzeug,

Auf feuchter Erde lag ein ſterbend Roß,

Der wilden Steppenheerde ſtolzer Sproß.

Im Todesröcheln wälzt ſich's hin und her.

Und vor dem Pferd, mit Blicken trüb und ſchwer Stand ein Tſcherkeß. Hin iſt ſein treues Thier! Gekreuzten Armes ſtand er, blickte ſtier

Hin wo der Kampf wogt in des Thales Schoß; Verfluchen möcht' er grimm ſein bittres Loos!

Es war ſein Kummer eines Helden Kummer: Dem Schlachtfeld fern mußt' er allein in ſtummer Unthätigkeit und Unruh ſtehn, indeſſen

Sich auf der Wahlſtatt dort die Krieger meſſen. | Horch: Roßhufſchall »Wer da?« In wilder Eile, Schweißtriefend ganz, kommt Selim angefprenat, (Noch ungeſpannt am Roß die Armbruſt hängt, Im Köcher fehlt noch keiner ſeiner Pfeile.)

XXII.

»Wo iſt der Fürſt?« ruft er ich find' ihn nicht, Wo mag er weilen?« Und der Andre ſpricht: » Willſt du ihn ſehn, ſchau dorthin wo der Kampf Am ſchrecklichſten, am röthlichſten der Dampf, Der Staub ſo dicht, und das Geheul ſo laut, Wo Blut in Strömen fließt, der Feind vergebens 3 Die Flucht ergreift zur Rettung feines Lebens, Verzweifelnd auf des Kampfes Ausgang ſchaut: Dort iſt er! Wie ein Blitz des Himmels fährt Er zündend durch die Reihn, und Alle weichen; Wer widerſteht, fällt unter ſeinen Streichen.

Er ſelbſt bleibt unverſehrt ſieh, unſer Zeichen Und Kriegesbanner iſt fein Helm und Schwert!“

Alſo der Steppenſohn zu Selim ſpricht, And Schmeichelei kennt ſolch ein Krieger nicht.

XXIII.

N ; Es ſprengt ein Reitersmann, weiß von Gewand, FJiurchtlos einher, den Degen in der Hand; n unterſcheidet ihn ſchon aus der Weite, Kühn durch ſein Beiſpiel treibt er an zum Streite. And wie er reitet, forſcht er ab und auf,

Als ob er Jemand dort zu ſuchen ſchien:

Er ſucht Ismail und er findet ihn

And ſchießt .. . umſonſt: das Blei hat ihn betrogen!

Doch hat vom Schuß der Dampf kaum ſich verzogen, So ſtürzt Ismail auf den Reitersmann:

* *

7 *

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»Seh' ich dich wieder!« zürnt er ihm entgegen, »Beim heil'gen Gott: ich bin nicht Schuld daran!“ Es flammte bei den Worten ſchon der Degen,

Und von dem Rumpfe flog des Feindes Haupt, Wie eine reife Frucht vom jungen Baume.

Und mähneſträubend bäumt das Pferd und ſchnaubt, Und ſtampft, die Nüſter dampft von weißem Schaume. Es ſtürzt der todte Reiter in den Sand, | Zum Leichentuch wird ihm fein weiß Gewand. Nicht lang ward er von Todesqual getrieben, Und Friede ſei mit ihm! im Augenblick Hat er verlernt zu haſſen und zu lieben:

Nicht Jedem wird ſolch glückliches Geſchick!

XXIV.

Und immer heißer wogt der Kampf, Der Tod ſprüht aus Ismail's Fauſt;

Bei Ismail iſt kein Erbarmen!

Doch wie? .. . hat ihn das Glück getäuſcht? Ein Knattern, Donnern plötzlich ſchallt,

Und ringsum dichter Dampf aufwallt. Getroffen, blutig und zerfleiſcht,

Dicht vor Ismail's Angeſicht

Sein Vordertrupp zu Boden bricht. Verwundet, röchelnd auf der Erde

Wälzt ſich der Reiter ſammt dem Pferde

Mi

In Zürnen ſeinen Rappen wandte

3 Der Fürſt, ſtand aufrecht in dem Bügel, Späht' und ſtürmt wüthend ganz allein Dahin, woher das Feuern brannte;

Doch ein Tſcherkeß ſprengt hinterdrein, Fällt feinem Pferde in die Zügel

Und reißt es fort mit ganzer Wucht, Und führt den Reiter ſammt dem Pferd' Fort ins Gebirg vergebens wehrt Der Fürſt ſich der gezwungnen Flucht. Selim, voll Ruhe in dem Wirrſal

Der Schlacht, wie er den Fürſten ſieht, Daß er durch Freundeshülfe flieht Gerettet aus des Kampfes Irrſal, Diankt er im Herzen dem Geſchick, And folgt dem Freund mit ſicherm Blick. Doch in Ismail's Herzen nagt

Der Schmerz. Nicht, daß er Scham gefühlt Oh feiner Flucht der Schlachtgewiegte Weiß, daß die Furcht in ihm nicht wohnt, And Andres iſts was er beklagt. Sein junges Leben blieb verſchont

Im Kampf, doch fühlt ſich der Beſiegte Durch läng'res Leben nicht belohnt! Jcsmail wandte fein Geſicht

Als kenn' er feine Freunde nicht...

XXV.

Je ſeltner Glück uns in der Welt Beſchieden, deſto ſüßer ſtellt

Es ſich uns dar im Träumen, Denken. Es zieht uns fort von hier, den Blick

Zu jener Welt hinaufzulenken

Und zeigt auch dort uns das Geſchick Sich als Alleingebieterin:

Es treibt uns umſomehr, den Blick

In ſein Geheimniß zu verſenken.

Wir ſehen gern den Himmel offen

Wie man ihn träumt, voll ſel'ger Ruh Ihm wendet ſich des Herzens Hoffen,

Der Bruſt geheim Verlangen zu.

Und wenn uns Gram und Sorgen drücken, Verlangt es uns, der Erdenwelt,

Der nichtigen, uns zu entrücken,

Und glückbedürftig aufzuſchauen

Zum ſternbeſä'ten Himmelszelt,

Wo wir uns ſchönre Welten bauen,

Die wir mit ſel'gen Bildern ſchmücken Wo keine Sorge, keine Plage,

Kein Schatten der vergangnen Tage:

Nur eitel Wonne und Entzücken.

Doch liegt der Geiſt, der zweifelkalte, Auch oft im Streit: mit dem Geſchick: Daß die Vergangenheit dem Blick

Wünſcht er ſich ganz und friſch erhalte . . Von dem Gedächtnif feiner Leiden

Und ſeiner Luſt will er nicht ſcheiden.

Er fürchtet nicht zu unterliegen,

Und wenn er träumt träumt er von Siegen!

In ſeiner ſelbſtbewußten Kraft, Die bis zum Grabe nicht erſchlafft, Stolz alles Fremde von ſich weiſt Er thut nur was er ſelber will. Solch einen unbeugſamen Geiſt Gab die Natur auch Ismail!

XXVI.

Er iſt verwundet; doch er ſieht And hört nicht was um ihn geſchieht. Es fließt das Blut aus ſeiner Bruſt; 9 Doch, feiner Schmerzen unbewußt, Wird er durch Strauchwerk und Geſtein Vom müden Pferde fortgetrieben. Der treue Selim iſt allein Nicht hinter ihm zurückgeblieben: um ſitzt er noch im Sattel hält Des Roſſes Mähne, ſtatt der Zügel; Die Füße ſchlottern ohne Bügel, Ganz bleich iſt ſein Geſicht, entſtellt. Die Augen nur, die thränenſchweren, Noch dann und wann zu dem ſich kehren, Der ihm ja Alles in der Welt, Dem er ſein Herz, ſein ganzes Leben Als freud'ges Opfer hingegeben Um den, wenn er ihn meiden müßte, Er auch vom Leben ſcheiden müßte! Und ob man ihn für böſe hält: Was kehrt ſich Liebe an die Welt,

104

An das Geſchwätz von andern Leuten? Sie will ihr Theil für ſich bedeuten; Auf Erden iſt ſie ſtarken Muthes, Der Himmel macht ihr keine Noth Sie hat ihr eigenes Gebot

In ſich, für Böſes und für Gutes.

XXVII.

Still wurde der Verfolger Rufen;

Es ſchäumt das Roß, dampft aus der Nüſter, Doch, ſichertaſtend mit den Hufen,

Sucht's zwiſchen Klüften und Geſtein, Durch Schluchten ſchauerlich und düſter, Den Weg ſich ſelbſt, braucht keinen Leiter, Es findet überall allein

Zurecht, für ſich und ſeinen Reiter.

Zur rechten, aus der Felswand breitet

Sich Strauchwerk, ſchwarz und lang hervor, Und ſtreift, wie man vorüberreitet,

Die Kopfbedeckung und das Ohr.

Und hoch, von Felſen unerſteigbar

Blickt, dem Geſchoſſe unerreichbar,

Ein Gemsbock auf den Zug herunter ... Links gähnt ein Abgrund, ſtark umſäumt Von rothen Steinen, die in bunter Vielzackiger Geſtaltung hängen,

Als wollt' es ſie hinunkerdrängen

Zur Tiefe, wo der Giesbach ſchäumt,

Und wie ein Tiger ſpringt und bäumt.

105

- Smei fchroffe Höhenzüge trennt

Die Flut gleichwie ein böſer Geift Wohl zwei Familien hadernd ſcheidet. Blald glitzert hell die Woge, brennt Gleichwie von Perlenglanz umkleidet, nd bald ſmaragden glimmt und gleißt. Wieitab am Horizont, dem blauen,

Die ſtufenförm'gen Berge heben,

Des öden, nackten Höhenzuges,

Den Blick hinauf, wo luft'gen Fluges, 4 Tief Schatten werfend, Wolken ſchweben, nd auf die Berge niederſchauen. And drängt ſich, wie ſie ziehn und wandern, Stolz eine Wolke vor der andern, Daß fie beim Hin- und Wiederſchweben So neidiſch auf einander ſchienen,

Als ob des Südens Glut auch ihnen Des Südens Leidenſchaft gegeben!

XXVII.

Der Tag iſt heiß. Dem Fürſten weicht Die Kraft, kaum kann er weiter fort. Schon iſt es Mittag; doch es zeigt

Sich Hoffnung; wo der Rauch aufſteigt, Dort iſt Ismail's Heimatort!

Und wo die rothen Felſen dort

Von dunklen Sträuchen, wie von Kränzen Bedeckt, im Strahl der Sonne glänzen, Dort iſt ein Scheideweg und Spuren Knarrender Arba-Räder zeigen

Den Weg zu ſeinen heim'ſchen Fluren. Schon ſieht er die Moſchee; es ſteigen Die Dächer rings der Hütten auf

Vor ſeinem Blick; in wildem Lauf Schäumt der Argun ihm tief zu Füßen, Hebt ſich und rauſcht, wie ihn zu grüßen. Schon ſind die Felſen überſtiegen,

Die ſtrauchbedeckten; abwärts biegen

Die Pfade, und in ſtärkerm Schritt Trägt ihn ſein Rappe doch da tritt Er fehl, und wie er ſtrauchelnd wieder Sich heben will, verſagt ihm ſeine Gebrochene Kraft, auf dem Geſteine Stürzt er mit ganzer Schwere nieder.

107

XXIX.

Der Reiter lag in ſeinem Blut Gefühllos, reglos auf der Erde, | Die Stirne bleich, des Auges Glut Gebrochen, traurig die Geberde. Wie Grabesruh auf ſeinem Munde Lags, als ob nahe ſchon die Stunde, Wo feine Augen Schlaf umzieht, Aus dem er nimmer wird erwachen Auf Erden, und die Seele flieht, Um aus dem Körper Staub zu machen. Wird nur das Steppengrab, nichts mehr, Die nichtge Spur ſein, die erzählt Von Dem, deß Herz ſo lange der Gedanke an das Nichts « gequält? Nein! Nein! doch ſieh, in tiefem Leide Selim zu ihm ſich niederſchmiegt, Wie eine ſturmgebeugte Weide Mit ſchwanken Zweigen über einen Zertrümmerten Altar ſich biegt Sorgſam nimmt Selim ihm erſt ſeinen Helm und den Panzer ab von Stahl, Amſchlingt ihn feſt mit zartem Arme, Drückt an des Freundes ſtarre Bruſt Die eigne Bruſt, die lebenswarme, Und liegt bald ſelber unbewußt Der eignen Regung ſeines Buſens.

XXX.

Selim erhebt ſich, ſchaut ſich um,

Und todt liegt alles rings, und ſtumm. Nur, wie ſein Auge aufwärts ſieht,

Tief eine Regenwolke zieht,

Schwarz durch die Luft die Flügel breitend, Kalt wie der Tod herniedergleitend. Schon droht ſie, ihre dunkle Hülle,

Die inhaltfeuchte, zu erſchließen,

Und ihres Buſens kalte Fülle

Ueber die Wandrer auszugießen.

Und neue Furcht kommt Selim an,

Er drückt ſich an den Freund heran, Und ruft zur Wolke auf: »Halt ein!

O, hab' Erbarmen, ſchone ſein!

Den ich mehr liebe als mein Leben,

Den man nicht anders lieben kann Du kommſt den Freund mir zu verderben: Zu andern Opfern magſt du ſchweben, Doch ſchone ſein laß ihn nicht ſterben! Giebt's keine größre Schuld, als ſeine, Und keine größre Qual, als meine?

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Hört auch die dunkle Wolke nicht,

Was kindlich flehend Selim ſpricht:

Sie thut doch was er flehend ſagte, Sie ſchwebt vorbei .. Als er aufs Neu Die Augen aufzuheben wagte, ! War ſie ſchon weit. Und gleich als fei Ismail von der feuchten Kühle,

Die mit der Wolke über ihn

Gekommen wie er reglos lag, Erſtorben jeglichem Gefühle

Geweckt zu neuem Herzensſchlag,

Holt er tief Athem und wird wach. Und zitternd ſtreckt er eine Hand

Aus nach der andern. Ob auch ſchwach Und elend noch bald neubelebt

Fühlt er ſich von der Abendluft.

Und wie er ſeinen Blick erhebt, Allmählig die Umgebung ruft

Klar das Bewußtſein ihm zurück.

Doch wo iſt Selim? wo ſein Freund? er letzte der in Leid und Glück

hm treu blieb Himmel! was erſcheint or ſeinem Blick? die Worte brechen ich an den ſtarren Lippen ſprechen Kann er nicht mehr, er kann nur ſehn! nd nicht mit Engels- nicht mit Teufelszungen Ließe ſich ſagen, was ihn da durchdrungen, Was er geſehn, wie ihm geſchehn!

10

XXXII.

Selim .. . doch, wer erkennt ihn jetzt noch nicht? Der Mühe Pelz deckt nicht mehr fein Geficht,

Die Bruſt wogt frei, auf das Befhmet'?) von Selbe Fällt glänzend ſchwarzes, langes Lockenhaar,

Am ſchönſten iſt das Weib in ſeinem Leide! Es ſtarb ihr auf den Lippen das Gebet;

Im Blicke lag ein Ausdruck wunderbar

O Himmel! Himmel! giebts im Paradieſe

Auch Augen die voll Thränen ſo wie dieſe?

Wo Furcht und Gram fo ſchön dem Auge ſteht,

In ſeinen Thränenperlen, daß es ſchade

Sie zu verwiſchen traurig ſie zu laſſen?

Iſt Sara auch, die herrliche, die junge,

Unter den Auserwählten deiner Gnade?

Und ſtammelt dort von Liebe ihre Zunge,

Und weint fie dort ... Ich kann dein Schweigen ſaſſen!

Die Antwort ſelbſt u Sara's Augen fpricht, Aus ihrer unvergleichlichen Geberde:

Ein ird'ſches Abbild giebt's im Himmel nicht, Und keine zweite Sara auf der Erde!

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XXXIII.

1 Ismail ſchnell das liebe Bild erkannte, Das er im Sturm des Herzens und der Schlacht

Veergeſſen. Auf den zarten Wangen brannte

Sein Kuß, und neue Lebensglut erwacht

In ihrem Antlitz neue Lebensluſt

In ihrem Herzen, als an ſeine Bruſt

Ihr Köpfchen ſie gelehnt; und ſie entflammt Bei ſeinem Kuß zu niegekannter Regung, Und der Verſtand vermag nicht die Bewegung Zu bändigen, die aus dem Herzen ſtammt. In Glut das Wort von ihren Lippen quoll,

And alles rings war ihrer Wonne voll ... Die Liebe iſt den Menſchen Sünde nur: Heilig iſt ſie dem Himmel und der Erde!

5 Es athmet eitel Wolluſt die Natur Der Menſch nur kauft fein Glück mit Angſtgeberde.

5 Zwei Jahre flohn. Der Krieg tobt fürchterlich Naoch immer fort; vom Raube nähren ſich Des öden Kaukaſus verarmte Stämme.

Es ſchien, die blinde Rache wurde ſtill, Die zwiſchen Roslam-Beg und Ismail So lang gewüthet, und in Liebe ſchien Der Haß des Brüderpaares umgekehrt. Sah man Blut fließen und die Feinde fliehn:

.

War immer vorn Ismails Hand und Schwert!

Doch warum iſt jetzt Selim, Sara nicht

Beim Fürſten mehr? Wohin hat ſie's getrieben? Wo iſt die ſchöne Lesghierin geblieben?

Welch Schickſalsſchlag war's, der Verderben trug In dieſes Herz, das ſo für Liebe ſchlug?

War's durch Verrath, durch Untreu, daß die Beten, > F

Die fo in Eins verſchmolzen, mußten fcheiden? Lebt Sara oder liegt ſie ſchon begraben?

Und deckt der Heimat Erde ſie und haben Des Vaters Hände fie gebracht zur Ruhe?

Ward noch das Wort „Verzeihung « ausgeſprochen, Daß Elternfluch ihr nicht das Herz gebrochen?

Und liegt ſie noch nicht in der kalten Truhe, Wo mag ihr junges Herz jetzt leiden, klagen? Wer wagt es, Ismail darum zu fragen!

Einſtmals, zur Stunde wo die Abendſonne

Die Wölkchen glüh umzog mit rothen Streifen,,

Saß Ismail verſunken wie im Traum,

Auf einem Hügel, ließ im weiten Raum Gedankenvoll umher die Blicke ſchweifen.

Es war von frühauf ſeine größte Wonne

Der wilden Berge Bilderpracht zu ſchauen,

Das Abendglühn der Gletſcher, die am blauen Gewölb des Himmels blendend ringsum zogen In dieſer Freude ward er nie betrogen!

Tb

Vier ſeiner Krieger ſtanden um ihn her,

Und forſchten aus den Blicken trüb und ſchwer, Was fo in Aufruhr brachte fein Gemüth... Doch, wer iſt, der des Meeres dunkle Schlünde, Und wer auch, der ein Menſchenherz ergründe, Drin Gram doch keine Leidenſchaft mehr glüht . . oran er dachte? Nicht nach Weſten trug

n der Erinnerung Gedankenflug

ch! and're, andere Erinnerungen

ind in Ismail's Herzen aufgeſprungen . .

as knallt dort laut? ... Es wirbelt blauer Rauch, ie Hand war ſicher, und das Auge auch

es Böſewichts der ſchoß: Ismail fiel,

Die mörderiſche Kugel traf ihr Ziel!

Der Schlachtenliebling, blutend lag er da Die Stirn war bleich, und trüb das Auge ſah. Es ſtanden ſeine Freunde rings herum,

Ach! ihrem Ruf blieb er auf ewig ſtumm! Auf ſeinem Antlitz ſpielt zum letzten Mal

Der glühen Abendröthe letzter Strahl

Als zuckt noch Leben aus den kalten Mienen War's, wie er lag, ganz glühroth überſchienen, Als ſei, da ſeine Hülle ſich entſeelte,

Der Himmel ſelbſt wird deine Unthat rächen, Treuloſer Bruder! Sieh, im ganzen Land

Fand ſich kein Miethling dir für dein Verbrechen: Du that'ſt den Mörderſchuß mit eigner Hand!

F. Bodenſtedt. VII. 8

u,

Des Fürſten Leiche trugen die Genoffen,

Wo rauſchend eines Gießbachs Wellen floſſen, Unfern zum Thal. Das Waſſer ward ſein Grab. Sie nahmen das Gewand der Leiche ab,

Von dem verhängnißvollen Blei durchſchoſſen, Und ließen Ismail ein Spiel der Wellen.

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Aleski Kolzoff (geb. 1809, + 1842), der zuffifhe

Burns, war der Sohn eines Viehhändlers, der ihn nach kaum halbjährigem Unterricht im Leſen und Schreiben in feinem Geſchaͤfte verwendete. Er dichtete ſeine herrlichen Lieder, während er in der 1

Steppe die Rinderheerden ſeines Vaters hütete. Sein kurzes Leben 4 war voll Kummer und Sorgen. 5 5 2

P 1 r ö

Gebet.

Mlein Heiland, mein Heiland! Sieh, rein iſt mein Glaube, Wie Glut des Gebete; Doch, Herr, auch dem Glauben ft dunkel das Grab! ... Was beut mir Erſatz einſt

Für Ohren und Augen Das glühende Fühlen

Des ſterbenden Herzens?

Was ohne dies Herz iſt Das Leben des Geiſtes? ...

Auf Kreuz und auf Grab, wie Auf Himmel und Erde, Vom Anfang der Schöpfung Bis zu ihrem Ausgang, Haſt Du, o Allmächt'ger, Den Schleier geworfen, Dein Siegel gedrückt Dein ewiges Siegel.

Die Welt mag zertrümmern, Dein Siegel zerreißt nicht, Kein Feuer verbrennt es, Kein Waſſer erweicht's.

Verzeih' mir, mein Heiland, Daß meinem Gebete Einfloß eine Thräne:

Sie leuchtet im Dunkeln Von Liebe zu Dir.

Das Grab.

Ur liegt hier begraben? Still iſt es und einſam, Ein Kreuz ragt von Schilfrohr, Ganz friſch iſt das Grab. Und zeigt in der Oede Sich ringsum kein Pfad? Weß Leben entfloh hier? Wer kam hier an's Ziel? Beging hier ein wilder Tatar einen Raubmord Im Dunkel der Nacht, Benetzte die Erde,

Die ruſſiſche Erde

Mit dampfendem Blut?

Verlor eine junge Bewohn'rin der Steppe Ihr einziges Kind hier? Sie herzt' es und koſt' es, Und bitterlich weinte

Beim Tod' ihres Lieblings; Und frei unterm Himmel Auf offenem Felde,

u

In Kornblumen - Hülle Begrub fie ihr Kind.

Stürm'ſche Winde wehen Klagend über's Grab hin, .. Dürre Steppenhalme Neigen ihre Häupter,

Und das Gypskraut wuchert Rings am Grab vorüber. Wie die Winde brauſen Durch die öde Steppe, Nimmer weckt ihr Klagen Was im Grabe ſchlummert! Nur in Einem Herzen Auferſteht es lieblich,

Lebt es lieblich fort.

Das hohe Geheimnitz.

Tlolken tragen Waſſer, Waſſer tränkt die Erde, Früchte zeugt der Boden. Oben Sterne zahllos,

Unten Leben zahllos,

Dunkel hier, dort helle

Sind der Schöpfung Wunder.

.

Und in Zweifeln alternd Ob den hohen Räthſeln, Ein Jahrhundert immer Raſtlos folgt dem andern, Und die Ewigkeit fragt Jegliches Jahrhundert: Womit ſchloß die Laufbahn? Antwort giebt ein jedes: Danach frag' die künft'gen. Im Gebet zum Himmel Kühn erhebt der Geiſt ſich: Deute mir der Schöpfung Wundervoll Geheimniß! Und er ſendet Antwort Neu geheimnißvolle,

Neue Schöpfungswunder, Stürmiſche und ſtille,

Den Verſtand verwirrend.

Was wird aus dem Weltall, Wenn die Zeit erfüllt ift?... Brenne heller, Lämpchen

Vor dem Gottesbilde!

Mich erdrückt das Denken, Das Gebet erhebt mich!

ee

Sitz' am Ciſch allein.

Sig am Tiſch allein Und ich denke nach Wie es traurig iſt So allein zu ſein!

Liebe in der Bruſt

Und kein junges Weib Keinen treuen Freund

In der weiten Welt;

Schätze nicht, ſelbſt kein Warmes Winkelchen, Egge nicht, noch Pflug, Keinen Ackergaul

Ach, nichts hinterließ Mir mein Väterchen, Außer Armutk und Rüſt'ger Leibeskraft.

Und auch die iſt hin, Iſt ſchon längſt geknickt, Seit mich bitt're Noth In die Fremde trieb.

Sitz allein am Tiſch Und ich denke nach, Wie ich bis zum Grab Leben muß allein!

Frage.

(Mi. fannft Du Der Sonne rufen: Hör' mich, Sonne! Steh beweglos: Daß am Himmel Du nicht wandelſt, Daß auf Erden Du nicht leuchteſt.

Tritt an's Ufer, Blick' auf's Meer hin: Wie kannſt Du Das Meer bewegen, Daß das Waſſer Drin erkalte,

Seine Flut

Zu Eis erſtarre.

Giebt's Gewalten Der Gewalt'gen, Die den Lauf Der Weltenkugel Hemmten, daß ſie Stille ſtände, Nicht mehr kreiſte?

* E * 8 7 1 1 = ri 1 m N N . © Be... f Be

123

Wie kann ich

Auf dieſer Welt ſein Voll Bewegung, Ohne Wünſche? Was beginn' ich Voll von ſünd'gen Glutgedanken, Glutgefühlen?

In die dunkle Erdenſcholle Hauchte eine Gottkraft Leben, Und bewohnt ſie Nun als Herrin. Von der Wiege Bis zum Grabe Hadernd kämpfen Geiſt und Erde.

Nicht will Sklavin Sein die Erde,

Doch nicht frei

Der Bürde wird ſie. Und der Geiſt

Des Himmels wehrt ſich Der Verwandtſchaft

Mit dem Staube.

Lange Zeit iſt

Schon verfloſſen Wird noch lange Zeit verfließen,

124

Eh' der ſchwere

Kampf geendet?

Wer bleibt Sieger? Gott nur weiß es!.

Keiner löſt

Der Schöpfung Räthſel, Keiner lüftet

Ihren Schleier, Vorzudeuten

Was geſcheh'n ſoll.

Ewiges Schweigen Herrſcht im Grabe Ewige Nacht Verhüllt die Ferne. Werd' ich einſt Im tiefen Meere, Einſt im fernen Himmel leben? Mich erinnern Was ich dachte, Da ich lebte

Auf der Erde?

Oder wird

Mit mir begraben Mein Erinnern Und mein Denken?

Was im Tode

Wird mein Schickſal, Du mein Schöpfer, Herr des Weltalls?

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Der Mald.

Dunkler Wald, warum Stehſt ſo ſinnend da, Deine Stirn umwölkt Vor Bekümmerniß?

Wie Bo wa, der Held, Der bezauberte, Unbedeckten Haupts Stand im Kampfgetös:

Stehſt Du da gebeugt, Und doch kämpfſt Du nicht Mit dem Sturmgewölk Das vorüberzieht?

Deinen grünen Helm, Deinen Blätterſchmuck, Riß der Sturm Dir ab, Warf ihn in den Staub.

Warf zu Füßen Dir Deinen Mantel auch,

Und Du ſtehſt gebeugt,

Aber kämpfeſt nicht.

Armer Wald, wo blieb

Dein ſo trutzig Wort, Deine ſtolze Kraft Und Dein Herrfchermuth?

a,

Ach, vor Zeiten wohl, In der ſtillen Nacht Sang die Nachtigall Hier ihr klagend Lied!

Ach, vor Zeiten wohl, Als Du blühend ſtand'ſt, Suchten Freund und Feind Schutz und Schatten hier!

Ach, vor Zeiten wohl,

Hier am Abend ſpät Hieltſt Du mit dem Sturm Grimmes Zwiegeſpräch!

Er entfaltet ſein

Schwarz Gewölk zum Kampf, Läßt den kalten Wind Heulend auf Dich los.

Und Du rufſt ihm zu, Rauſchend ſchallt Dein Wort: »Kehre um, kehr' um, | Heule andersmo!«

Und er gellt und heult,

Dreht im Wirbel ſich Deine Bruft erbebt, Kühl durchſchauert's Dich.

Doch Du raffſt Dich auf In gewalt ger Wuth

| Be 1

.

Ringsum ſchaurig ſchallt's, Schaurig wiederhallt's.

Und die Windsbraut fährt Wie die Waldmaid auf, Und trägt ihr Gewölk Weithin über's Meer.

Ach, wo blieb, wo blieb Deine grüne Pracht?

Trauernd ſtehſt Du jetzt, Ganz in Schwarz gehüllt,

Stumm und menſchenſcheu. Nur wenn Stürme nahn, Ringt ein Klaggeſtöhn Aus der Bruſt ſich los.

So, Du dunkler Wald, Tapfrer Held Boma! Rieb Dein Leben ſich Ganz im Kampfe auf.

Da das Sturmgewölk Dich nicht bändigte, Unterlagſt zuletzt

Du dem ſchwarzen Herbſt.

Mächte feindlich wild

Stürzten los auf Dich,

Da Du wehrlos ſtand'ſt In der Zeit des Schlafs.

.

Von dem Herrſcherrumpf Trennten fie das Haupt Keines Sturms bedurft's, Einem Hauche wich's.

Lied des Tandmanns. 1

Triſch voran, mein Gäulchen! Wenn das Tagwerk fertig, 8 Reinigen wir das Eiſen Von der feuchten Erde.

Glühend ſchon am Himmel Glänzt die Morgenröthe Aus dem dunklen Walde Steigt die helle Sonne.

Friſch voran, mein Gäulchen! Bis das Feld gepflügt iſt!

Bin mit Dir, mein Gäulchen, Herr zugleich und Diener.

Munter, unverdroffen Führ' ih Pflug und Egge, Und das Feld beſä' ich, Fahre heim die Ernte.

.

Fröhlich blickt mein Auge Hin auf Tenn' und Schober, Rüſtig helf' ich dreſchen

Und die Schaufel ſchwingen.

Friſch voran! der Acker Wird nun bald beftellt fein, Und die heilige Wiege Für die Saat bereitet,

Wo ſie tränkt und nährt die Feuchte Mutter Erde;

Grün entſteigt's dem Boden Friſch voran, mein Gäulchen!

Grün entſteigt's dem Boden Und es wächſt, treibt Aehren f And es reift und thürmt fi ich Rings zu goldnen Garben.

Bald blitzt hier die Sichel, Bald erklingt die Senſe; Süß wird uns die Ruhe Auf den ſchweren Garben.

Friſch voran, mein Gäulchen!

Hafer zur Genüge | Geb' ich Dir, und Waſſer

Aus der friſchen Quelle!

Pflügend, ſäend bet' ich: Herr, gieb Deinen Segen! Laß mein Korn gedeihen,

Meinen einzigen Reichthum!

8 Bodenſtedt vr.

Der letzte Kampf.

Dunkel war die Welt umhangen, Stürme heulten, Donner hallt' Ueber mich kam Schreck und Bangen Und mein zitternd Herz ward kalt.

Doch ich ſcheuchte Schreck und Bangen, Neugeſtählt ward Stolz und Muth, In der Seele blieb Verlangen,

Kraft im Leib, im Herzen Glut.

Wo Verderben muß auch Heil ſein, Nimmer will ich muthlos ſchaun, Möge was da will mein Theil ſein, Auf Dich, Herr, ſteht mein Vertraun!

Feſten Glaubens an Dich leb' ich, Laſſe keinen Zweifel zu,

Feſten Glaubens denk ich, ſtreb' ich, Er giebt Frieden mir und Ruh.

Schickſal, draw mit Unglück nimmer, Nimmer rufe mich zum Streit Starken Muths im Glauben immer Find'ſt Du mich zum Kampf bereit!

In mir wallt mit heißem Triebe Blut und Kraft die Gott mir gab Auf dem Kreuz iſt meine Liebe, Unterm Kreuze iſt mein Grab.

Sag' warum j warum.

Sag' warum, warum, Liebe Sichel du,

Biſt geſchwärzt du ganz Wie mein Haargeflecht?

Oder färbten dich In der Leidenszeit Meine Thränen ſchwarz Um den Herzensfreund?

In der weißen Flur Fern am ſtillen Don Iſt das Steppenkraut Längſt ſchon abgemäht.

Jeder Schnitter hat

. Längft fein Weib daheim, Nur mein heller Falk, Mein Geliebter, nicht.

9*

132

Ließ er Haus und Hof, Liebt er mich nicht mehr, Kommt er nicht zurück An mein treues Herz?

Ach, kein Vogel dort Fliegt zum Himmel auf! Unheilvolle Mähr .

Ward gebracht von ihm. *

14%

Nicht umſonſt zernagt 17260 Me Gram die weiße Bull, Nein, nicht Freude macht Mir das Auge feucht.

»

1

Heißer glühte mein Perz.

Heißer glühte mein Herz Ihm als Feuer und Tag, Andern ſchlägt es ſo heiß Nimmermehr, nimmermehr!

Nur mit ihm ganz allein Lebt' ich gern in der Welt; Ihm allein war mein Herz, Ihm mein Leben geweiht!

Welche Nacht, welcher Mond, Wenn ich wart' auf den Freund! Bleich und kalt ſteh ich da

Und es zittert mein Herz.

Sieh, da kommt er und ſingt: »Nun, wo biſt Du, Herzlieb?« Und er reicht mir die Hand, Und er küßt mir den Mund!

134

Mein Geliebter, halt' ein! Mit dem Küſſen halt' ein! Ohne Kuß ſchon bei Dir Glüht genug mir das Blut,

Ohne Kuß ſchon bei Dir

Färbt die Wange ſich roth, Und es wogt meine Bruſt

Und es leuchtet mein Aug Wie am Himmel die Stern!

Ey iR 2 85 e

Ode an Gott. Nach Derſhawin ?) (geb. 1743, 7 1816).

O Du, endlos im Raume waltend, Urewiger im Lauf der Zeit, Geſtaltlos dreifach Dich geſtaltend

In offenbarter Göttlichkeit!

Geiſt, überall, alleinig webend, _ Ohn' Ort und ohne Anfang lebend, Stets unerreichbar, unerkannt;

Du, Alles durch Dich ſelbſt erfüllend, Erhaltend, gründend und umhüllend, Allmächtiger, von uns Gott genannt!

Ob Menſchengeiſt das Meer ergründe, Den Sand, der Sterne Glanzgeſtrahl Ermeſſe und in Zahlen künde

An Dich reicht weder Maaß noch Zahl! Es iſt kein Geiſt, den Du erzeugteſt Und ſelbſt mit ewigem Licht erleuchteſt, In Deinen Rathſchluß eingeweiht. Gedanken, kühn zu Dir erhoben,

Sind ſchnell in Deinem Glanz zerſtoben Wie ein Moment in Ewigkeit.

* * _ 2 8 n 8 n e 7 N 1 CF. S N ge 22 5 e eee eee S ET le re 5 rl: Ber 8 l 1 ** ui BU o- et * az ri Ei 977

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) Dieſes berühmteſte Gedicht des Vaters der modernen schen

© ae wurde nicht nur in alle europäiſchen Sprachen, ſondern auch

5 in's Chineſiſche und Japaneſiſche überſetzt und mit goldenen Buchſtaben geſchrieben im Palaſte des Kaiſers von China und im Tempel von * aufgehängt.

138

Du haſt des Chaos Sein geſtaltet

Aus dunklem Schlund der Ewigkeit; Du haſt die Ewigkeit entfaltet

Aus Dir allein, vor aller Zeit!

Dein Daſein aus Dir ſelber gründend, Ureignen Glanz aus Dir entzündend, Biſt Du das Licht, das Licht gebar; Mit Einem Wort das All bereitend, Dich mit der Schöpfung neu erweitend, So warſt Du, biſt, bleibſt immerdar!

Du haſt der Weſen Ring umwunden, Du biſt's, der ihn belebt und hält,

Haſt End' und Anfang feſt verbunden, Dem Tode Leben zugeſellt.

Wie Funken durch die Lüfte ſprühen,

So aus Dir neue Sonnen glühen,

Und wie zur hellen Winterzeit Reifſtäubchen glänzend ſich erheben

Und wirbelnd blitzen, ſchimmern, ſchweben, So unter Dir die Sterne weit.

Der Sterne Millionen glänzen

In's Unermeßliche hinaus,

Nur Dein Gebot giebt ihnen Gränzen, Und alle ſtrahlen Leben aus.

Doch dieſe Glamggeſtirne alle,

Die Berge ſchimmernd wie Kryſtalle, Des Meers glutvoller Wogenſchlag Weit in des Aethers Flammenſcheine, Die Welten leuchtend im Vereine, Sie ſind vor Dir wie Nacht vor Tag.

19

Wie Tropfen in des Meeres Maſſen Verliert vor Dir das Weltall ſich, Doch was iſt, das mein Blick zu faſſen

Vermag, und was vor Dir bin ich?

Und ob die Zahl der Weltenheere Millionenfach im Raum ſich mehre

Und wachſe mit der Flut des Lichts Das All wird, könnte man's vereinen, Mit Dir verglichen kaum erſcheinen

Als kleines Pünktchen ich als Nichts!

Nichts! aber aus dem ew'gen Bronne Des Lichts entflammſt Du mein Gemüth, Strahlſt in mir wieder, wie die Sonne

Im kleinſten Tröpflein Waſſer glüht!

Nichts! Aber ich empfinde Leben, Sehnſücht'gen Dranges hohes Streben

Führt mein Gemüth dem Himmel zu;

Dich ſucht mein Geiſt und will Dir nah ſein, Die Seele ahnt und fühlt Dein Daſein, Denkt: Ich bin darum biſt auch Du!

Du biſt! des Weltalls Ordnung kündet, Das Herz im heil'gen Drange ſpricht's, Der forſchende Verſtand ergründet:

Du biſt und ich bin nicht mehr Nichts! Ein Theil des großen Ganzen ſteh' ich Inmitten Deiner Schöpfung ſeh' ich Mich als Vermittler hingeſtellt

Der Weſen all' aus Dir geboren,

Bin ich zur Einigung erkoren

Der Körper⸗ und der Geiſterwelt.

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Ich bin das Band der zwei Naturen N Die ſich vereint in Raum und Zeit,

Die Gränze ird'ſcher Kreaturen,

Der Anfangspunkt der Göttlichkeit.

Wohl muß mein Leib in Staub vermodern,

Doch kann mein Geiſt den Donner fodern, Ein König Sklav' Wurm Gott bin 1 Doch alſo wunderbar verſchlungen, |

Wer ſagt mir, woher ich entſprungen,

Konnt' ich doch nicht entſtehn durch mich!

Dein, Dein Geſchöpf bin ich, Vollender Der Schöpfung, mich erſchuf Dein Wort! Du Quell des Lebens, Segenſpender,

Licht meiner Seele und mein Hort!

Um Deinen Rathſchluß zu erfüllen,

Muß ich in Sterblichkeit mich hüllen,

Ob auch mein Weſen todesfrei,

Ein Raub des Grabes ſein auf Erden, Um einſt durch Dich erweckt zu werden, Daß ich bei Dir unſterblich ſei!

Die Nacht verhüllt Dich mir, es blendet Mein forſchend Aug' Dein Glanz am Tag, Daß ich zu Deinem Licht gewendet, 8 Kaum Deinen Schatten zeichnen mag. Doch drängt mich's vor Dich hinzutreten, Lobſingend, Herr, Dich anzubeten,

Dein iſt mein ganzes Herz und Sein.

Ich muß den Blick zu Dir erheben

Und im Unendlichen verſchweben

Und Thränen heißen Danks Dir weih'n.

Twei Kofen.

Schlaf nicht mehr! zwei junge Noſen Mit dem Frühthau bring ich Dir, Heller als bei Liebeskoſen Silberthränen glühn ſie Dir.

Friſcher nach der Wetter Toſen Glänzt das Laub, iſt rein die Luft; Und die Blumenthränen koſen Heimlich mit dem Blumenduft!

*

Die Sterne.

Ich ſtarrte und Rand unbeweglich Den Blick zu den Sternen gewandt, Da wob zwiſchen mir und den 5 Sich hell ein vertrauliches Band.

Ich dachte, weiß nicht was ich dachte, Fern klang's wie ein ſeliger Chor, Leis bebten die goldenen Sterne, Nun lieb' ich fie mehr als zuvor!

a

Buhige, heilige Nacht.

Ruhige heilige Nacht!

Dämmerig ſcheinet der Mond. Süß ift, o Mädchen, Dein Kuß, Während der ruhigen Nacht. |

Freundin, im Dunkel der Nacht Wie kann ich traurig noch ſein? Hell wie die Sterne bit Du Während der ruhigen Nacht.

Freundin, die Sterne ſind ſchön Und auch die Trauer iſt ſüß; Du biſt das Liehfte mir doch Während der heiligen Nacht.

Bodenſtedt. VII. 10

146

Golden glühn der Berge Gipfel.

Golden glühn der Berge Gf, Kühlung haucht der Wind̃ Träumend wiegen ſich die Wipfel, Schlaf, mein holdes Kindſd

Sangen ſchon die Nachtigallen,

Wie der Tag entrinn ;;; Meine Saiten auch verhallen: Schlaf, mein holdes Kind! 5

Alles ſchlummert nah und ne Athmet leis und lind; N Hoch vom Himmel grüßen Stecher‘ Schlaf, mein holdes Kin!

147

Flüſtern, athemlcheues Laufen.

Flüstern, athemſcheues Saufen, Nachtigallenſchlag;

Silberglanz, des Bächleins Maher Träumeriſch im Hag.

Licht der Nacht und nächtlich Dunkel, Schatten rings umher, | Schöner Augen Glutgefunfel, Herz, was willſt du mehr?

Aus den Wolken blühen Roſen Und es glüht im Hag; Wolluſtthränen, ſüßes Koſen Und der Tag, der Tag! |

10*

148

Klitternächtige Bilder.

Mlitternächtige Bilder erſcheinen Funkeln hell in der ſchaurigen Nacht; Doch mein Auge, verdüſtert vom Weinen,

Kann nicht faſſen die ſchreckliche Pracht.

Mitternächtige Bilder erſchimmern

Mit Geſtöhn wie ein Kranker im Schlaf, Und ſie kommen und ſchwinden mit Wimmern, Doch wer weiß von dem Schmerz der ſie traf?

Mitternächtige Bilder laut brüllen,

Wie der Hölle gepeinigte Brut,

Und die Schrecken des Abgrunds enthüllen Gleichwie Stürme die Schrecken der Flut.

Aus verſchiedenen Dichtern

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! 7 * £ -

Karamfin.

Das Lied vom guten Zaren.

lar einmal ein guter Zar, Hochgemuth und geiſtesklar.

Alle liebten ihn als Vater,

Ehrten ihn als Freund und Rather.

Liebt die Kinder auch der Zar

Sorgend für ſie immerdar. Und er ſteigt herab vom Throne, Meidet Prunkgemach und Krone.

Als ein Wandrer reiſt der Held Forſchend durch die ganze Welt Stab und Ranzen ſein Geſchmeide Und Gefahren ſeine Freude.

Doch warum verließ er Land,

Thronesglanz und Fürſtenſtand? Und was trieb ihn ſich zu plagen, Hitz' und Kälte zu ertragen?

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Daß er Gutes allerwärts Sammeln möge, Geiſt und Herz Ernſt zu läutern durch das Wiſſen Und die Kunſt war er befliſſen,

Um mit ſeiner Weisheit dann Zu erleuchten Jedermann, Seiner Kinder Ruhm zu mehren, Sie des Lebens Kunſt zu lehren.

O du großer Zar und Held, Erſter, erſter Fürſt der Welt! Ob Ihr forſcht nach allen Winden,

Werdet keinen Zweiten finden. r

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Shukowsky.

Nacht.

Des Tages letztes Glühn verſchwand Schon in den purpurfarbnen Wogen, Schon dunkler wird der Himmelsbogen Und kühler Schatten deckt das Land. Die Nacht bricht an in tiefem Schweigen Und vor der Sterne goldnem Reigen, Dem Tage wie zum Abſchiedsgruß, Strahlt glanzvoll hehr der Hesperus.

Himmliſche Nacht, o deck' uns zu

Mit deiner dunklen Zauberhülle,

Uns mit Vergeſſenheit erfülle

Und ſchenk' dem müden Herzen Ruh! Laß uns in deinem Schutz geborgen Frei ſein von Kummer und von Sorgen, Lull' uns in Schlummer mild und lind, Wie eine Mutter thut ihr Kind.

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Delwig.

Lied.

Sang wohl, ſang das Vögelein, Und verſtummte.

Ward dem Herzen Freude Ne. Und Vergeſſen. A

Vöglein das ſo gerne ſge, Finite

Warum ſchweigt es? in an Herz, was iſt mit dir geſchehn, 8 Daß du traurig? 4 del

Ach das Vöglein tödtete 7 1 Rauher Schneeſturm,

Und das Herz des Burſchen er Böſes Reden.

Wär' das Vöglein gern gegen Anl. Fort zum Meere, ul Wär' der Burſche gern oben

In die Wälder. Un?

In dem Meere treibt die 2 Doch kein Schneefturm Wilde Thiere birgt der Wald, Doch nicht Menſchen.

ee ee

re

Dawydoff.

I. Der Mlorgenſtern.

Heult das Meer und hebt die Wogen Und allein auf dunkler Bahn,

Von der wilden Flut umzogen

Machtlos ſchwimmt mein ſtolzer Kahn.

Doch ich Glücklicher, ich ſehe Vor mir meinen guten Stern, Sorglos ſing' ich alles Wehe, Alles Bangen iſt mir fern.

Sternlein, das den Tag verkündet Goldner als das Morgenroth, Seh ich dich mit mir verbündet, Kenn ich keine Erdennoth.

Doch wenn deine Strahlenhelle Nicht das Sturmgewölk durchbricht, So verſchwindet auf der Stelle Meine ſtolze Zuverſicht.

156

II.

alem im dun.

40 Der drüdend ſchwüle Tag hat ausgegläht/ 4211 4 Der ſtummen Dämmrung halbdurchſt en Schatten gab

Labenden Aufenthalt. nr Bahr Das Wetterleuchten hinterm Berg ber Und neuerfriſcht vom Abendt au 9

Die Wieſen rings und Wälder duften 1 In ganzer Schönheit ſchwimmt der Mond in Himmelshöhn, Und ſein geheimnißvoller Glanz nährt ſüßes Träumen, Und an den ernſten Lorbeerſtrauch gelehnt 2 Haucht ihren Duft die junge Roſe.

157

Dimitrijew.

I Die dublin und der Wanderer.

Ä 8 Sprich, warum ſitzeſt du dort auf dem 8 0 ſo l

: Turteltaube. Um meinen lieben Tauber traur' ich.

f Wanderer. Verließ er untreu dich, daß du jetzt ſo in Noth?

i Turteltaube. ch nein: Ein Jäger ſchoß ihn todt.

Wanderer. glückliche, auch du fürcht' vor dem Jäger dich!

Turteltaube. ozu? Der Gram bald tödtet mich.

18

II.

Ir ich im Liede Deine Liebesthränen,

Und machen fie mich lachen oder gähne,

So zürnſt Du mir und ſagſt, mir ſehlts an e

Kann 5 er f daß lächerlich Dein ee m - aa nenn, re

nl Wim ni

re er 15 Er 9 Du 1 den griedbof u 2 Das Endziel aller Erdennoth, 4 Klagſt Morgens um den Tod von Andern, men A 2 Und Abends biſt Du ſelber todt. 4

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19

Gräfin Koſtoptſchin.

T. ; Der fallende Stern.

Er ſchoß herab im nächt'gen Grauen Sah ich, wie er ſich niederſchwang, Doch fand nicht Zeit ihm zu vertrauen, Was wünſchend mir das Herz durchdrang.

Ich ſah ihn fallen und entſchweben: Warum ward ich nicht auch geweiht, Wie dieſer Stern, zu einem Leben Der Freiheit und der Schnelligkeit?

Gleichwie der Stern könnt' ich vom Himmel Mich ſtürzen in die blaue Fern,

Und fliegen durch das Weltgewimmel

Und glanzvoll ſterben wie der Stern.

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Herbfiabend.

UMleht es, heult es trüb und ſchaurig, Dunkel iſt die Nacht und kalt

Und mein Herz, ach, iſt ſo traurig, Mich erdrückt des Grams Gewalt. Trauer weckt es mir und Kummer Herbſtes Nah'n vorauszuſehn, Me Trauer auch, ſeh ich im Schlummer Die Natur bei Sturmeswehn. 25

Alles auferſteht uns wieder,

Weckt der Frühling die Natur, Und der Mai bringt Luſt und Lieder, Und es grünt in Wald und Flur.

Doch wenn unſer Herz verblühte Früh im Kampf mit dem Geſchick - Neues Glück und neue Blüte Bringt kein Frühling mehr zurück.

161

Woßkreſſenßky.

Lied.

O frage nicht nach meinem Harme, Warum der Schlaf mich flieht, frag' nicht, Warum ſelbſt, wenn ich Dich umarme, Die Thräne mir ins Auge bricht.

Argwohn und Zweifelſucht gewannen

Nie Herrſchaft über meinen Geiſt,

Und doch kann ich die Furcht nicht bannen, Daß Dich das Schickſal mir entreißt.

O Du, die ich mein Alles nenne,

Erlöſe mich von meiner Noth,

Fleh auf zu Gott, daß nichts uns trenne, Im Leben nicht und nicht im Tod.

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——

Ich weiß, Du liebſt mich treu und innig, Das iſt's, warum mein Herz mich quält Denn ſo gewöhnt ans Unglück bin ich, Daß mir ans Glück der Glaube fehlt.

g. Botenſtedt. vII. 11

Alersjew.

Lied.

Im heimiſchen Land ſteht ein friedlicher Hain, Mit träumendem Lorbeer und ſchwellendem Rain, Aus dunklem Gezweig ſchallt der Nachtigall Lied, Und ſchimmernd und plätſchernd die Waldquelle zieht, Hell funkelt die Sonne auf ſaftigem Grün, Und üppige Roſen, friſchduftende blüähn. Hoch über der Meerflut in ruhiger Pracht

Der Hain liegt von ſchützenden Bergen bewacht, Ihm ſchadet kein Sturm und kein Donnergetön, Es trifft ihn kein Blitzſtrahl aus wolkigen Höhn. Stets blüht er und prangt er ſo duftig und mild, Der Frühlingspracht nimmer vergängliches Bild.

Suchanoff.

Die öde Hütte.

Liebe Schwalbe, fliege nicht, Fliege nicht und ſchwing' dich nicht Auf mein altes Hüttendach!

Ach, zu meiner Hütte ſchon Längſt verwachſen iſt der Pfad Dicht mit Unkraut und Geſtrüpp.

Ganz zerfallen iſt das Dach

Und zerbröckelt iſt die Wand Und die Decke eingeſtürzt. Denn der Hütte fehlt der Wirth, Alles liegt hier im Verfall,

Und du findeſt keinen Ort

Um dein Neſtchen dranzubaun.

11*

Großfürſtin .

Feühlingsahenv.

Die Erde ruht, und Wolken ſchweben Vergoldet von dem Abendglühn, Verſtummt iſt ringsum alles Leben, Der Thau blitzt auf dem Wieſengrün.

Der Wind ſpielt mit den jungen Blättern, Die Quelle rieſelt leis durchs Thal; Still ift es, wie vor nahen Wettern Da donnert's fern und blitzt zumal.

Und tiefe Stille ſenkt ſich nieder

Und Dunkel über Wald und Flur,

Müd hängen alle Zweige nieder, Schlafloſe Blättchen ſäuſeln nur. i

Die Dämmrung weicht der Nacht allmälig, O Liebesſtern, wie hell du ſcheinſt!

Dem Herzen wird ſo lind und ſelig

Wie in der frohen Kindheit einſt.

Polowtzoff.

4 ——

Troſt.

4 Schlag nicht wegen kleiner, alltäglicher Plagen

Gleich trüb und verzagt an die ſtürmiſche Bruſt,

Wie ſchlimm auch Dein Schickſal, Du darfſt nicht verzagen, Aus heutigem Leid wächſt die kommende Luſt.

Des Augenblicks Springflut in ſchimmerndem Steigen Glänzt häufig von Perlen und Edelgeſtein Merk auf, und Dein Genius wird es Dir zeigen, Greif zu, und das koſtbare Kleinod iſt Dein.

I

ie | | Arbeiten und Beten giebt ächte Brillanten, Die glänzend erſtehn aus des Augenblicks Flut, 1 Verbunden mit Liebe ſind dieſe Giganten

1 * Glückes und Friedens bewährteſte Hut.

Grekoff.

A

in Mi 18 ö Beim Scheiden im Garten wir ſaßen ach lange, i 4 Beredt war die Zunge und feucht war die Wange, Es bebten und flüſterten ringsum die Baum, Und wir träumten mit ihnen ſelige Sehe f 1 ir fs * u So lieblich umſtrahlte des Mondlichts Gefunkel 0 Dein bleiches Geſicht und Dein lockiges Dane, 17 . In jener Minute der Lieb' und des Scheidens Erlebten wir viel wie des Glücks ſo des Leidens. : 147 An ae

167

Turgenjew.

Die Keile.

Hohl im Wald im Blättergolde Hellen Tons die Meiſe ſingt.

Gruß dir, Sängerin, du holde Botin, die den Herbſt uns bringt!

Ob ſie droht mit Sturm und Regen Und den Winter prophezeit, Haucht doch deine Stimme Segen, Athmet helle Freudigkeit.

Die mir tief zu Herzen dringen, Sind die ſüßen Töne nur Ein bewußtlos leeres Klingen Der gleichgültigen Natur?

Oder iſt auch dir gegeben,

Wie dem Menſchen, jene Luſt, Jene Freud' am ſchönen Leben, Die du ſtrömſt aus voller Bruſt?

Sr

Tiutſchew.

5 IN 1

Die leide

Tlarum tief zum Waſſer ſenkſt du, Weidenbaum, dein ſchwankes Haupt? Deine Zweige zitternd hängſt du, In die Flut, die flüchtige, drängſt dn Gierig, wie man Küſſe raubt. 5

Wie auch zitternd, wie auch bangend Jedes Blatt ſich drängt zur Flut: In der Sonne Schimmer prangend, Springt ſie fort, vor dir nicht bangend, Lacht dich aus voll Uebermuth.

19

Fürft Wiäſemsky.

Epigramm, Goldhubers Reichthum wächſt mit jedem Jahre, Dabei härmt er ſich ab und ſinnt nur, wie er ſpare;

| Ein neues Erbtheil wäre fein Verderben: Er würde bald vor Hunger ſterben. | . C

I. Unter das Portrait Alexander I.

Beſcheiden im Triumph und feſt im Sturm und Wetter, Wie bringt man ſeiner werth ihm Huldigungen dar? Weltall, beug' dich vor ihm; er war dein Retter! Rußland, ſei ſtolz auf ihn; er war dein Sohn und Zar!

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shirt m iht Euch ı

m | Schreibt einfach auf mein Grab er

Aryloff.

Dem Andenken einer Freundin.

Elie Morgens Frühlingsthau auf Blumen fällt, So ſchimmerte ſie kurz in dieſer Welt,

Sah lächelnd ſich das irdiſche Treiben an

Und flog zurück zum Himmel dann.

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Nachträgliches von A. Pufchkin.

ier folgenden Lieder wurden (gleichwie

Feth, Turgenjew, Tjutſchew und ein paar von

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Die h

laſſung der Frau Viardot- Garcia übertragen,

Muſik

geſetzt hat.

Das Blümlein.

Im Buch ein Blümlein ſeh ich liegen, Vergeſſen, duftlos und verblüht; Gedanken, wunderſame, fliegen

Mir bei dem Anblick durchs Gemüth.

Wo blühte ſie? wann und wie lange? Wer pflückte ſie? durch was bewegt? In welchem Lenz? an welchem Hange? Warum ward ſie hieher gelegt?

Als Zeichen holden Wiederfindens, Als unheilvoller Trennung Mal? Oder des ſeligen Verſchwindens Im dunklen Wald, im ſtillen Thal?

Und lebt er noch? lebt ſie noch heute? Wo weilen ſie zu dieſer Friſt?

Oder ſind ſie des Todes Beute, Verwelkt wie dieſe Blume iſt?

O wenn es wahr if, dab zur Naht.

O wenn es wahr iſt, daß zur Nacht, Die in den Schlaf lullt alles Leben Und nur des Mondlichts bleiche Pracht Läßt um die Grabesſteine weben

O wenn es wahr iſt, daß dann leer Die Gräber ſtehn, die Todten laſſen, Erwart ich Dich, Dich zu umfaſſen, Hör', Leila, mich! Komm her!

Erſchein' aus Deinem Schattenreich,

Ganz wie Du warſt vor unſerm Scheiden, Dem kalten Wintertage gleich,

Das Angeſicht entſtellt von Leiden:

O komm, ein ferner Stern, daher,

O komm, ein Hauch, ein leis Getöne, Oder in ſchreckenvoller Schöne,

Mir iſt es gleich, komm her!

Ich riefe Leila darum nie,

Des Grabs Geheimniß zu erfahren, Auch nicht zum Vorwurf gegen die, Die meiner Liebe Mörder waren,

Auch darum nicht, weil oft mich ſchwer Die Zweifel quälen nein! zu ſagen, Daß treu, wie ſtets mein Herz geſchlagen, Es jetzt noch ſchlägt. Komm her! |

17

Nachts.

1 Die Töne, die ſich ſanft und ſehnſuchtsvoll Dir neigen, Diurchdröhnen ſpät der Nacht geheimnißvolles Schweigen. Mein Licht glimmt neben mir, der traurige Gefell

Der Nacht! und voll von Dir rauſcht hell mein Liederquell, 14 Von Dir, von Dir allein, mir mehr als Alles theuer. Vor mir Dein Auge glüht mit liebeshellem Feuer,

Es lächelt freundlich mir und ſelig klingt's dazu:

3 Mein Freund, mein ſüßer Freund, mein Glück, mein All 1 Da Du!

F. Bodenſtedt. VII. 12

178

Der Gekangne.

Ich ſitz' hinterm Gitter im feuchten Gemach, Ein Adler, ein junger, ſteht aaſend am Fach. Mein trüber Gefährte, er aaſ't mit Geräuſchh, Er flattert und hackt in das blutige Fleiſch.

Er hackt es und wirft's und zum Fenſter er ſchaut ; jut i

Als wär er mit meinen Gedanken vertraut.

Er ruft mir und kreiſcht mir ein mahnendes Wort, N

Als wollt' er mir ſagen: „Jetzt fliegen wir fort! Wir fliegen ins Freie, 's iſt Zeit, ja, 's iſt Zeit, Dahin, wo die Berge ſich dehnen ſo weit,

Dahin, wo das Meer glänzt in bläulichem Strich, Dahin, wo nur ſchweben die Lüfte und ich!«

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Schlaflos lieg' ich.

Schlaflos lieg' ich, ohne Licht, Quälend drückt mich Langeweile, Nur der Uhr einförm'ge Eile

Dumpf die Stille unterbricht.

Durch die Nacht ſo trüb und düſter Zuckt der Parze leis Geflüſter, Huſcht des Lebens ſcheuer Gang. Ach, wie währt die Zeit ſo lang! Horch, was murmelt da ſo ſchaurig? Wie ein Vorwurf klingt's ſo traurig!

Warum wird's um's Herz mir bang?

Sprich, geſpenſterhaftes Weſen! Rufſt zum Guten du, zum Böfen? Deiner Sprache leiſes Flehn Möcht' ich endlich doch verſtehn.

12 *

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Kauft es, rauſcht's im Eichenwalde, Nebel deckt die grüne Halde; Mütterchen, den Sohn fortjagend, Spricht: Geh', ſollſt mich nicht mehr grämen Mögen dich die Türken nehmen! Mutter, nein! doch ſelber Pferde Ich den Türken rauben werde!

Rauſcht es, rauſcht's im Eichenwalde, Nebel deckt die grüne Halde; Mütterchen, den Sohn fortjagend, Spricht: Geh', ſollſt mich nicht mehr grämen Mögen dich die Horden“) nehmen! Mutter, nein! mir Schätze ſchenken Werden ſie und mein gedenken.

Aelt'ſte Schweſter führt das Pferd ihm, Trägt die zweite Lanz' und Schwert ihm; Doch die jüngſte fragt den Bruder: Bruder, wann wirſt von den Heeren

Du zur Heimat wiederkehren?

) Tatarenhorden.

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Eine Handvoll Erde ſäe, Schweſterchen, auf einen Stein hin, Und mit Tagesanbruch gehe

Bei der Morgenröthe Schein hin, Feucht' es an mit deinen Thränen Fängt die Erde an zu blühen,

Wird dein Bruder heimwärts ziehen!

Rauſcht es, rauſcht's im Eichenwalde, Nebel deckt die grüne Halde; Mütterchen, den Sohn rückrufend, 1 Spricht: Kehr' Sohn, dort droht Gefahr ee Komm', ich kämm' dein langes Haar dir! Mutter, dichte Dornenbüſche e Kämmen's bald und Sturmgeziſchet Feuchten wird's des Regens Friſche .

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Die Winde heulen, es wogt das Gras,

Der arme Koſak liegt todt und blaß;

Auf ſchwankendem Sträuchlein ruht ſein Haupt, Die Augen von grünen Blättern umlaubt.

Iſt zur Erde gefallen ſein blank Geſchoß,

Steht ihm zu Füßen ſein ſchwarzes Roß;

Doch ihm zu Haupte, im hohen Gras,

Ein taubenfarbiger Adler ſaß.

Und er pflegt den Koſaken, bringt Troſt ihm dar, Hüpft um fein Haupt mit dem Lockenhaar ..

Und der Koſak ſpricht dem Adler zu:

Sei, grauer Adler, mein Bruder du!

Und wenn du anfängſt, o Bruder Aar,

Mir auszuhacken mein Augenpaar:

Fliege, fliege zu meiner Mutter hin.

Bring' der Mutter, der vor Gram ſich verzehrenden, Kunde vom Sohne, dem nimmer kehrenden;

Aber wiſſe, Bruder Aar, eh' du zu ihr fliegſt,

Was du, wenn ſie dich fragt, ihr zur Antwort ſprichſt: Sag' der Mutter: Dein Sohn im Dienſte ſtand Bei dem Chane der Krimm, dem Tatarenland, Hat durch den Dienſt gewonnen eine Königsmaid, Eine Todtengrube auf kahler Haid'!

186 r

Tum Marſch, zum Abmarſch pfeifen die Koſaken um Mitternacht;

Aus hellem Auge weint ana |

Sie weint und klagt.

Nicht weine Marie, nicht klage, mein nd! Sei nicht ſo trüb': pt Zu Gott im Himmel bete, mein Kind,

Bet' für dein Lieb!

War die Sonne verſchwunden, am Simmel bon | Scheint hell das Mondenlicht; |

Giebt die Mutter Geleit dem ga wo 7

Und weint und ſpricht:

Leb' wohl, mein Herzchen, leb' wohl, mein Kind! 5

Weil' nicht zu lange beim Heer Und wenn vier Wochen verfloſſen ſind, Zur Heimat kehr'!

O Mutter, gern riß ich mich bald wieder los, Und käme zurück zu dir;

Doch ſieh'! es ſtrauchelt mein ſchwarzes Roß Im Thorweg' hier.

187

O, Gott weiß wann ich heimwärts zieh' Und euch hier wiederfind';

Doch Mutter, nimm meine Marie auf wie Dein eigen Kind!

Nimm zu dir mein Mädchen, ſo tröſt' ich mich, Wir ſtehen in Gottes Hand

Wer weiß, ob ich kehr' vielleicht ſterbe ich Im fremden Land!

O gern zur Tochter nehm' ich Marie, Daß du dich nicht betrübſt;

Doch wird ſie mich auch lieben, ſie, Wie du mich liebſt?

O weine nicht, Mutter, o klage nicht mehr!

Hell' auf den trüben Blick.

Sieh'! es bäumt ſich mein Roß, es ſpringt daher, Ich kehre zurück!

4.

Braut es, weht es, und der Biene Gipfel tief ſich neigen

Thut mir's Herz weh und ins Auge Bitt're Thränen ſteigen.

Trüb' in endlos bitt'rem Kummer Meine Tage ſchwinden Nur in heißen Thränen kann ich Noch Erleicht'rung finden.

Thränen tröſten, doch ſie bringen Glück nicht, das verſchwunden Nie vergißt wer Glück genoſſen, Währt's auch nur Sekunden!

Und doch Menſchen giebt es, die mein Schickſal mir beneiden;

Iſt der Halm auch glücklich, dorrend Einſam auf der Haiden?

Ohne Thau und ohne Sonne Auf der Haid’ im Sande... Traurig ohne den Geliebten Iſt's im fremden Lande!

189

Ohne ihn hab' ich kein Schickſal, Scheint die Welt Gefängniß

Ohne ihn nicht Glück noch Ruhe: Noth nur und Bedrängniß.

Sprich, wo biſt mein Lieber mit den Schwarzen Augenbrauen? Komm', den Kummer, den du ſelber Mir gemacht, zu ſchauen! .. f

O, zu wem ſoll ich mich wenden? Wer, der mit mir gern iſt?

Der mich liebt und den ich liebe Wenn der Eine fern iſt?

Hätt' ich Flügel, zum Geliebten Schnell geflogen käm' ich,

Aber hier mein junges Leben Welk' ich und vergräm' ich.

190

Da |

Eine Hopfenranke im Garten allein Schlängelt zur Erde ſich; Unter den Menſchen ein Mägdelein

Weinete bitterlich.

O grüner, blühender Hopfen, warum Rankſt nicht nach oben zu?

O liebes, junges Mädchen, warum Fluchſt deinem Schickſal du?

Kann die Hopfenranke nach oben blüh'n, Wenn keine Stütze ſie hält?

Kann des Mädchens Auge vor Freude glüh'n, | Wenn ihr Koſak ihr fehlt? i

191

6.

* aus der Ferne ein Kuckuck geflogen, Flog durch Feld und Hain;

War aus ſeinem Fittig eine oe 3 In die Donau hinein.

O gleich der bunten verlorenen Feder, Die der Strom fortreißt i Schwindet mein Leben im Temaden: Lande Einſam, verwaiſt!

Floß mein Leben hin auf der Welle

Ein einfam Blatt. |

Fort! was wahr 100 den BR den Er mir Gegeben hat!

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192 |

7.

Vor Weh' mir Herz und Kopf dergehn / 2 f Die Thrän' in's Auge bricht; ud Hall Hab meinen Liebften nicht geſeh'n, Nicht geſtern, heute nicht!

Scheint mir, daß ich nicht traurig bin, Mein Herz nicht kummerſchwer; | Doch geh' ich aus dem Haufe hin, So ſchwank ich hin und her.

Scheint mir, daß keine Thräne fließt / A Und weine doch fo ſehr!

Viel fremder Leute Schwarm mich gräßt: Von Ihm kommt Niemand ber! 285050

Mein Liebſter, mein Herzlieb verblich, Schwand meine Sonne hin, 5

Und Nichts kann mich jetzt freu'n, wenn ich Allein am Fenſter bin!

Mein Liebſter, meine Sonne blich, Des ſchwarzen Auges Pracht Mit wem jetzt plaudre, koſe ich In ſtiller, dunkler Nacht?

a

O immergrüner, ſchlanker Strauch, Senk' dich herab zu mir! Herzliebſter mit dem ſchwarzen Aug', Komm', ſetz' dich her zu mir!

O immergrüner, ſchlanker Strauch, Senk tiefer dich zu mir!

Herzliebſter mit dem ſchwarzen Aug‘, Komm', ſetz' dich näher mir!

Er hört nicht meiner Stimme Ton, Mein Lieb iſt nicht mehr hier! Verhüllt jetzt Gras und Raute ſchon Die Spur des Fußes mir.

Das Gras, das hohe, werf' ich fort, Die Rauten reif ich aus: Vielleicht daß dann mein Liebſter dort Zurücke kehrt nach Haus.

Nein, nicht zu ſuchen geh' ich mehr Den der mich ſo betrübt!

Nein, nicht den Einen lieb' ich mehr, Den ich ſo ſehr geliebt!

Ich ſtreife nicht im Morgenlicht Beim Schloſſe mehr umher; Ich treffe meinen Liebſten nicht, Mein Liebſter iſt nicht mehr!

F. Bodenſtedt. VII. 18.

*

194

Ich wandle nicht mehr waldeswärts Zum Nüſſeſuchen d'rin

Der Jugend heit'rer Tand und Scherz Sind längſt für mich dahin!

's iſt traurig mich ſo jung zu ſeh'n, Wie Reiz und Herz verdorrt.

Nichts bleibt mir als zum Som zu gehn, Hinabzuſpringen dort! |

W 8 * 5 * 1 TEE K

mw.

8.

Tum Niemen zieh' ich; | Heida! mein gutes Thier, ö Spring', bäum' dich unter mir! 3 Liebchen, leb' wohl! 4 Ziehſt du zum Niemen fort, läßt du mich hier allein. Was aber⸗- ſuchſt du dort, ſag mir, Herzliebſter mein? Scheint es dir fern von mir, weit an des Niemens Strand, Schöner als bei uns hier, bei uns im Vaterland?

Ich ziehe hin, wo

Wild es von Roſſen ſtampft Heiß aus der Erde dampft Feindesblut roth!

4

1

*

13

vi Be:

.

Willſt dich berauſchen im Blute, dem heißen? Willſt dich dem Arm' treuer Liebe entreißen?

Hier haſt meine Thränen, hier haſt du mein Blut! Nur zieh' nicht von hinnen und bleibe mir gut!

Nicht weine, mein Lieb! 1 Iſt unſer Feſt vollbracht, Kehr' aus der heißen Schlacht, Kehr' ich zu dir! 13

16

Nein, nein, mein Geliebter! kehrſt nimmer nach Hauſe! Es wird dich verſchlingen das Schlachtfeld, das grauſe; Sieh' es hält den Kopf trauernd zur Erde dein Rapp:

ig dem blutrothen Schlachtfelde find'ſt du dein Grab!

Wenn der Rabe dir zu Hoch über'm Fenſter ſchreit, Zu dir vom Meere weit Eilt dein Koſak!

Senkt der Gipfel der grünen Platanen ſich nieder, Wenn der Eichwald ſtöhnt, und der Kuckuck ruft wieder; Wenn unter dir wiehernd hoch bäumt ſich dein Rapp, Dann ruh' ich ſchon lange im kühlen Grab! ...

197

9.

Fliegt ein Adler über's Meer hin, Himmelauf zu fliegen ſcheint er; Grämt ſich der Koſak, der alte, Seine Jugendzeit beweint er.

Spricht: O meine jungen Jahre! Sagt, wo ſeid ihr hingezogen? Seid in Wieſen, ſeid im Felde, Seid im grünen Wald verflogen?

Ohne Nutzen, ohne Segen, Schwindet des Koſaken Beute: Was er geſtern ſchwer errungen, Leichten Sinn's vertrinkt er's heute.

n

10.

Meint und klagt Gregors alte Frau Wie eine Wachtel, eine Wachtel auf öder Au.

Hat die junge Schweſter Windröschen *) genflüct, Und fragend auf zur Alten blickt: |

Was bedeuten die Blümlein weiß und roth, Des Koſaken Leben oder ſeinen Tod?

»Die Blumen wuchſen, mein Täubchen, im Walde hier, 3 Das Unglück pflückte fie, das Unglück gab fie dir!«

Kind weine nicht, trockne die Thränen ab: Du weckſt nie unſern Iwan im kalten Grab!

) Windröschen im Kleinruſſiſchen fon trawa Anemone patens; die Völker der Ukraine ſchreiben dieſer Blume prophetiſch Eigenſchaften zu, und eben deswegen ſcheint mir obiges Lied der Be, achtung werth. Bekanntlich ſchoſſen, nach der Mythologie der Alten die Anemonen aus den Thränen auf, welche Venus über Adoni weinte. 4

199

14.

Sag', Mädchen, wo werden wir ſchlafen zur Nacht? «

L 2m Schatten dort unterm Tannenbaum,

Der hoch her hinter der Wieſe ragt.«

»Doch worauf, mein Mädchen, ſchlummern wir ein? «

»Auf des hohen Raſens ſchwellendem Flaum,

Das wird unſer weiches Bette ſein!«

»»Sag', Mädchen, womit wir uns bedecken? «

1 »uUns hüllt der Nacht ſchwarze Dede ein!« »Und wer wird am frühen Morgen uns wecken? «

»Das Gezwitſcher der muntern Vögelein!«

»Und wachen wir auf beim Tageslicht,

Womit waſchen wir Hände uns und Geſicht?«

»Du wäſchſt mit dem friſchen Morgenthau dich,

Ich mit meinen bittern Thränen mich!«

| »Doch was zum Frülſtück eſſen wir,

Mein Mädchen! eh' wir uns trennen hier?«

»Du wirſt dich von des Waldes Beeren

Ich mich von meiner Schande nähren!«

»Und hernach mein Mädchen, wohin gehen wir?«

„Geh' zum Teufel, geiler Verführer du!

Ich fliehe den dunklen Wäldern zu!«

nne a en

12.

Hoch zwiſchen Blumen und Wintergrün,

Die auf dem Gipfel des Berges blühn, 7 Sitzt eine Wachtel und hellen Tons ſingt ſie. | Auf, auf! junge Burſchen, wer fängt fie, wer e fer

Und es ſpricht der Staroft:**) Nein, ich trete mud, Mein Roß überklimmt nicht den Felſenrück, N Und die Sonne wird längſt untergehn, i

Eh' wir auf dem Gipfel des Berges ſtehn!

Hoch ſitzt die Wachtel und hellen Tons ſingt fie Wer von euch Burſchen wagt es, wer bringt ſie?

Und es ſpricht der Woit: ““) Nein, ich wag' 18 nicht, u. ſ. w.

Hoch ſitzt die Wachtel und hellen Tons ſingt fe. Wer von euch Burſchen wagt es, wer bringt fie?

Und es ſpricht der Chorundſhi: 4) Nein, ich wag' es nat, ar w. ü |

) Ein Hochzeitslied, welches ich nebſt einigen andern Liedern, einer von Venceslaw Zaleski 1833 in Lemberg herausgegebenen Samm⸗ lung von galiziſchen Volksliedern in ruſſiſcher und polniſcher 9 entlehnt habe. |

) Staroft Amtmann oder Aelteſter eines Dorfes. ) Woit Prevbt. 1 7) Chorundſhi Fahnenträger in einem Koſakenregimente.

21

N Hoch ſitzt die Wachtel und hellen Tons ſingt ſie. Wer von euch Burſchen wagt es, wer bringt ſie?

Da ruft alles Volk in wildem Hauf:

»Der junge Baſil, der ſteigt hinauf!

Der wird auf des Berges Spitze gelangen, Noch ehe die Sonne untergegangen!

Sein falber Hengſt iſt ſchnell wie der Wind, Err überſpringt Felſen und Sträuche geſchwind Er wird auf den Gipfel des Berges gelangen, And Baſil die ſingende Wachtel fangen

Die Wachtel dort oben iſt die junge Marie. Der brave Koſak ſchaut hin auf ſie

Und er wirft von ſich fein blank Geſchoß; Arnd er ſpornt fein Roß, fein falbes Roß,

4 Kommt auf dem Gipfel des Berges an Bei der Hand nimmt er Maria dann, Führt fie ihrem Vater entgegen

And bittet um ſeinen Segen.

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13.

Beugen ſich die dichten Zweige Vor dem Hauch des Windes Feld entlang die ſchwarzen Augen Späh'n des lieben Kindes.

Beugten ſich die dichten Zweige,

Doch nach oben kehren

Späh'ten lang die ſchwarzen Augen, Füllten ſich mit Zähren. |

Weiden, die ich ſelbſt gepflanzet, Stehn am Bach und rauſchen Des Koſak, des Liebſten Stimme Wirſt du nimmer lauſchen!

Der Koſak iſt fortgeritten

Nach der Desna ) Borden,

Wachſ' noch junges Mädchen, bis es Wieder Frühling worden!

Wuchs wohl, wuchs das junge Mädchen; Wieder Frühling ward es | Weinte, weinte heiße Thränen:

Des Koſaken harrt es.

) Desna Fluß, welcher ſich in den Dniepr ergießt.

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O, nicht weint mehr, ſchwarze Augen: Er wird nie der Meine!

Denn wir ſchwuren Liebe bei des Mondes falſchem Scheine.

Schmerzen, ſchmerzen meine Augen, Iſt mein Herz voll Wehe!

Scheint mir wüſt die Erde nimmer Ich den Liebſten ſehe!

W

14.

Mlein Mädchen, viel ſchöne, viel ſtolze Maid! Warum kamſt du nicht geſtern zur Abendzeit? »O, wie kann ich, mein Lieber, zu dir gehen, Wenn mich rings die böſen Menſchen umfpäben Laß ſie ſchwatzen mein Kind, ſich tadelnd geberden; Es wird kommen die Zeit wo ſie ruhig werden. »Doch bis die Zeit kommt, meine Ehre ſie nehmen, Und muß ich dann lebelang weinen, mich grämen! « O mein Mädchen, was ſchauſt du fo traurig d'rein, Wie der dunkle Hollunder am Ufer allein! i Sollteſt fröhlich ſein, ſollteſt lächeln und koſen, Wie zur Zeit der Blumen die duftenden Roſen! O lieb' Mädchen, werf ich mein Aug’ auf dich hin, Wie ſchön du mir ſcheinſt, wie ich ſtolz auf dich bin! Dem Fiſchlein, das ohne Waſſer darbt, gleich, Bin ich ohne dich ſchmachtend und kummerbleich! »Und auch ich liebe dich, mein Koſak, meine Freude! 3 Strafe Gott die böſen Menſchen, die uns trennen, uns a Beide |

15.

Dunkel iſt die Nacht, ich fliege Durch die Nebel, die rings ziehn O mein armer Kopf, wo leg' ich Dich heut Nacht zur Ruhe hin? | Iſt's im Feld, auf nackter Steppe Iſt's im grünen Wieſenrain? Oder wird's am weichen Buſen Meines jungen Mädchens ſein? Das mich toll gemacht, bezaubert Durch die ſchwarzen Aeugelein!

16.

Schwang vom Wald', vom dunklen Walde, Kuckuck ſein Gefieder

Setzt ſich in der grünen Halde

Eines Gartens nieder.

Fragt Mariechen ihn, die Kleine: Sollſt mir prophezeien!

Leb' ich lange noch alleine, Werd' ich balde freien?

Kuckuck hat das Wort gehöret, Spricht: Kannſt fröhlich ſeien!

Wirſt, noch eh' der Abend kehret, 5 Wirſt noch heute freien! sr

Daß du fieben Jahr' lang, Kuckuck, Kein Gehör mehr findeſt!

Weil du mir, die noch ſo jung bin, Nicht die Wahrheit kündeſt.

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2

17.

Hat die Frau den Mann geſchlagen,

Iſt der Mann zu klagen geſchritten Hört er ſich vom Richter ſagen:

Er ſoll ſelbſt um Verzeihung bitten!

Sitzt die Frau mit gekreuzten Beinen

Hoch auf dem Ofen bequemlich

Steht der Mann, in der Hand den kleinen Hut, bei der Thüre dämlich:

»Bitte, verzeih' mir, lieb Weibchen,

Daß du mich geſchlagen, mein Täubchen! Werd' auch nach dem Markte laufen,

Dir Meth und Bier zum Geſchenke kaufen!« Ach vom Meth ſchmerzt mir der Rücken, Und das Bier macht's Blut verdicken, Kauf' mir lieber Branntewein,

Das wird mir viel geſunder ſein.

Aber hör', noch einen Willen

Sollſt du, Bauer, mir erfüllen:

Vor mir tanzen, eh' du geheſt,

Sollſt du, tanzen wo du ſteheſt!

Ruft erfreut der Bauer da:

»Ei, du meine Liebe!

Sieh', ich tanz', ich tanze ja,

Sei nicht mehr fo trübe!

8

Wundert euch, ihr Herren, nicht, Wie das Spiel geſpielt,

Daß der Mann zum Tanze fliegt, Wenn die Frau befiehlt.

Unſre Zeit iſt ſo verſtockt,

Daß um's kurz zu ſagen Wem die Prügel aufgehockt,

Der muß die Schuld auch tragen.

18.

Sprach zum Mond die Abendröthe: »Du mein ewiger Gefährte! Geh' nicht auf vor mir: vereine Deinen Glanz mit meinem Glanze, Erd' und Himmel zu erleuchten,

Zu erfreun das Thier der Steppe, Und den Wanderer, den müden, Der zur fernen Hütte kehret Auszuruhn am heim'ſchen Herde. « Sprach Mariechen zum Geliebten: »O, mein Iwan, mein Verlobter! Mach' nicht vor mir Haus: zuſammen Wollen wir uns niederlaſſen, Und mit Freude füll'n zwei Häuſer, Unſrer beiden Väter Häufer. «

19.

Auf ein Grab ſetzt der Koſak ſich, Finſterm Sinnen hingegeben,

Und tief ſeufzt er, ſeine Blicke Fern hin zur Ukraine ſchweben.

Und kein Lüftchen weht der Sonne Letzte Strahlen abwärts ſchweifen; Oed' iſt's ringsum nur die Donau Fließt inmitten grüner Streifen.

Spricht alſo das Grab zum Winde: »Ruhe Wind, nie mehr zu wehen! Daß die Blumen nicht verwettern, Die auf meinem Haupte ſtehen.«

Der Koſak: »Daß Schilf dich decke! Mögſt du fiſchlos ſein und trübe! Strom, der mich zur Fremde führte, Mich getrennt von meinem Liebe!

Denke noch des heim'ſchen Ufers, Und des Bergs, der's überragte; Auf der Brücke ſcheidend ſtand ich, Als mein Vater zu mir ſagte:

»»Laß mich nicht ich bin fo alt ſchon Hier allein vor Kummer ſterben! Bleibe! Wirſt verwaiſt ſonſt ſelber

Einſt in fremdem Land verderben! F. Bodenſtedt. VII. 14

210

Fort trägt dich die wilde Donau; f Wenn dir Unglück und Gefahr dräut, ; Kann ich dir die Hand nicht reihen —«« O, mein Vater ſprach die Wahrheit! «

20.)

lie er ſchön iſt, wie er grün iſt Der Hollunder auf der Wieſe: f Doch viel ſchöner noch und zarter Iſt Maria, die geliebte!

Wenn ſie ſteht vor ihrer Pforte, Glänzt fie wie die Morgenröthe7 Tritt ſie ein zum Flur des Hauſes, Scheint ſie gleich dem Abendſterne Hinterm Wolkenflor verſchwindend. Kehrt ſie heim in ihre Wohnung, Die Koſaken alle ſtehend

Ziehen ab die Mützen, fragend: »Biſt du nicht des Zaren Tochter? Biſt du eines Königs Kind? « 0 Nein, ſagt ſie, ich bin Maria, Des Koſaken Iwan Tochter!

„) Man fingt dieſes Lied während des Weihnachtsfeſtes.

211

21.

Schon fällt auf die Steppe das nächtliche Graus, Und noch bleibt mir ein langer Weg bis nach Haus. An dies einſame Bäumchen bind' ich mein Thier,

Ich aber werde ſchlafen auf dem Grabe bier... Doch woher kommt das junge Mägdlein dort? Sie rührt die Schulter des Koſaken und ſagt ihm dies Wort: »Steh' auf, mein Koſak! Genug iſt's der Ruh', Auf dein Roß ſteig', eile dem Lager zu;

In der Stille der Nacht die Tataren nah'n, Dich und dein müdes Rößlein zu fah'n.

Mit dem Rößlein, dem müden, hat's keine Noth: Der Koſak kauft ein neues, iſt das alte todt Doch wenn dir ein Tatar den Kopf abhieb', Was würde aus mir, deinem jungen Lieb?«

14 *

m

22.

Schmied! warum ſchmiedeſt du heute nicht? Schon lange iſt's Tag! Warum weckſt du deine Leute nicht, Und biſt ſelbſt nicht wach. O wir wiſſen was dich plagt! Deine Tochter iſt entbunden Von einem Knaben zur Nacht, Iſt aus dem Hauſe verſchwunden,

Hat ihn zum Graben gebracht. nt D Dort im tiefen Waſſer hat ſie ertränkt das Kind, 8 Und fie ſprach zum fliehenden Morgenwindd - »Höre auf zu wehen, du ſtiller Wind! Wo biſt du, grauſer Orkan? Komm und jage die ſchwarzen Wolken e 4 Daß die Wege, die zu dieſem Graben men Man Sich im Waſſer verlieren! 15% e Daß die Menſchen davon keine Sus nehr ſehen / f Und nicht mehr Waſſer zu ſchöpfen zum Graben geben, Daß fie nicht mein liebes Kind aufwecken, Daß fie nicht mein trübes Herz erſchrecken!

23.

Iſt dies die Quelle, die mich gelabt und getränkt? Iſt dies das Mädchen, dem ich mein Herz geſchenkt? O böſes Geſchick! Mein Mädchen, mein Glück Einem Andern gehört!

Iſt der Quell dies, wo badend die Taube ſaß? Iſt die Maid dies, die ich zum Weib erlas? O böſes Geſchick! u. ſ. w.

Ja, der Quell iſt derſelbe, doch die treuloſe Maid Hat mich vergeſſen ſeit langer Zeit! O böſes Geſchick! u. ſ. w.

Iſt der Quell überſchüttet mit goldenem Sand, Reicht das Mädchen einem andern Koſaken die Hand. O böſes Geſchick! u. ſ. w.

Mit Kraut iſt bewachſen zur Quelle der Weg, Ein andrer Koſak führt mein Mädchen hinweg! O böſes Geſchick! u. ſ. w.

Es rauſchen die Weiden „die am Bache ſtehn, Mit der Liebſten die Koſaken zur Kirche gehn. O böſes Geſchick! u. ſ. w.

Der Eine führt ſie beim Arm, der Andre faßt ſie bei der Hand, Mit ſchwerem Herzen in der Ferne ein Dritter ſtand.

Stand allein es war bleich wie die Wand ſein Geſicht; Er liebte ſo das Mädchen und bekam es nicht!

214

24.

In der Morgenfrühe

Durch die Wieſe geh' ich,

Den Koſaken ſeh' ich

Sonne, heller glühe!

Wieſe, duft'ger blühe!

Gras, erneue dich!

Koſak, freie mich!

Willſt du mich nicht frein, Komm als wollt'ſt du's, zu mir, Denn die Nachbarn mein

Laſſen keine Ruh mir;

Sagen: »Er hat dich betrogen, Und jetzt kommt er nicht mehr; « Sagen: »Er hat dich belogen,« Und das kränkt mich ſo ſehr! »O mein Kind, mein liebes! Wohl beim Alten blieb es, Wäre längſt gekommen, Hätt' dich mitgenommen,

Mit an meinem Arm

Doch der Vater zürnt,

Sagt du ſeiſt zu arm;

Will mir nie verzeihn

Dich fo arm zu frein.«

215

O du treuloſer Mann, Wär' ich reicher als du: So ſpuckt' ich dich an, Deinen Vater dazu!

Will zur Zauberin gehn, Von ihr Hülfe erflehn .. Freundin! hör' mich Betrübte: Mich verläßt den ich liebte! Und die Zauberin ſpricht: »Mädchen, gräme dich nicht! Sei nicht trüb, meine Traute, Biſt noch grün wie die Raute; Laß dem Herzen nicht bang ſein, Deine Jugend wird lang ſein, Iſt dir untreu der Eine

Wird ein Andrer der Deine! Wenn die Rauten beginnen

Zu blühen im Feld,

Kommt, dich zu minnen,

Ein wackerer Held.

Doch der dich verſtoßen,

Wird kein Weib je umſchließen, Bis dem Mühlſtein, dem bloßen, Grüne Raden entſprießen.«

Das Mädchen ſofort

Verſtand den Sinn

Vom dunklen Wort

Der Zauberin,

Der wunderſamen,

Nahm Rautenſamen,

Auf den Weg ihn zu legen; Und ſieh, es fiel Regen,

Und es ſproß das Kraut,

g

Und Blätter gewann e Und das Mädchen ward Braut Eines ſchmucken Mannes. Doch dem Mühlſtein, dem bloßen, Keine Raden entſproſſen! i Der Koſak iſt jetzt alt ſchon, Sein Haupthaar iſt grau,

Im Herzen iſt's kalt ſchon,

Und er hat noch keine Frau!

-

Bom Kolaken Baida. *)

In Bereſtetſchek der Stadt, der berühmten Stadt, Trinkt Baida an Meth und Branntwein ſich ſatt; Und nicht wenig trinkt Baida: in Einem fort Schwelgt er zwei Tage, zwei Nächte dort.

Schickt der Sultan der Türken Geſandte hin, Läßt einladen Baida, ſoll zu ihm ziehn:

»Ich grüße dich, Baida, berühmter Held!

0 Sei mein treuer Vaſall du im Frieden und Feld, ; Und ſollſt die Prinzeſſin, meine Tochter frein,

A Sollſt Herr der ganzen Ukraine fein! «

Verflucht, Sultan, iſt der Glaube dein,

Und häßlich, Sultan, dein Töchterlein!

Da rief der Sultan die Haiducken zur Stell':

»Auf! fangt dieſen Baida und bringt ihn mir ſchnell! Ergreift dieſen Baida und bindet ihn,

Und hängt ihn bei der Seite an den Baum dort hin!«

) Baida iſt ein in der Geſchichte Kleinrußlands ganz unbekann— ter Name. Einige ſind der Meinung, dieſes Lied beziehe ſich auf den polniſchen Fürſten Dimitri Waszniowiecki, welcher von Stephan IX. Hospodar der Moldau, nach Konſtantinopel geſchickt, dort unter Soliman II. eines ähnlichen Todes ſtarb.

H. Mapimowitſch, deſſen Sammlung ich dieſes Lied zu verdanken habe, iſt der Meinung es beziehe ſich daſſelbe auf die Begebenheiten des Jahres 1674, und mit dem türkiſchen Sultan ſei Muhamed IV. gemeint.

Und der viel kühne Baida, in Einem fort

Hängt er zwei Tage, zwei Nächte dort.

Und baumelt dort Baida, das ihn verdroß,

Und er ſucht mit den Augen ſein ſchwarzes Roß; Und hängt dort Baida vom Baume herab,

Und er ſucht mit dem Blick ſeinen jungen Knapp':

Du mein junger Knappe! auf, eile ſchnell, Und bring meinen ſtrammen Bogen zur Stell', Meinen Bogen und meinen Köcher hol', Meinen Köcher mit ſpitzen Pfeilen voll!

Mein Auge erſpäht drei Tauben von fern, Davon ſchöß' ich eine für den Sultan gern, Die zweite ſoll der Sultanin ſein,

Die dritte dem holden Töchterlein!

Und er ſpannt ſeinen Bogen der erſte Pfeil fliegt, Und todt der Sultan im Blute liegt; > 938 Trifft der zweite die Schulter der Sultanin,

Fährt der dritte durch's Haupt der Tochter hin.

Und Dank dir Sultan, daß ich gehängt! Hätteſt wiſſen ſollen wie man Baida fängt. Hätteſt ihm ſollen den Kopf abſägen,

Seinen Leichnam in tiefe Erde legen,

Mit Geld beſtechen ſeinen treuen Knappen, Auf die Seite ſchaffen ſeinen Rappen!

219

Palen ) in Sibirien.

Hoch ſteigt die Sonne Morgens, Tief Abends untergeht

Lebte früh Herr Paley in Freuden, Traf ihn das Unglück ſpät!

Hell ſcheint die Sonne Morgens, Verdunkelt ſich zur Nacht;

Herr Paley, groß und mächtig einſt, Jetzt in Sibirien klagt.

»Und hör' mich, braver Burſch' du, Komm mit mir, treuer Knapp'! Komm mit mir um zu beten Zu Gottes Kapelle hinab!

Ich will inbrünſtig beten, Knien vor dem Heil'genbild; Ich bin wie ein Greis gemagert, Und nichts mein Wehe ſtillt!

) Paley, Sohn eines einfachen Koſaken, lebte gegen das Ende des XVII. und zu Anfange des XVIII. Jahrhunderts. (Er ſtarb den 18. Januar 1710.) Es iſt dies ohne Zweifel die poetiſchſte Per⸗ ſon in der ganzen Geſchichte Kleinrußlands. Sein Leben war ein fortwährender Kampf gegen die Polen, Tataren, Türken, Schweden u. ſ. w. Todfeind von Maſeppa, gerieth er zweimal auf Veranlaſſung deſſelben in Gefangenſchaft. Das erſte Mal ſperrten ihn die Polen in Magdeburg ein, von wo er mit Hülfe ſeiner treuen Koſaken wieder entwich; das zweite Mal wurde er nach Sibirien verbannt, jedoch nach dreijährigem Exil von Peter dem Großen zurückgerufen. Es geſchah dieſes kurz nach dem Verrath Maſeppas.

Wie ein Greis bin ich gemagert, Ich will zum Höchſten flehn | Für meine ſchuldige Seele; e | Mög er mich gnädig anfehn!« |

Und giebt ihm der treue Knappe Einen Stock in feine Hand, Und gürtet um ſeine Lenden Ein grobes Bußgewand.

Nicht ging allda Herr Paley Zu frommem Gebete hin

Er ging ſich ſelbſt zu züchtigen, That's mit zerknirſchtem Sinn.

Herr Paley kehrt und ſetzt ſich Vor feiner Hütte Schwell’,

Schlägt der Pandora Saiten Und ſingt ein Liedlein hell:

»Unglücklich iſt das Leben In dieſer Jammerwelt; na Der ſtickt fein Kleid mit Golde Und vergißt was dem Herrn gefällt.

Der Andre darbt in Sibirien Vergeſſen und verbannt, Verwaiſt wie eine Eiche

Auf weitem, wüſtem Land!«

Anmerkungen,

1 u. 2) Beſchtau und Maſchuk. Den Vorpoſten ber großen Kette des Kaukaſus, von der Steppe aus betrachtet, bilden die Berge von Pjätigorsk ein ruſſiſches Wort, gleichbedeutend mit dem tatariſchen Besch- tau, korrumpirt von Besch - dagh, d. i. die 5 Berge. Die Schluchten des Beſchtau ſind die alte Heimat desjenigen Tſcherkeſſenſtammes, welchen wir jetzt mit dem Namen der Kabarder bezeichnen. Südweſtlich von Georgiewsk, auf dem Wege nach Konſtantinogorsk, erheben ſich in geringer Entfernung von einander vier dieſer waldumkräuſelten Berge, deren Kette mit einem hohen Kamme, genannt der Eſelsrücken, zuſammenhängt, und zwar ſolchergeſtalt, daß durch dieſe Vereinigung eine keſſelförmige Oeffnung ſich bildet, aus deren Mitte der fünfte und höchſte Berg, der Beſchtau wovon der ganze Höhenzug ſeinen Namen hat hervorſteigt. Sein Gipfel iſt faſt fortwährend von Wolken umhüllt und bildet ein ſteil abfallendes Plateau von ſo kleinem Umfange, daß kaum zehn Menſchen Platz darauf finden würden. Von den übrigen vier Bergen verdient hier nur der Maſchuk, oder Mat⸗ ſchuka, an deſſen Fuße die heißen Schwefelquellen entſpringen, beſon⸗ derer Erwähnung. Der Gebirgsarm, durch welchen der Beſchtau mit der großen kaukaſiſchen Kette zuſammenhängt, läuft zwiſchen der Kuma und dem Kuban hindurch, ſüdweſtlich immer höher und hoher ſteigend, bis er ſich zuletzt mit dem Elborus, dem höchſten aller Berge des Kaukaſus, vereint.

a

3) Arba oder Araba, bezeichnet hier (zum Unterſchiede von den türkiſchen, eleganten Araba's) ein die roheſten Anfänge des Wagenbaues offenbarendes, unbeholfenes Fuhrwerk, getragen von zwei ſeltſam hohen und breiten Rädern, welche den eigentlichen, meiſt ſehr ſchmalen Wagenkaſten weit überragen. So weit des Ueber⸗ ſetzers eigene, auf vieles Fahren mit der Araba ſich ſtützende Kunde reicht, werden die Räder dieſes Urwagens niemals geſchmiert, weshalb ſie zu ihrer, immer äußerſt langſamen Fortbewegung auf den ſchlechten Gebirgswegen, meiſt mehrerer Geſpann Ochſen bedürfen. Die Araba, eine wahre Qualmaſchine für ungeduldige Gemüther und feine Ohren, kündet ſich dem Wanderer im Gebirge immer ſchon von Weitem durch das entſetzliche Knarren ihrer tiefeinfurchenden Räder an, weshalb bei der Schilderung eines ſolchen Fuhrwerks das Beiwort »knarrend“ ſo nothwendig dazu gehört, wie das Auge zum Geſichte.

4) Burka der unter allen kaukaſiſchen Völkern gebräuch⸗ liche, kurze, zottige Filzmantel, der mit der rauhen Seite nach Paten getragen wird.

5 u. 6) Eiſenberg und Schlangenberg - zu ber Kette des Beſchtau gehörende Berge.

7) Schattberg gleichbedeutend mit Elborus. Der Schattberg, oder Elborus (beide Namen ſind gleich gebräuchlich im Kaukaſus), das kühnſte und herrlichſte Gebilde der vulkaniſchen Kräfte, welche der großen Gebirgskette ihr Daſein gegeben, erhebt ſich ſelbſtändig aus den ihn umlagernden Vorbergen durch ein, gegen 10,000“ hohes, von ſeltſam gezackten Felſenmaſſen durchbrochenes und überragtes Längenplateau. Die ſteil abfallenden Felſen bilden eine kraterähnliche Höhlung, aus deren Mitte die beiden koniſch geformten, ewig mit Schnee bedeckten Spitzen des Elborus empor ſteigen, deſſen Erhebung über den Meeresſpiegel gegen 16,000“ beträgt. 1 Südöſtlich vom Elborus, zuneben der weiter oben beſchriebenen großen N Gebirgsſtraße, erhebt ſich der etwa 15,400’ hohe Kas bek, welcher gleichſam den Mittelpunkt der Hauptgebirgskette des Kaukaſus bildet.

8) Baſchlik ein regendichter, warmer Kopfüberzug 210 1 Form dem zum Ueberſchlagen beſtimmten, hintern Obertheile eines Burnus, oder einer Mönchskapuze vergleichbar. Baſchlik iſt ein turko ⸗tatariſches Wort, und würde ſich wörtlich am nächſten über⸗

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„„

ſetzen laſſen durch „Kopfbedeckung,“ wodurch aber für den deutſchen Leſer die Sache nur mangelhaft bezeichnet wäre, denn das Baſchlik wird nicht ſtatt der Mütze, ſondern über der Mütze getragen, und bedeckt zugleich Schultern und Nacken.

9) Im Schatten alter Mispelbäume. Es iſt hier die Alpenmispel mespilus cotoneaster gemeint, welche im Kau⸗ kaſus in ungewöhnlicher Größe vorkommt. Das Adjektivum Rusnap, welches Lermontoff zur Bezeichnung des Baumes angewandt hat, kommt, fo weit des Ueberſetzers Kenntniß reicht, in keiner flavifchen Sprache vor, und iſt nichts anderes als das hier nur mit ruſſiſchen Buchſtaben geſchriebene turko⸗tatariſche Wort 5

10) Beiram ein unſerm Oſterfeſte vergleichbares Feſt der Moslemin, folgt unmittelbar auf den Ramaſan, oder Faſtenmonat, und währt drei Tage. Der Beiram nimmt ſeinen Anfang, ſobald von den dazu angeſtellten Schriftkundigen der Neumond verkündigt wird. Als bewegliches Feſt hat er das Eigenthümliche, im Verlaufe von 33 Jahren in alle Jahreszeiten und alle Monate des Jahres zu fallen, weil die Türken nach Mondenjahren rechnen.

11) Usden tſcherkeſſiſcher Edelmann. Seit Alters haben die Tſcherkeſſen ihre erblichen Standesunterſchiede, welche ſich jedoch mit der Einführung des Islam durch die nivellirenden Satzungen des Koran weſentlich verwiſcht haben. Die waffentragenden Männer (ſo genannt im Gegenſatz zu den Sklaven, welche keine Waffen tragen dürfen), zerfallen in drei Klaſſen: Pſchi (Fürſten), Usdéne oder Work (Edelleute) und Tokav (Freie). Die Sklaven oder Leibeigenen, deren große Maſſe aus Kriegsgefangenen beſteht, ſind lediglich darauf angewieſen, den Acker zu bebauen, das Vieh zu hüten und die Ar- beiten des Hauſes und Stalles zu beſorgen. Die Pſchi und Usdene beſaßen früher große Vorrechte, und ſtanden ungefähr in demſelben Verhältniß zu der übrigen Bevölkerung, wie bei uns die Fürſten und Ritter des Mittelalters. Der Mißbrauch, den ſie mit ihrer Gewalt trieben, veranlaßte, daß man ihnen dieſelbe ganz nahm, und heutzutage unterſcheiden ſie ſich von den Tokav oder Freimännern durch Nichts, als durch ihre angeſtammten Titel. Trotzdem ſind die drei Klaſſen inſofern von einander geſchieden, als ſie ſich durch eheliche Verbindungen nie vermiſchen.

.

12) Furchtbar erhebſt du, Berg Scheitan Scheitan heißt im Türkiſchen der Teufel, und ich würde deshalb einfach „Teufelsberg“ überſetzt haben, wenn die Bezeichnung Berg Scheitan oder Scheitansberg nicht bereits eine in der Geographie angenommene wäre.

13) Beſchmét ein enganliegender, kurzer feidener Halbrock.

Berlin, gebtucht in der Königlichen Geheimen Ober + Hefbuchbruckttei (t. b. Dede).

3

Friedrich Bodenſtedt's

Ber ammelte Schriften.

Achter Band.

Friedrich Bodenſtedt's

Ber ammelte Sch riften.

Gesammt- Ausgabe

zwölf Bänden.

Achter Band.

Perlin

Verlag der Königlichen Geheimen Ober⸗Hofbuchdruckerei (R. v. Decker).

Gilliam Shakelpeare's

Zonette

in Deutſcher Nachbildung.

Unfere Sprache kann ſich keiner Sonette rühmen, die denen Shakeſpeare's auch nur annähernd gleichkämen, außer den wenigen ſo ernſten, ſo majeſtätiſchen Ergüſſen

ilton's. 10

Alexander Dpee.

Perlin

Verlag der Königlichen Geheimen Ober-Hofbuchdruderei (R. v. Decker).

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Inhaltsverzeichniß.

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Erſte Abtheilung.

Die himmliſche Rhetorik Deiner Augen Wie oft, wenn Deine zarten Finger ſpringen .Wenn ſich Muſik und Poeſie verbinden. . a

Laß Andern ihre Wünſche! Deinen Willen 4

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Zürnt Deine Seel', ich komme Dir zu nag

. Wie eine Hausfrau ſorglich voller Halt. . Wie auf der Bühn' ein ungeübter Held. Vs iſt beſſer ſchlecht zu ſein als ſchlecht zu ſcheinen . . Eupido, da einſt Schlaf ihn überkam . Einft ſchlief der kleine Liebesgott; zur Seiten Du weißt, Dich liebend trog ich mein Gewiſſen .Was machſt Du, blinde, närr'ſche Lieb’ aus mir . Lieb’ iſt zu jung, von Schuld und Reu' zu wiſſen Ihr Mund, dies Wunderwerk der Liebe. Du ſagſt, Grauſame, daß ich Dich nicht liebe O welche Macht kann Dir die Allmacht leing iR. In Wahrheit lieb' ich Dich nicht mit den Augen Ich fehl' aus Liebe, tugendhaft biſt Du. Wie Brot dem Leben, biſt Du den Gedanken Mein Lieben gleicht dem Fieber, es begehrtt Weh' mir, wie meine Augen durch mein Lieben Dein Auge gleicht in Nichts dem Sonnenlicht Schwarz hielt man nicht für ſchön im ine A

„Ich liebe Deine Augen, die bedauernd So launenhaft und herriſch iſt Dein Geiſt

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Seite 26. Schwört meine Liebe, fie hält feſt am Wahren 48 27. Ich ſehe Aug' und Herz ſich wild entzwein 3 28. Nun find verbündet Herz und Aug’ in mii 50 29. Mein Auge ſitzt, ſeit wir geſchieden ſin ed 51 30. Ob nicht vielleicht mein Geiſt, gekroͤnt mit Dir 52 31. Dein Sklav bin ich und darum ſtets bereit 53 32. Verhüt' es Gott, der Dir zum Dienſt mich wählte .. 54 33. Wie ward zum ſchaurig öden Winter min 55 34. Ich war getrennt von Dir im Frühling auoh 56 35. So ſchalt ich früher Veilchen Uebermut hg.... 57 36. Erneu', o ſüße Liebe, Deine Kraftt . 58 37. Die tadeln Deiner Jugend Uebermutet g 59 38. Wie lieblich und wie ſüß machſt Du die Schande. 60 39. Wenn Dir die Laune kommt mich zu verfhmähn ..... 61 40. Sag', Du flohſt mich um einen dummen Streich... 62 41. So haſſ' mich, wenn Du willſt; wenn jemals, nun. 63 42. Verlang' nicht, daß ich ſelbſt mein Mißgeſchi ck... 64 43. Sei klug in Deiner Grauſamkeit, daß nichhetett. 65 44. Geübte Wolluſt iſt des Geiſts Verſchwendung 66

Zweite Abtheilung. 1m?

45. Verwünſcht das Herz, das mir ſchuf ſolche Pein... 69 46. Ja, ich geſtand's: mein Freund iſt Dein und mich. 70 47. Mein Herz, in zweier Geiſter Liebesbann . 71 48. Schon manchen Morgen ſah ich, ſtolz wie dieſen . 72 49. Warum verhießeſt Du ſolch' ſchönen Taggg .. 73 50. Gräm' Dich nicht mehr um das was Du gethan 2.74 51. Nimm, die ich liebte, nimm fie Alle hin 75 52. Die artigen Sünden, denen Deine Tugend . 76 53. Daß Du ſie haſt, iſt nicht mein ganzer Nr 0971 54. Herr meiner Liebe, der zur Treue oh . 78 55. Du haft ein Fraungeſicht, das die Natuunnet 79 56. Mein Aug’ als Maler hat Dein Bild verliebtt . 80 57. Wenn ich, von Gott und Menſchen überſenn . 81 58. Wenn ich ſo ſinnend heimlich und allein b. 2 59. Die mir todt ſchienen, all' die Herzen wohnen 83 60. Laß mich's geſtehn: das Schickſal trennt uns hier 84

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. Den Tod mir wünſch' ich wenn ich anfehn muss 2. Wie könnt' es meiner Muſ' an Stoff je fehlen O wie kann würdig Deinen Werth ich fingen... .. .. Wie ſucht' ich ſorgſam jede Kleinigkeit ........... .So bin ich wie der reiche Mann, der fil......... . Wie mühſam ſchlepp' ich mich von Ort zu Ort So kann ich liebreich mein ſchwerfällig Thier ....... Von Müh'n erſchöpft ſuch' ich mein Lager uf ...... Wie könnt' ich wieder glücklich jemals werden . Soll durch Dein Bild, in Nächten voller Kummer . Am beiten ſeh' ich, ſchließt mein Auge ſichc h . Wär’ dieſes Leibs ſchwerfälliger Stoff Gedanke Die beiden andern, Luft und läuternd Feuer Aus welchem Stoffe ſchuf Dich die Natur ......... O wie verzag' ich, wenn ich von Dir ſinRgg a . Du biſt mit meiner Muſe nicht vermählt . Nie fand ich farblos Dich und darum nie . Stumm hält ſich meine Muſe und beſcheiden War es das ſtolze Segel ſeiner Dichtung Leb wohl! Du ſtehſt im Preis zu hoch für mich Was iſt fo arm an Neuheit mein Gedicht. 5 Oft rief ich Dich als meine Muſe akg So lang' ich Dich noch anrief ganz allein Wie ſich ein altersſchwacher Vater freut .......... Für jene Zeit wenn je fie ſollte kommenn . Den äußern Gaben die wir an Dir ſen . Daß man Dich ſchmäht, beweiſt nichts gegen Dich.. Warum in ſchlechtem Umgang ſoll er leben So iſt er uns ein Bild aus beſſern Tagen So werd' ich leben, glaubend, Du ſeiſt treu ....... Entweder ſchreib' ich noch die Grabſchrift Dir Nicht länger traur' um mich als dumpf der Torn Damit man einſt Dir nicht mit Fragen droht... .... Die Zeit des Jahres kannſt Du an mir ſehn n Doch ſei zufrieden: wenn mich das Gericht Wenn einſt, nachdem mich längſt der Tod ereilt.

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Seite

Dritte Abtheilung. 7 4

97. Von ſchönſten Weſen wünſchen wir Vermehrung. . 3 5 123 98. Einſt wird, eh' Du gelebt ein halb Jahrhundert .. . 124 99. Schau in den Spiegel und fag' Deinen Zügen ...... 125 100. Fruchtloſe Lieblichkeit, warum verſchwenden . 126 101. Die Zeit, die Deiner Schönheit Fäden ſpann 27 102. Drum laß, eh' Winter Deinen Sommer ſcheucht .. 128

103. Sieh, wenn im Oft glutvoll das Himmelslicht .. . 129 104. Du, den zu hören ſelbſt Muſik, warum 8 105. Iſt es die Furcht, daß eine Wittwe weine ui 131 106. O Schmach! Geſteh', Du kannſt nicht Andre lieben. . 132 107. So ſchnell Du welkſt, in einem Sproß erblühſt. u 108. Zähl' ich die Glocke, die die Stunden mift ...... 7 134 109. O, daß Du ganz Dein eigen wärſt! Doch biſt .. 135 110. Nicht von den Sternen hol' ich meine Kunde 136 111. Bedenk ich, daß nur Augenblicke währt 5 112. Doch warum kehrſt Du ſelbſt nicht ſtärkre Wehr... . 138 113. Wer glaubt wohl künftig meinem Lied, erfüllt... . 139 114. Soll ich Dich einem Sommertag vergleichen. 140 115. Stumpf', gierige Zeit, des Löwen Klau' es gähne * N 116. Mein Alter glaub ich meinem Spiegel nicht.. 142 117. Wohl gleicht nicht meine Muſe jenem Lieds 118. O Du, mein holder Freund, der in der Welt.. . 144 119. O wolle nicht mich falſch von Herzen nennen 108 145 120. Ach, wohl iſts wahr: ich ſchwärmte hier und dort... 146 121. O zürn' der Glücksgöttin! denn fie allein ** 20 147 122. Dein liebend Mitgefühl ſchließt bald die Wunde.. . . 148 123. Wer ſagt das Meiſte? Was kann mehr entfalten 149 124. Seh' ich des Alterthums erhabne Pracht 125. Wenn Erz, Stein, Erde, ſelbſt des Weltmeers Flut 1

„Nicht eigne Furcht, noch das prophet'ſche Ahnen 152 Was kann das Hirn durch Dinte offenbaren. 153

Vierte Abtheilung.

Wo biſt Du, Muſe, die jo lang’ vergeſſenn =, 157 Wie büßeſt, träge Muſe, Du Dein Schweigen 158 Verklag' mich, daß ich nur mit Dürftig keit 159

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Wie man den Gaumen reizt durch ſcharfe Miſchung .. . 160 Wie viel Syrenenthränen trank ich ſ ches 161 „Jetzt freut mich, daß einſt ſpärlich Deine Huld. 162 Ach, wie jo arm doch meine Muſe iſ !! 163 Der Eigenliebe Sünde herrſcht in Augen 164 . Du wirft der Zeit Verwüſtung nicht entflienngn 165 Für mich, Geliebter, wirft Du niemals allt 166 Nennt meine Lieb' nicht Götzendienſt, vergleicht. 167 .Wenn ich in Chroniken der alten Zeit 168 Die Tafeln trag' ich, die Du mir gegeben 169 „Falſch war ich, als ich ſchrieb in frührer Zeit 170 Nichts kann den Bund zwei treuer Herzen hindern. . . . 171 . Nein, Zeit, nie zeig’ ich Dir des Wechſels Launen . . . 172

Wär' meine Lieb' ein Kind des Standes bloss 173

. Soll über Dir ein Baldachin fi breiten 174 . Stolz find die Andern auf Geburt, auf Kunft ...... 175 Doch thu' Dein Aergſtes nur, entflieh! Es bliebe . . . 176 . Mein Lieben, ſcheinbar ſchwächer, iſt vermehrte 177 Wenn's gar nichts Neues giebt, ſchon Alles war 178

150. Wie Wellen, die zum ſteinigen Ufer fluteeeeeeen 179 151. O wieviel mehr die Schönheit uns erfreut 180 152. Kein Marmorbild, kein fürſtlich Monument 181 153. Wer Macht zu ſchaden hat und es nicht thun ur 182 154. Kern meines ſünd'gen Leibes, arme Seele 183 155. Wie ſchnell die Schönheit flieht, zeigt Dir Dein Spiegel . 184 156. Laß, die geboren unter günſt'gem Steen 185 Anmerkungen zu den Sonetten Shakeſpeares 187 BREI ñßvdeeed e 39 10 Vergleichende Ueberſicht der deutſchen und engliſchen Reihen. !.. ¼ ///, 235 Vergleichende Ueberſicht der engliſchen und deutſchen Reihen⸗ . RE J 241

2

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In feinen Dramen erſcheint uns Shakeſpeare ſo unnahbar hoch, ſo unbegreiflich groß, daß wir uns danach kein rechtes Bild noch Gleichniß des Mannes machen können, der wie ein Gott ſich hinter ſeiner Schöpfung verbirgt. In ſeinen Sonetten aber, die Wordsworth mit Recht den Schlüſſel zu ſeinem Herzen genannt, tritt er uns menſchlich nahe, zeigt ſich uns im Wechſel trüber und heiterer Stimmungen, in Leidenſchaften, Schwächen und Irrungen wie wir. Unſere Ehrfurcht vor ihm wird dadurch nicht vermindert, ſie wächſt vielmehr noch mit unſerer Liebe zu ihm, wenn wir ſehen, welch' dunkle und ſteile Pfade ihn emporführten zu den reinen Höhen der Kunſt.

Iſt es nicht ergreifend, wenn wir den gewaltigen Mann, der Allem was er berührte unſterbliches Leben gab, ſelbſt klagen hören über die Gebrechen der Sterblichkeit? Wenn wir ihn, der das Treiben der Menſchen ganz durchſchaut und innerlich ſo hoch darüber ſteht, doch leiden und äußerlich fo tief gedemüthigt ſehen durch dieſes Treiben, daß er ſich den Tod wünſcht und das Schickſal anklagt, welches ihn gezwungen in verachtetem Stande zu leben, der ſein eigentliches Weſen entweiht, ihm eine fremde Farbe giebt, wie der Hand des Färbers ſein Handwerk?

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An wen immer dieſe Sonette gerichtet fein mögen, ob an Geſchöpfe der Einbildung oder der Wirklichkeit: der Dichter ſelbſt ſpricht aus ihnen in ſeinem eigenen Namen und läßt uns nicht blos in die verborgenſten Falten ſeines Herzens ſehen, ſondern enthüllt uns auch das letzte Geheimniß ſeiner Kunſt:

„Was iſt ſo arm an Neuheit mein Gedicht, Statt wechſelnd nach der Mode ſich zu ſchmücken? Warum verſuch' ich wie die Andern nicht Prunkvoll, geſpreizt und neu mich 3 K Warum trägt mein Gedanke immerfort Nn Ein und daſſelbe Kleid, ſchlicht und gewöhnlich, Daß ich leicht kennbar bin, faſt jedes Wort Auf feinen Urſprung zeigt: auf mich perſönlich? O wiſſe, ſüße Liebe, immer ſing' ich Nur Dich allein, Du meines Liedes Leben! Mein Beſtes neu in alte Worte bring' ich, Stets wiedergebend was ſchon längſt gegeben, Denn wie der Sonne Auf- und Untergang ö Alt und doch täglich neu iſt mein Geſang .

In ſolchen und ähnlichen Sonetten offenbart ſich der ganze Shakeſpeare mit ſeiner erhabenen Einfalt, mit der Macht ächter Schönheit und dem Wohllaut der Wahrheit.

Seine poetiſchen Vorläufer und Zeitgenoſſen, Surrey, Watſon, Sidney, Daniel, Drayton, Conſtable, Spenſer und Andere haben uns Hunderte von Sonetten hinterlaſſen, welche an Reichthum der Bilder, Anmuth des Ausdrucks und wechſelndem Wohlklang des Rhythmus, kurz: an äußerer Schönheit, den ſeinigen durchaus nicht nachſtehen und doch mit wenigen Ausnahmen uns heute kühl anmuthen, ja einen abgeſtandenen Eindruck machen mit ihrer konventionellen Schäfer- und Götterwelt, ihren zierlichen Ge.

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fühlen und melodiſchen Seufzern, weil wir bald gewahren daß kein warmes Herz darin ſchlägt, daß keine mächtige Derfün- lichkeit dahinter ſteht.

Die Macht und Weihe der Perſönlichkeit des Künſtlers iſt es im letzten Grunde allein, was den Kunſtwerken ewiges Leben giebt.

Und die Macht und Weihe ſeiner Perſönlichkeit iſt es auch allein, was Shakeſpeare von ſeinen Zeitgenoſſen unter⸗ ſcheidet und allen ſeinen Werken jeglichem nach ſeiner Art ihr ganz eigenthümliches Geſicht giebt, mit welchem ſie in die Welt hinausſchauen und Bewunderung wecken werden ſo lange die Welt beſteht.

In ſeinen Dramen läßt er die Sonne ſeines Geiſtes leuch— ten über Gerechte und Ungerechte, als ob ihm dieſe ſo lieb wären wie jene, daß fie wachſen vor unſern Augen und glück⸗—

lich oder unglücklich werden, je nachdem ſie ſich ſelbſt ihr Schickſal . bereiten. Hier vergeſſen wir den Dichter über ſeinen Geſchöpfen, vergeſſen daß er es iſt, von dem fie ihr ewiges Daſein

empfingen, und nehmen fo lebendigen Antheil an ihren Schickſa—

len „als ob fie uns nächſtſtehende leibhaftige Menſchen wären.

In ſeinen Sonetten aber ſehen wir nur den Menſchen im Dich— ter vor uns, und welche bunte Welt er auch unſern Blicken ent: hüllt: er ſelbſt bleibt immer der Mittelpunkt dieſer poetiſchen Welt

und die delphiſchen Worte welche wir vernehmen, jagt kein Hamlet, kein Lear, kein Prospero: ſie tönen aus ſeinem eigenen Munde.

Und doch erinnern ſie uns an alles Bedeutendſte in ſeinen

Dramen, bieten uns eine Fülle verwandter Klänge, Gedanken, Betrachtungen und Stimmungen.

Es iſt uns, als ob er dieſe Sonette geſchrieben haben müſſe

bevor oder während er »Romeo und Julie? dichtete, jene

während er mit »Hamlet« beſchäſtigt war, andere während

er »Richard III.« oder » König Lear« dichtete; Pier andere J. Bodenſtedt. VIII.

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während feine Luſtſpiele entftanden, von welchen beſonders »die Komödie der Irrungen, « die beiden Veroneſer,« „Verlorene Liebesmühe« und »der Kaufmann von Venedig « viele Anklänge bieten. Wir entdecken zwiſchen ihm und ſeinen Helden einen geheimnißvollen, innigen Zuſammenhang; der Schleier, hinter welchem der große Künſtler ſich verbarg, iſt wenigſtens etwas gelüftet und das giebt den Sonetten, die an und für ſich ſchon ächte Perlen find, einen doppelten Werth und Reiz.

Auch in ſeinen Dramen ſteht uns nun der Dichter nicht mehr ſo fern; wir ſehen daß ſie mit ſeinem Herzblute getränkt ſind und daß er, der die menſchlichen Leidenſchaften mit ſo erſchütternder und erhebender Gewalt zu ſchildern vermochte, ſie ſelbſt erfahren, aber ſiegreich überwinden mußte, um ſie durch die Kunſt zu verklären.

Die Sonette bilden eine Perlenſchnur, die von den Jünglingsjahren des Dichters ſich fortſchlingt bis in ſein reifes Mannesalter und unſer einziger Leitfaden iſt, wenn wir einen Zuſammenhang ſuchen zwiſchen den dürftigen, beſchränkten Verhältniſſen ſeiner früheſten Jugend und der weltumſpannenden Höhe auf welcher er in ſeinen Tragödien ſteht.

Der Grund, weshalb dieſe wundervollen Gedichte, denen ſich keine ähnliche Sammlung in irgend einer Sprache auch nur entfernt vergleichen läßt, in Deutſchland noch nicht die verdiente Würdigung und Verbreitung gefunden haben, iſt wohl hauptſächlich in dem Umſtande zu ſuchen, daß das Ver⸗ ſtändniß des Urtextes allerlei Schwierigkeiten bietet, während die vorhandenen Ueberſetzungen, im Ganzen genommen, mehr dazu angethan ſind die Schönheiten des Originals zu verhüllen, als zu offenbaren.

Dieſer Punkt iſt ausführlicher erörtert in einer dem Gegenſtande beſonders gewidmeten Abhandlung, welche als Schlußwort den Sonetten folgt und auf welche ich meine freund-

lichen Leſer verweiſe, deren Geduld ich nicht von vornherein ermüden will durch Ausführungen, die doch erſt nach dem Leſen der Sonette recht zu verſtehen ſind.

Zu bemerken iſt nur noch, daß die Sonette hier in einer neuen Reihenfolge erſcheinen, deren ausführliche Recht— fertigung das Schlußwort enthält und deren Verhältniß zum Urtext in einer vergleichenden Ueberſicht dargelegt iſt.

In dem Schlußworte wird auch die Methode erörtert, welche ich bei dieſer neuen Ueberſetzung befolgt habe und ein durch Beiſpiele belebter Rückblick geworfen auf Shakeſpeare's Vorläufer im Sonett, ſowie auf die eigenthümlichen und mannigfaltigen Freiheiten, welche alle engliſchen Sonettiſten bei der Aneignung der fremden, urſprünglich Petrarka entlehnten Form ſich erlaubten. Es werden endlich darin die verſchiedenen und meiſtens höchſt wunderlichen Urtheile und Meinungen angeführt, welche theils über die Sonette ſelbſt, theils über die geheimnißvollen Perſonen an welche dieſelben gerichtet ſein ſollen, in Umlauf gekommen ſind; kurz: es wird Alles darin erörtert, was zur Sache gehört, aber in dieſer Einleitung nicht am Platze fein würde. Die ganze Einleitung würde über- flüſſig ſein, wenn Shakeſpeare als Lyriker ſchon ſo einge— bürgert bei uns wäre wie als Dramatiker. Allein das iſt er noch nicht. Möge dieſe neue, mit liebevoller Hingebung begonnene und ausgeführte Ueberſetzung dazu beitragen, daß er es werde!

Denn alle Bilder und Denkmale, die man dem unſterb— lichen Genius geweiht hat, geben keine fo würdige Vor- ſtellung von ihm wie ſeine eigenen Werke. Darum ſang Milton, ein Fürſt unter den Dichtern, in freier Huldigung ſich beugend vor Shakeſpeare, dem Könige der Dichter,

dieſe erhabenen Verſe:

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„Wozu braucht meines Shakeſpeare hehr Gebein

Ein hochgethürmtes Monument von Stein?

Wozu ſoll ſich ſein heiliger Staub hienieden

Verbergen unter ſtolzen Pyramiden?

Du theurer Sohn des Ruhms, ſein großer Erbe, Was brauchſt Du Stein daß nicht Dein Name ſterbe? In unſerm Geiſt, der Dich bewundernd nennt, Schufſt Du Dir ſelbſt ein dauernd Monument:

Wir ſchöpfen aus den Blättern Deiner Werke

Gleichwie aus Göttermunde Troſt und Stärke: 2 Du machſt durch Deines Geiftes hohen Schwung | Uns ſelbſt zu Marmor vor Bewunderung, 10 Um ſolche hehre Ruhſtatt zu erwerben, . Daß um ſolch Grabmal Könige möchten, derben. it

e Abtheilung.

Die himmliſche Rhetorik Deiner Augen,

Wogegen keine irdiſchen Gründe taugen,

Verführte mich, darf mich die Welt beſchuldigen Weil ich ihr treulos ward um Dir zu huldigen? Die Fraun verſchwor ich und gemeinen Triebe, Doch da Du Göttin, gilt mein Schwur nicht Dir! Mein Eid war irdiſch himmliſch meine Liebe, Drum Deine Huld ſühnt alle Schuld in mir!

Mein Eid war Hauch, und bloßer Dunſt iſt Hauch. Du ſchöne Sonne! wenn Dein reines Licht

Den Dunſt verſcheucht, ſo biſt Du ſchuldig auch,

Denn Du brachſt mein Gelübde ich that's nicht!

Und that ich's: welcher Thor wär' ſo von Sinnen Es nicht zu thun, ein Eden zu gewinnen.

2.

Mi. oft, wenn Deine zarten Finger fpringen !

Ueber das Holz, beglückt durch ihr Berühren,

Daß wunderbare Weiſen ihm entklingen,

Die wohllautvoll mein Ohr und Herz verführen,

Beneid' ich dieſe Taſten, wie ſie nippen

Glückſeligkeit von Deiner Hand geſpendet,

Derweil erröthend meine armen Lippen

Ihr Anrecht ſehn an kühnes Holz verſchwendet.

Gern würden ſie um ſolche Wonnen tauſchen

Mit jeder Taſte, die ſich tanzend bückt:

Wenn lieber Deiner Hand melodiſch Rauſchen

Das todte Holz, als meinen Mund beglückt. Doch wenn das freche Holz geküßt ſein muß: Reich' ihm die Hand, die Lippe mir zum Kuß!

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3.

Wenn ſich Muſik und Poeſie verbinden

Geſchwiſterlich, in ſüßer Harmonie,

Muß ih De in Herz zu meinem Herzen finden:

Du liebſt Muſik, ich liebe Poeſie.

Du liebſt es, Dowland's? hehrem Spiel zu lauſchen,

Dieß Lautenklang das Herz mit Zauber füllt

Ich lieb' es, mich an Spenſer zu berauſchen,

Deß Lied die tieffte Weisheit mir enthüllt;

| Du liebſt des Gottes weihevolle Klänge Die Dich empor zu höhern Sphären tragen Ich liebe ſeine himmliſchen Geſänge,

Die, was ich ſelbſt nicht ſagen kann, mir ſagen. Ein Gott ſchuf beide! Wie ſie ſich verbinden, Muß ſich Dein Herz zu meinem Herzen finden!

4.

Laß Andern ihre Wünſche! Deinen Willen

Haſt Du, haſt Willen jetzt im Ueberfluß;

Ich aber kann ihn mehr als gründlich ſtillen,

Wenn er ſich auch durch mich noch mehren muß. Willſt Du nicht meinen Willen in den Deinen Aufnehmen, der ſo Vielen ſich erſchließt?

Soll Andern nur Dein Stern der Gnade ſcheinen?

O ſag, warum mein Werben Dich verdrieß t: f Das waſſerreiche Meer kann doch nicht ſtillsns © F Den Waſſerdurſt, und ſucht daß es fih mehre - : So mehr durch meinen Willen Deinen Willen 0 Du Willenreiche gleich' hierin dem Meere. :

Laß Keinen fterben! Stürmiſch oder ſtill l

Flehn Alle nur was ich, der eine Will“).

(Will, der abgekürzte Vorname des Dichters, heißt zugleich der Wille. Darauf beruht das Wortſpiel dieſes und des folgenden Sonetts.)

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NE ET TE ET N e TEE RE EEE TEE.

5.

Türnt Deine Seel', ich komme Dir zu nah, Schwör' ihr nur dreiſt daß ich Dein eigner Will ſei, Der, wie ſie weiß, am rechten Platze da;

Aus Liebe ſchwör' und bitte daß ſie ſtill ſei.

Will wird mit Liebe Deines Herzens Schatz Bereichern und mit Willen allzumal

Iſt doch für Viele Raum auf großem Platz,

Und Eins zählt nichts in einer großen Zahl.

So ungezählt laß in der Zahl mich ſtehn,

Wenn nur bemerkt von Dir, die Alle hält

Sei ich Dir auch ein Nichts Du wirſt bald ſehn

Daß in dem Nichts Dir etwas wohlgefällt;

Wenn Dir mein Name nur gefallen will, So liebſt Du mich auch, denn mein Nam' iſt Will.

6.

Ilie eine Hausfrau ſorglich voller Sf? t Dem Huhn nachläuft, das fi) davon gemacht, Ihr Kind zu Boden ſetzt und ohne Raſt Das Huhn verfolgt bis ſie es heimgebracht, Derweil hell ſchreiend ihr verlaßnes Kind Sie aufzuhalten ſucht, die unverzagt 1275 4 Dem Huhn nachläuft, für Andres taub und Blind, Nicht wahrnimmt wie ihr eignes Kindlein klagt: So läufſt Du hinter dem was Dir entweicht, Und ich, Dein Kind, klag um Dich trübgemüth. O komm zu mir wenn Du Dein Ziel erreicht, * Küß mich, wie eine Mutter, ſei mir gut! nn Und meine Klagen um Dich werden ftill, Und flehen will ich daß Dir werd' Dein Will!

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Mi: auf der Bühn' ein ungeübter Held“

Deß Schüchternheit in ſeinem Spiel ihn hindert, Oder ein Thier, von zuviel Wuth geſchwellt, Daß Ueberfluß an Kraft den Muth vermindert: So ich vergeſſ' oft, zaghaft wie ich bin,

Zu thun was holder Liebesanſtand fodert,

ö Und meine Liebesglut ſtirbt ſcheinbar hin, Wieil fie zu übermächtig in mir lodert.

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Darum nimm huldvoll diefe Blätter an,

Meiner beredten Bruſt ſtumme Propheten, Sie flehn weit beſſer als die Lippe kann

Um Liebe o, daß ſie erfolgreich flehten!

Was Liebe ſchweigend ſchrieb, lern mes verſtehn, Und laß es durch das Aug’ zum Ohr eingehn!“

is iſt beſſer ſchlecht zu fein als ſchlecht zu ſcheinen,

Kann dieſer Schein dem Tadel nicht entgehn,

Ohne doch dem Genuſſe ſich zu einen,

Den wir nicht doch die Tadler darin ſehn.

Denn warum ſollen falſche Späheraugen

Hohnlächeln über mein verliebtes Blut?“

Sie, die aus eigner Sünde Argwohn ſaugen!

Was ihnen ſchlecht ſcheint, das gilt mir als gut!

Nein, ich bin der ich bin, und was ſie finden

In mir als Schuld, iſt ihrer Schuld Bericht.

Vielleicht bin ich der Seh'nde, ſie die Blinden,

Nach ihrem Sinn bemißt mein Thun ſich nicht! Wenn man nicht ihren Satz für Wahrheit hält, Daß Schlechtigkeit allein herrſcht in der Welt.

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9.

Cupido, da einſt Schlaf ihn überkam,

Ließ ſeine Fackel ſinken, welche ſchnell

Ihm eine Nymphe der Diana nahm,

Die tief ſie taucht in einen kühlen Quell. Allein der Liebesfackel heilige Glut

Ward wunderſam dem Waſſer mitgetheilt, Das endlos weiterglühend Wunder thut,

Den Schwachen Stärke giebt und Kranke heilt.

An meiner Liebſten Aug' entzündet wieder

Der Gott den Brand, der ſchnell mein Herz erfaßt, Das Liebesfeuer raſ't durch meine Glieder Zum Heilquell eil' ich, ein betrübter Gaft Doch half mir's nicht! Die Bäder, die mir taugen, Sind Amor's Feuerquell, der Liebſten Augen.

32 N 10.

Einſt ſchlief der kleine Liebesgott; zur Seien Die Fackel lag, ſein Herzensfeuerbrand; E Viel Nymphen, die ſich keuſchem Leben weihte n Hüpften herbei. Mit jungfräulicher Hand Die ſchönſte Nymphe nahm den Brand der Liebe

Der fo viel treue Herzen ſchon verz ehrte So ward der mächtige Gott glutvoller Triebte

Im Schlaf von einer Jungfrau Hand entwehrt. u N 1 Sie löſcht den Brand in einer Quelle nag Die ſchnell erglühend ward ein Bad und Bronnn Für Kranke. Ich auch ſuchte Heilung da. Doch hab' ich die Erfahrung nur gewonnen AT

Der Liebe Glut erwärmt wohl Waſſer bald, 3000 Doch Waſſer macht der Liebe Glut nicht kalt.

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Du weißt, Dich liebend trog ich mein Gewiſſen; Doch zwiefach trogſt Du Deins, mir Liebe ſchwörend, Haſt Dein Gelübde durch die That zerriſſen,

Den neuen Bund in neuem Haß zerſtörend.

Doch darf ich Dich beſchuld'gen um ein paar Trugſchwüre ich, der zwanzig ſchon geſchworen? Denn Nichts an dem was ich Dir ſchwur, iſt wahr, Der ich den Glauben an Dich längſt verloren.

Denn heil'ge Schwüre that ich, die bezeugten

Du ſeiſt voll Treu, Beſtändigkeit und Wahrheit,

Mich ſelber macht' ich blind, Dich zu erleuchten, In Finſterniß kehrt ich der Sinne Klarheit) Dienn ich beſchwor daß Schönheit Deine Züge Verkläre. Gott verzeihe mir die ſchnöde Lüge!

F. Bodenſtedt. VIII. 3

12.

las machſt Du, blinde, närr'ſche Lieb’ aus mir, Daß meine Augen ſehn, doch nicht das Rechte; Sie kennen Schönheit wohl, ſtehn nah' vor ihr, Doch ſtatt des Beſten wählen ſie das Schlechte. Wenn ſie, verlockt von falſchen Blicken, kamen Zu jener Bucht, wohin ſo Viele drangen, Warum aus ſolchen Blicken machſt Du Hamen Das Urtheil meines Herzens aufzufangen? Wie kann das Herz als einzig Gut verehren Das, was es kennt als aller Welt gemein? Wie kann das Auge zuſehn und nicht wehren Daß über Wahrheit ſiege falſcher Schein? In Wahrheit war ſo Herz und Aug' verblendet, Daß es dem Schlechteſten ſich zugewendet.

l D N . 7 ———ũ0*ͥ¹ꝛÜtꝛ˙ TT

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13.

Lieb iſt zu jung, von Schuld und Reu' zu wiſſen, Und doch: iſt Reue nicht der Liebe Kind?

Drum, ſüßes Herz, red' mir nicht in's Gewiſſen, Da meine Fehler Dir entſprungen ſind.

Denn wie Du mich verführſt, muß ich verführen Mein beßres Theil zu ſchnödem Sinnenwahn,

Das Herz dient nur, im Körper noch zu ſchüren

! Die Liebesglut Fleiſch hört kein Warnen an, 1 Dein Name ruft es zu glorreichem Streite, Zeigt Dich als Preis. Alſo von Stolz geſchwellt . Wird es Dein armer Sklav, der Dir zur Seite

In Deinen Dienſten willig ſteht und fällt. Drum ſprich nicht von Gewiſſen, wenn ich werbe Um Deine Gunſt, für die ich leb' und ſterbe.

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14. For Mund, dies Wunderwerk der Liebe, aK Haucht' mir in's Ohr das Wort: ich hbaffe, 0 Mir, der ihr weiht all' ſeine Triebe! Fg

Doch da ſie ſieht wie ich erblaſſe, in et Kehrt Mitleid in ihr Herz zurück; 1% N Sie ſchmäht die Zunge, die voll Süße Sonſt nur gewohnt zu ſpenden Glück, Ind d Und lehrt ſie daß ſie anders grüße. 8 Zum Haſſe wird ein Wort gethan, onen Das wie die Nacht vor hellem Morgan Zur Hölle von der Himmelhbahn Entflieht verſcheucht all' meine Sorgen Ich haſſe doch fie weckte mich Zum Leben neu, fie ſprach: nicht Dich!

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15.

Uu ſagſt, Grauſame, daß ich Dich nicht liebe,

Und bin doch ganz für Dich, ſelbſt gegen mich!

Veenrgeßlich nennſt Du mich im Weltgetriebe? Denk ich, Tyrannin, doch an Nichts als Dich! Wer haßt Dich wohl, den meinen Freund ich nenne, Wem zürneſt Du, dem ich mich ſchmeichelnd neige?

} Und wenn Dein Zorn mich ſelbſt trifft: o bekenne, 5 Ob ich mich anders je als reuvoll zeige?

. Acht' ich in mir ſo hoch wohl ein Verdienſt,

Daß es zu ſtolz wär' Dir zum Dienſt zu taugen?

Mein Beſtes weiht ſich huldigend Deinem Dienſt, Befehligt durch das Blinzeln Deiner Augen.

Doch, haſſe nur; ich weiß wie Du geſinnt; Du liebſt nur Sehende und ich bin blind.

16.

O welche Macht kann Dir die Allmacht leihn

Trotz eigner Schwäche mich zu lenken ganz,

Daß ich mein eignes Aug' muß Lügen zeihn

Und ſchwören Tagslicht ſei nicht Sonnenglanz?“

Was iſt's, das ſolchen Reiz dem Böſen giebt,

Daß, magſt Du noch ſo ſchlimme Wege wandern,

Man doch weit mehr all' Deine Sünden liebt

Als Tugend und Vollkommenheit in Andern?

Wer lehrte Dich, die Lieb' in mir zu mehren,

Je mehr ich Urſach finde Dich zu haſſen?

Da ich, wovon entſetzt ſich Andre kehren

So liebe ſollt'ſt doch Du mich nicht verlaſſen! Wenn Du unwürdig mich zum Lieben triebſt, Bin ich nur würdiger daß Du mich liebſt!

17.

In Wahrheit lieb' ich Dich nicht mit den Augen, Denn tauſend Fehler an Dir finden ſie, Doch liebt mein Herz was ihnen nicht will taugen, Und kümmert ſich um ihren Ausſpruch nie. Auch Deine Stimme kann mein Ohr nicht reizen, In keinem Punkt biſt Du von Makel rein, Nicht Zärtlichkeit noch alle Sinne geizen Nach ſinnlichem Genuß mit Dir allein. Doch Witz, Verſtand und Sinne allvereint Entziehn nicht Deinem Dienſt mein Herz, das närr'ſche, Das ſeine eigne Herrſchaft gern verneint, Daß Deine ſtolze Macht es ganz beherrſche. Nur Eins kann tröſtend meine Schmach verſüßen: Daß, die mich fündigen macht, mich auch macht büßen.

18.

I fehl aus Liebe, tugendhaft biſt Du

Aus Haß, den meine fündige Liebe nährt;

O nimm mein Thun und ſtelle Deins dazu,

So findeſt Du mich nimmer tadelnswerth! 11

Und wenn nicht tadelnswerth durch Deinen Mund,

Der ſeiner Lippen Scharlachſchmuck entweiht |

So oft als meiner, durch manch falfchen Bund

Gelockert fremden Ehbunds Heiligkeit.

Ich liebe ſo erlaubt Dich wie Du jene

Die Du verbuhlt von ihrer Pflicht entfernteft;

Drum füe Mitleid in Dein Herz, Syrene,

Auf daß es wachſe und Du Mitleid ernteſt. Wenn, was es mir entzieht, Dein Herz begehrt, Bleib' es, nach eigenem Beiſpiel, Dir verwehrt.

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19.

Wie Brot dem Leben, biſt Du den Gedanken, Wie Wolken die den Boden labend netzen,

Um Deine Ruh' iſt in mir Kampf und Schwanken Wie zwiſchen Geizigen und ihren Schätzen.

FJiegtt jubl ich im Bewußtſein daß Du mein,

Dann fürcht' ich, daß die Welt Dich mir entrückt; Bald wär' ich lieber ganz mit Dir allein,

\ Bald wünſch' ich, Jeder ſäh' was mich entzückt.

Bald weilt mein Aug', geſättigt Dich betrachtend,

und bald um einen Blick von Dir verſchmachtend) Denn Nichts iſt meine Luft und mein Begehren.

Als was Du mir, Geliebte, kannſt gewähren. So bin ich, Höll' und Himmel wechſelnd täglich, Bald überglücklich, bald elend unſäglich.

20,

Mlein Lieben gleicht dem Fieber, es begehrt

Nach dem nur, was vermehrt der Krankheit Trieb,

Nährt ſich von dem nur was ſie ſelber nährt,

Krankhaftem, wechſelndem Gelüſt zu lieb.

Mein Liebesarzt Verſtand ließ mich allein

Im Elend, weil ich ſeinen Rath verſchmäht.

Jetzt ſeh' ich meine eigne Thorheit ein

Und fühle Reu, doch hoffnungslos, zu ſpät.

Ohne Verſtand bin ich unheilbar nun,

Verworren und verdunkelt iſt mein Sinn

Und ebenſo mein Reden, Denken, Thun,

Blind um die Wahrheit irr' ich her und hin. Du, die ich ſchön und ſtrahlend mir gedacht, Biſt dunkel wie die Hölle, ſchwarz wie Nacht.

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21.

Mey mir, wie meine Augen durch mein Lieben Verwirrt ſind, daß ich ihnen nicht kann traun! Wenn doch: wo iſt mein Urtheil denn geblieben, Das falſch entſcheidet was ſie richtig ſchaun? Iſt ſchön, was meine falſchen Augen ehren, Wie kann die Welt fie denn der Lüge zeihn? Igſt es nicht ſchön, fo kann uns Liebe lehren Ihr Auge ſei nicht klar wie Andre, nein! Wie kann es auch? Wie ſoll ſich's nicht verwirren, Das ſich ſo trüb geweint und trüb gewacht! Kein Wunder, daß auch meine Augen irren, Sieht doch die Sonne ſelbſt nicht in der Nacht. O ſchlaue Liebe, blind machſt Du durch Thränen, Daß ſcharfe Augen makellos Dich wähnen.

22.

Bein Auge gleicht in Nichts dem Sonnenlicht, Dein Mund iſt nicht ſo roſig wie Korallen, Wenn Schnee als weiß gilt, iſt's Dein Buſen nicht, Dein dunkles Haar will Manchem nicht gefallen. Weit ſchönre ſah ich roth' und weiße Roſen Als jene, welche Deine Wangen zeigen, Auch mancher Duft ſchien in der Winde Koſen Mir ſüßer als der Deinem Odem eigen. Gern hör' ich Deine Stimme, doch geſtehn Muß ich, Muſik beut mir noch mehr Genuß. Ich ſah noch niemals eine Göttin gehn, Doch weiß ich, auf die Erde tritt Dein Fuß. Und doch, beim Himmel! ſo ſchön find' ich Dich Als je die Beſte, die man ſchlecht verglich.

23.

Schwarz hielt man nicht für ſchön im Alterthume,“ Und war's auch ſchön, ward's doch nicht ſo genannt Jetzt rühmt man's als der Schönheit wahre Blume Und blond wird ganz und gar ſeitdem verkannt. Denn ſeit die Kunſt mit der Natur ſich mißt Und Häßliches mit Flitterſtaat verſchönt, Bleibt reine Schönheit namenlos, vergißt Man ihren Dienſt, lebt ſie entweiht, verhöhnt. Drum hat mein Mädchen Augen ſchwarz wie Raben, Als ob ſie Trauer über Andre trügen Die ſich durch fremdes Haar verunziert haben, Durch falſchen Aufputz die Natur betrügen. Doch ſolchen Zauber ſchließt dies Trauern ein, Daß Jeder ſagt, ſo müſſe Schönheit ſein.

24.

Ich liebe Deine Augen, die bedauernd Daß mit Verachtung ſich ſo quält Dein Herz, Sich ſchwarz umhüllt, gleichſam wie um mich trauernd Voll holden Mitgefühls ob meinem Schmerz. Und wahrlich! nicht die Morgenſonn' am Himmel Schmückt herrlicher des Oſtens graue Wangen, Noch blinkt der ſchönſte Stern aus dem Gewimmel Des Sternenheers mit halb jo ſtolzem Prangen Wie Deiner Augen dunkle Majeftät. O, ſo laß Trauer auch Dein Herz verſchönen Um mich, da Trauer Dir ſo reizend ſteht, Laß alle Theil' in Mitleid ſich verſöhnen! Dann will ich ſchwören, ſchwarz ſei ſchön allein, Und was nicht Deine Farbe trägt, gemein!

25.

So launenhaft und herriſch iſt Dein Geiſt, Als wärſt Du eine Schönheit ohne Fehl, Zwar meinem glühenden Herzen wie Du weißt Bit Du das ſchönſte, theuerſte Juwel Dioch Mancher ſagt, der Dein Geſicht geſehn, Diaaß es ein Herz nicht allzuleicht bethöre Zwar möcht' ich dies als wahr nicht laut geſtehn, Wiewohl ich's heimlich bei mir ſelber ſchwöre. Und daß mein Schwur nicht falſch, bezeuge Dir Die Flut von Seufzern die mir heiß entrinnt Allein denk ich an Dich, ſo ſcheint es mir Daß Deine Augen doch die ſchönſten ſind. Schwarz iſt nur was Du thuſt, nicht wie Du biſt, Daher kommt's, daß Dein Ruf ſo dunkel iſt.

26.

Schwört meine Liebe, fie hält feſt am Wahren,

So glaub' ich's ihr, obwohl ich weiß fie lügt Damit ſie glaube, jung und unerfahren |

Sei ich, ein Neuling, den man leicht betrügt.

So irrig wähnend daß fie jung mich wähne, Obwohl fie weiß, mein Frühling iſt verblüht,

Glaub' ich ihr jedes Wort und jede Thräne, 5

Und beiderſeits verſtellt ſich das Gemüth.

Doch warum ſagt fie mir nicht daß fie treuloss, Und warum ſag' ich ihr nicht auch das Wahre? Ach, Liebe heuchelt gerne ſcham⸗ und ſcheulos, 1

Sie wird an mir, ich werd' an ihr zum Hehler, Wir täuſchen, ſchmeichelnd uns, durch unſre Fehler.

27.

Ja ſehe Aug' und Herz ſich wild entzwein

Um Dich, und keines will dem andern weichen: Mein Herz verlangt Dein Bild für ſich allein, Mein Auge fordert es für ſich desgleichen. Mein Herz giebt vor, Du wohnſt in ihm, dem Schrein, u Den kein kryſtallnes Auge noch geſpalten;

Der Gegner ſagt: dem könne nicht ſo ſein, Diein ſchönes Bild ſei ganz in ihm enthalten.

Da als Gerichtshof ſetzt man die Gedanken

iR Des Herzens ein, die Frage zu entſcheiden, Die rufen beide Kläger vor die Schranken,

. Und ſieh, das Urtheil lautet günſtig beiden:

5 Daß Dein auswärtig Theil den Augen bliebe, Derweil das Herz ſich freut der innern Liebe.

F. Bodenſtedt VIII. 4

28.

Nun ſind verbündet Herz und Aug' in mir

Und Eines thut gern was dem Andern frommt; Wenn ſich mein Auge ſchmachtend ſehnt nach an Oder vor Liebesweh mein Herz verkommt:

So labt das Aug' an Deinem Bild ſich froh, Lädt zum gemalten Feſt das Herz auch ein Ein andres Mal macht dies es ebenſo,

Und liebend ſchwelgen beide im Verein.

Alſo erhält Dein Bild wie meine Liebe,

Auch wenn Du fern biſt, ewig nah Dich mir, Denn weiter kannſt Du nicht als meine Triebe, Und ich bin ſtets mit ihnen, ſie mit Dir.

Auch wenn ſie ſchlafen, gleich erwacht die Bruſt Vor Deinem Bild zu Aug- und Herzensluſt.

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29.

Mein Auge ſitzt, ſeit wir geſchieden find,

In meinem Geiſt, und jenes andre dort,

Das mich umherführt, iſt zur Hälfte blind,

Scheint ſehend doch in Wahrheit iſt es fort.

Denn keine Formen, keinen Widerſchein

Von Vogel, Blum' und was ſich zu ihm drängt,

Nichts bringt ſein ſchnelles Sehn dem Herzen ein,

Denn feſt hält ſeine Sehkraft was ſie fängt.

Und was es ſchaun mag, häßlich oder ſchön,

Zum Abſcheu oder ſüßeſten Vergnügen,

Tag oder Nacht, Meer oder Bergeshöhn,

Taub' oder Kräh' es formt's nach Deinen Zügen! So voll von Dir denn Alles ſonſt vergeß ich, Macht mich mein treu Gemüth unzuverläſſig.

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30.

Oo nicht vielleicht mein Geiſt, gekrönt mit Dir,

Vom Herrſchergift der Schmeichelſchönheit zehrt?

Wie? oder ſagt mein Auge Wahrheit mir,

Dem ſolche Zauberkunſt Dein Lieben lehrt,

Daß es das Ungeheuerſte und Kleinſte

Zu Cherubim geſtaltet, Deines Gleichen,

In höchſte Schönheit wandelt das Gemeinſte,

Wenn ſeiner Blicke Strahlen es erreichen.

's iſt, wie ich ſagte, Augenſchmeichelei,

Die königlich nährt meinen hohen Sinn.

Wohl weiß mein Auge was ihm lieblich ſei

Und reicht den Becher ſeinem Gaumen hin. Enthält er Gift, iſt's immer beſſer daß Zuerſt mein Auge ſchlürft das giftige Naß.

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31.

Dein Sttav bin ich und darum ſtets bereit

Zu Deinem Dienſt, was immer Du beliebſt, Für mich iſt koſtbar keine andre Zeit

Als wenn Du mir zum Dienen Anlaß giebſt. Ich ſchmäh' die Stunde nicht die endlos ſchleicht, Verfolg' ich, Theurer, ſie mit Ungeduld

Nach Dir; der Schmerz der Trennung wird mir leicht, Haſt Du zum Abſchied mich gegrüßt mit Huld. Nicht folg' ich eiferſüchtig Deiner Spur, Erſpähend was Du thuſt, wohin Du eilſt.

Still überdenkt Dein armer Diener nur

Wie glücklich die fein werden wo Du weilſt. Lieb' iſt ſo närriſch treu: was es auch ſei Das Du beginnſt, ſie hat kein Arg dabei!

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32.

Verhüt' es Gott, der Dir zum Dienſt mich wählte, Daß ich im Geiſt nur folgte Deinem Fuße, Oder auf Rechenſchaft der Stunden zählte, Die Du mir fern verbringſt in ſeliger Muße. O laß mich Deines Winks gewärtig leiden! Frei ſollſt Du ſein und ich will in Geduld Zur Haft verdammt mich von Dir laſſen ſcheiden, Nie treffe Dich der Vorwurf einer Schuld! Sei wo Du willſt, Dein Freibrief iſt ſo groß, Daß Du beliebig Deine Zeit kannſt wählen. Thu' was Du immer magſt, Dir ward das Loos Von ſelbſtbegangner Schuld Dich freizuzählen. Ob gut, ob ſchlecht, nicht tadl' ich Deine Wahl Und harre aus, ſchafft's mir auch Höllenqual.

33.

lie ward zum ſchaurig öden Winter mir

Die Trennungszeit von Dir, mein Glück und Leben! Welch dunkle Tage liegen hinter mir,

Welch ein Dezemberfroſt hat mich umgeben!

Und wars doch Sommer, als ich ſcheiden mußt! Dann kam der Herbſt, an Segensfülle groß, Befruchtet von des Frühlings Liebesluſt,

Wie nach des Gatten Tod der Wittwe Schoß. Doch dieſer Segensüberfluß ſchien mir

Nur Waiſenhoffnung, vaterlos und bang,

Denn Glück und Sommer wandeln ſtets mit Dir, Und wo Du fehlſt, ſchweigt ſelbſt der Vögel Sang. Und ſängen ſie, wär' es ſo bang zu hören, Daß Bäume, winterſcheu, ihr Grün verlören.

34.

J ch war getrennt von Dir im Frühling auch, Als der April im farbenbunten Drang Die Welt belebt mit friſchem Jugendhauch, Daß ſelbſt Saturnus mit ihm lacht' und ſprang. Doch nicht der Vögel Sang in Wald und Gründen, Noch aller Blumen Duft und Farbenſpiel Verlockte mich des Sommers Lob zu künden, Ich ließ ſie ungepflückt auf ſtolzem Stiel. Ich ſtaunte ob der Lilien Weiße nicht, Pries nicht die Glut die in der Roſe lebt; Es ſchien en Bilder lieblich dem Geſicht, Doch denen Du als Muſter vorgeſchwebt. Und immer ſchien mir's Winter ohne Dich, Nur wie Dein Schattenſpiel ergötzt es mich.

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35.

So ſchalt ich früher Veilchen Uebermuth: ““ Woher nahmt ihr den Duft der mich entzückt, Wenn nicht von ihrem Mund? Die Purpurglut

13 Die prächtig eure ſammtnen Wangen ſchmückt,

Habt ihr zu ſtark gefärbt in ihrem Blut. Den Lilien hielt ich Deine Hände vor, Dem Majoran daß er Dein Haar Dir nahm,

Jaurchtſam auf Dornen ſtand der Roſen Chor,

Hier vor Verzweiflung weiß, dort roth vor Scham;

Und eine weiß und roth gemiſchte wagte

Selbſt Deines Mundes Odem Dir zu rauben;

Allein da kam ein Wurm, der ſie zernagte

Für ihren Raub ſie mußte daran glauben! Mehr Blumen ſah ich noch, doch in der Zahl Nicht eine, die nicht Farb' und Duft Dir ſtahl.

36.

Erneu' „o füße Liebe, Deine Kraft, Sie heißt ſonſt ſchwächer als des Hungers Macht, Der heute, wenn er kaum geſtillt, erſchlafft, Doch morgen ſchon mit ſchärfſtem Reiz erwacht. Ihm gleiche, Liebe! Ob auch Dein Geſicht Sich heut geſättigt bis zum Ueberfluß: Blick' morgen wieder friſch und tödte nicht Der Liebe Geiſt durch ſteten Ueberdruß. Die trübe Zwiſchenzeit ſei wie das Meer Dem Brautpaar iſt: getrennt gehn Beide täglich Zum Ufer ſehnſuchtsvoll, bis Wiederkehr Die Liebenden vereint, beglückt unſäglich. Oder dem trüben Winter gleich' ſie, dem Der Sommer! folgt uns dreifach angenehm.

37.

5 Die tadeln Deiner Jugend Uebermuth,

Dien als die Zier der Jugend Andre loben; Dioch Zier wie Fehler: Dir ſteht Alles gut, Der Fehler wird durch Dich zum Schmuck erhoben.

Wie man am Finger einer Königin

| Als werthvoll das geringſte Kleinod achtet, Nimmt man als gut auch Deine Mängel hin,

u Als Wahrheit wird Dein Irrthum ſelbſt betrachtet. ji Wie viele Heerden würd' ein Wolf zerſtören,

. Könnt' er zu einem Lamm ſich umgeſtalten;

Wie viel Bewundrer könnteſt Du bethören, Wollt'ſt Du all Deine Zaubermacht entfalten! Doch thu' es nicht, denn wie Du gänzlich mein In Liebe biſt, ſoll es Dein Ruf auch ſein!!“

38.

Tlie lieblich und wie ſüß machſt Du die Schande,“

Die wie ein Wurm in duftiger Roſe ſteckt

Und Deiner Schönheit Knospenruf befleckt

Du hüllſt die Schuld in wonnige Gewande!

Die Zunge, die wohl Deinen Wandel tadelt,

Wenn ſie, leichtfertig deutend, von Dir ſpricht,

Läßt ohne Lob doch ſelbſt den Tadel nicht,

Weil ſchon Dein Name böſen Leumund adelt.

O welche Wohnung ward den Fehlern, die

Zu ihrem Aufenthalt Dich auserleſen!

Die reinſte Schönheit überſchleiert ſie

Und tadellos erſcheint Dein ganzes Weſen. Kehr', theures Herz, dies Recht Dir nicht zum Leide, Mißbrauch macht ſtumpf die ſchärfſte Meſſerſchneide.

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39.

Henn Dir die Laune kommt mich zu verſchmähn Und mein Verdienſt unglimpflich zu verkennen, Will ich, mich ſelbſt befehdend, zu Dir ſtehn, Dich tugendhaft, obgleich Du falſch biſt, nennen. Vollkommen mir bewußt der eignen Schwächen, Will ich mich offen zeigen wie ich bin, Und kennſt Du meine heimlichen Gebrechen, Wird Dir, was Du verlierſt an mir, Gewinn. Und mir auch fällt dadurch ein Vortheil zu, Denn auf Dich lenkend all mein liebend Sinnen, Muß ich beim Unrecht das ich ſelbſt mir thu' Zu Deinen Gunſten doppelt ſelbſt gewinnen. So bin ich Dein mit jedem Herzensſchlage, Daß ich für Dein Recht alles Unrecht trage.

40.

Say „Du flohſt mich um einen dummen Streich, Und ich erkläre, daß ich Dich beleidigt; Sag' daß ich lahm ſei, und ich hinke gleich, Denn gegen Dich wird nichts von mir vertheidigt. Du kannſt mich, Herz, nicht halb ſo ſchlecht behandeln, Um Deiner Liebe Wechſel zu entſchuldigen, Als ich ſelbſt thue; ich will mich verwandeln, Dir fremd erſcheinen, blos um Dir zu huldigen.“ Ich will Dir aus dem Weg gehn; nie hinfort Entſchallt Dein ſüßer Name meinem Munde, Daß nicht vielleicht ein unvorſichtig Wort Von unſrer alten Liebe gebe Kunde. Für Dich zum Selbſthaß werd' ich angetrieben, Denn wen Du haſſeſt, den darf ich nicht lieben.

41.

So haſſ' mich, wenn Du willſt; wenn jemals, nun, Wo mir das Schickſal doch kommt kreuz und quer, Verein dem Unglück Dich, mir weh zu thun, Und komm' nicht mit dem Schaden hinterher.

O wenn mein Herz entflohn iſt dieſen Sorgen, Komm' nicht im Nachtrab überwundner Noth!

1; Der Sturmesnacht folg' nicht als Regenmorgen, Bereite nicht durch Zögern mir den Tod.

Willſt Du mich laſſen, thu' es nicht zuletzt,

Wenn überwunden alle kleinern Schmerzen, Im Anlauf komm': von vornherein verſetzt

Das Glück den ſchlimmſten Schlag ſo meinem Herzen. Und alle Qual, die jetzt mich ängſtigt, ſchweigt, Wenn drohend Dein Verluſt vor mir ſich zeigt.

42.

Verlang' nicht, daß ich felbft mein Mißgeſchick Beſchönige, bei dem Mangel Deiner Gunſt; Verwunde mit dem Mund, nicht mit dem Blick, Ueb' Kraft an Kraft, nur tödte nicht durch Kunſt! Daß Du mich nicht mehr liebſt, ſag's unumwunden, Doch blick' nicht ſeitwärts wenn ich bei Dir bin. Wozu die Täuſchung? Reicht, mich zu verwunden, Nicht Deine offne Stärke mehr als hin? Ich will ſie ſelbſt entſchuld'gen: kund iſt ihr, Wie feindlich ihre Augen mich bezwingen, Drum wendet ſie die Blicke fort von mir, Daß ſie auf Andre ihre Pfeile ſchwingen. Doch, thu es nicht! Sieh', halb bin ich ſchon todt, Drum blick auf mich und ende meine Noth!

43.

1 Sei klug in Deiner Grauſamkeit, daß nicht Meine Geduld in Ungeduld ſich wandelt,

Das Band der Zunge löſt und offen ſpricht Vor aller Welt wie ſchlecht Du mich behandelt. Sag' nur, daß Du mich liebſt, ich will Dir's danken, Wierd' ich auch wirklich nicht von Dir geliebt

B Sei wie der Arzt, der hoffnungsloſen Kranken

3 Doch immer Hoffnung auf Geneſung giebt.

i Denn machſt Du mich verzweifeln, werd' ich toll, und in der Tollheit könnt' ich Dich verklagen. Die Welt ift fo verdreht und ränkevoll,

Daß tolle Lügen tollem Ohr behagen.

Drum Dich und mich zu hüten, feſt blick mir Ins Auge, geht Dein Herz auch durch mit Dir.

F. Bodenſtedt. VIII. 5

44.

Geübte Wolluſt iſt des Geiſts Verſchwendung 16.

In wüſte Schmach; Wolluſt iſt bis zur That

Meineidig, mördriſch, blutig, voll Werblendung,

Rohheit, Ausſchweifung, Grauſamkeit, Verrath.

Genoſſen kaum, verachtet allſogleich,

Sinnlos erjagt, und wenn ihr Ziel errungen

Sinnlos gehaßt, dem gift'gen Köder gleich,

Gelegt um toll zu machen wenn verſchlungen.

Toll im Begehren, toll auch im Genuß;

Gehabt, erlangt, verlangend ohne Zaum

Im Koſten Glück, gekoſtet Ueberdruß,

Im Anfang Seligkeit, nachher ein Traum. Das weiß die Welt, doch Niemand weiß zu meiden Den Himmelspfad zu ſolchen Höllenleiden.

45,

Verwünſcht das Herz, das mir ſchuf ſolche Pein Und ſolche Wunden meinem Freund geſchlagen! Iſt's nicht genug zu quälen mich allein,

Soll auch mein Freund noch Sklavenfeſſeln tragen? Mir ſelbſt hat mich Dein grauſam Aug' entzogen, 5 Und feſter noch hältſt Du mein zweites Ich.

1 Um Ihn, um mich, um Dich bin ich betrogen, Und dieſe Qual drückt dreimal dreifach mich.

5 Schließ ein mein Herz in Deines Buſens Erz,

g 4 Doch nimm des Freundes Herz für meins zum Pfande,

Wer mich auch hält: ſein Wächter ſei mein Herz,

Drum knüpfe nicht zu enge meine Bande! Du thuſt es doch: denn ich, verwahrt in Dir, Bin ewig Dein ſammt Allem was in mir.

46.

Ja, ich geſtand's: mein Freund iſt Dein und man, Gab ich als Unterpfand in Deine Hand. | O gieb zum Troſte mir mein andres Ich, Den Freund, zurück, ſo iſt verwirkt das Pfand! | Doch Du ſagſt nein, und er will Freiheit nicht; Du buhlſt um ihn und er iſt holdgeſinnt, f Aus Freundſchaft nur für mich nahm er die Pficht Auf ſich, die ihn jetzt ganz für Dich gewinnt. Du läßt das Vorrecht Deiner Schönheit walten, Habgier'ge, die aus Allem Nutzen zieht! % min ch Wirſt an den Freund, der für mich zahlt, Dich dla, Der mir durch meine eigne Schuld entflieht. 2 mit Ihn muß ich opfern Du haſt alle e rg: Er zahlt für mich und ich bin doch nicht frei.

47.

Mein Herz, in zweier Geifter Liebesbann, Schwankt zwiſchen Glück und Unglück her und hin; 1 Mein guter Engel iſt ein ſchöner Mann,

Der böſ' ein Weib, dunkel von Farb' und Sinn. Und dieſes, für die Hölle mich zu werben,

1 Lockt meinen guten Engel von mir fort;

Zaum Teufel meinen Heiligen zu verderben Ammbuhlt fie ihn mit falſchem Schmeichelwort.

4 Ob er ſchon Teufel ward ich darf's vermuthen, Nicht offen eingeſtehn; doch da die zwei

4 Entfernt von mir, vereint in vollen Gluten, Scheint daß Eins in des Andern Hölle fei. NMicht eher wird ſich ganz mein Zweifel löſen, Bis ganz mein guter Geiſt verbrannt vom Böſen.

48.

Schon manchen Morgen ſah ich, ſtolz wie dieſen,

Mit Herrſcherblick der Berge Häupter grüßen, Mit goldnem Antlitz küßt er grüne Wieſen, Vergoldet bleiche Ström' ihm tief zu Füßen.“ Doch dann durch niedre Wolken ganz entſtellt, Umſchwärzt er ſeine himmelklare Wange, Entzieht ſein Auge der verlornen Welt

Und eilt in Schmach verhüllt zum Untergange. So ſah ich einſt auch meiner Sonne Schein Glorreich am Morgen meine Stirn beleuchten, Doch ach! nur eine Stunde war er mein, Dann kamen Wolken, die den Glanz verſcheuchten.

Doch: kann des Himmels Sonne trübe werden,

Darf meine nicht ein Gleiches thun auf Erden?

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49,

Warum verhießeſt Du ſolch' ſchönen Tag Und ließeſt ohne Mantel mich verreiſen, Da auf dem Weg ſchon lauernd heimlich lag Der Wolken Schaar, die trüb Dich jetzt umkreiſen? Genug iſt's nicht, die Wolken zu zerſtreuen Und mir das ſturmgepeitſchte Angeſicht Zu trocknen, wer kann ſich des Balſams freuen, Der nur die Wunde heilt, den Unglimpf nicht? Mein Weh verſcheuchen kann nicht Deine Scham, Dein Mitgefühl erſetzt nicht den Verluſt, Die ſpäte Reu' verſöhnt nicht meinen Gram Und lindert kaum den Schmerz in meiner Bruſt. Doch dieſe Perlen die Dein Auge netzen, Sind reich genug mir Alles zu erſetzen.

50.

Gräm' Dich nicht mehr um das was Du gethan! | 0 Die Roſ' hat Dornen, Schlamm der Quell, ba wan Und Sonne trüben ſich auf ihrer Bahn, =” Ein ekler Wurm in ſchönſter Knospe wohnt“ Wir fehlen All' und eben hierin ich, eichin EU unnd Daß ich im Gleichniß Deinem Fehler huldige, Und ihn verſchöne, ſelbſt beſtechend mich Indem ich mehr Schuld, als Du haſt, ealſchuldige Denn Deiner Sinnenſchuld dien’ ich mit Sinn Als Anwalt tritt Dein Feind auf Deine Seit, Verfolgt rechtskräftig ſich Dir zum Gewinn. So treibt mich Lieb' und Haß zu innerm Steeite, , Daß ich muß Hehler ſein dem theuren Diebe,. Der mich ſo ſchlimm beraubt trotz meiner Liebe.

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51.

Nimm, die ich liebte, nimm ſie Alle hin, Ja, Alle! Du haſt mehr nicht als ſchon Dein, Nicht Eine Liebe mehr in wahrem Sinn, Da Alles längſt Dir zugehört was mein!

ji Nimmſt Du für meine Liebe nun mein Lieb, . Wohlan! es iſt ein Opfer meiner Liebe;

Doch zürnt' ich, wenn Dein launenhafter Trieb

Selbſttrüglich ſuchte was Dir unlieb bliebe. Veerziehn ſoll, holder Dieb, Dein Raub Dir fein, Obwohl Du nahmſt mir Armen all mein Gut, 4 Und Liebe weiß es! Liebestyrannei'n

. Sind ſchmerzlicher als offnen Haſſes Wuth!

Muthwill'ge Anmuth, die ſelbſt Böſes kleidet, Kränk' mich zu Tod nur daß es uns nicht ſcheidet.

52,

Die artigen Sünden, denen Deine Tugend Nicht immer, mein vergeſſend, widerſteht,

Wohl ſtehn fie Deiner Schönheit, Deiner Jugend.

Weil, wo Du gehſt, Verſuchung mit Dir geht. Weil ſanft Dein Weſen, biſt Du zu gewinnen, Weil ſchön, biſt Du Gefahren ausgeſetzt.

Wer, der vom Weib ſtammt, trotzt des Weibes Minnen

So mürriſch, daß nicht Liebreiz ſiegt zuletzt?

Und doch, Freund, möchtſt Du meine Warnung n 1211

Die Schönheit zügeln und die Jugendluſt,

Die Dich in ihrem Taumel ſo bethören,

Daß Du zwiefältige Treue brechen mußt: Die Ihre, die Dein Reiz verlockt zu Dir, Die Meine, weil Du Dich entfernt von mir!

nme, .E ROEE EN SCHERER

53.

Daß Du ſie haſt, iſt nicht mein ganzer Schmerz, Obwohl ſie mir, beim Himmel! theuer war.

Doch daß ſie Dich hat, daß Dein Freundesherz Jetzt ihr gehört das beugt mich ganz und gar. ; Euch Liebesfünder will ich fo entſchuldigen:

Diu liebſt ſie, weil Du weißt daß ſie mir werth Und ſie auch läßt nur meinethalb ſich huldigen Von meinem Freund, der meinethalb ſie ehrt.

N Verlier ich Dich, wird mein Verluſt Gewinn Für ſie verlier ich fie, iſt Dein das Glück; Ihr findet Euch; für mich nur ſeid Ihr hin,

Verbündet laßt Ihr mich allein zurück.

Doch ſind wir zwei nicht Eins, Du mein, ich Dein? Holdſel'ger Traum, dann liebt ſie mich allein!

54 Herr meiner Liebe, der zur Treue ou

Mich Dir verpflichtet, daß ich ganz Dein eigen, eu Dir ſend' ich die geſchriebne Botſchaft zu, Um meine Treu', nicht meinen Witz zu zeigen. So große Treue, daß mein ſchlichter Ge ifi! Zu ſchwach iſt, fie mit Worten auszudrückenR Doch hoff ich, daß Du fo viel Huld mir weihſtt Zu kleiden ihre Blöße und zu ſchmücken n Bis das Geſtirn, das meine Tage lenkt; Auf mich herabblickt mit hulddollem Stahl f Und meiner nackten Liebe Kleidung ſchenkt f Mich werth zu zeigen Deiner ſüßen Wahl

Dann werd' ich laut mich rühmen ich ſei Dein,

Doch bis dahin vor Dir verborgen ſein. e

55.

Du haſt ein Fraungeſicht, das die Natur Dir ſelbſt gemalt, Herr-Herrin meiner Liebe!!“ Ein mildes Frauenherz, doch ohne Spur Von weibiſch-laumſchem Wechſel feiner Triebe. Ein hellres Aug' und minder falſch im Rollen, Den Gegenſtand vergoldend drauf es ſcheint. Und Mann und Frau muß Dir Bewundrung zollen, Der Beider Macht und Zauber in ſich eint. Zum Weib warſt Du zuerſt beſtimmt, doch machte Dann die Natur, ſelbſt ganz verliebt in Dich, Den Zuſatz, der mein Hoffen um Dich brachte, Dir Gaben leihend, nutzlos ganz für mich. Da ſie Dich ſchmückte für der Frauen Liebe: Weih' mir Dein Herz und ihnen Deine Triebe.

56.

lein Aug als Maler hat Dein Bild verliebte Schön ausgemalt in meines Herzens Tiefe, Ein Rahmen iſt mein Leib der es umgiebt, Des beſten Malers Kunſt iſt Perſpektive. Und durch des Malers Kunſt kannſt Du allein Den rechten Platz des Bildes kennen lernen, Das ich bewahrt in meines Herzens Schrein, Das Licht empfängt von Deinen Augenſternen. So dient Dein Auge mir und meins dem Deinen, Meins malt Dein Bild, Deins wird in meiner Bruſt Zum Fenſter, wo hindurch die Strahlen ſcheinen Des Sonnenlichts, die auf Dich ſehn mit Luſt. Doch malt das Aug' die Reize des Geſichts Nur äußerlich vom Herzen weiß es nichts.

57.

N Henn ich, von Gott und Menſchen überſehn, ; Mir wie ein Ausgeſtoßener erſcheine,

. Und, da der Himmel nicht erhört mein Flehn, Dem Schickſal fluche und mein Loos beweine:

5 Wünſch ich an Hoffnungen ſo reich zu ſein

Wie Andre, vielbefreundet, hochgeboren

1 In Kunſt, in Freiheit Manchem gleich zu ſein,

b Unfroh bei dem was mir das Glück erkoren.

N Zur Selbſtverachtung treibt mich faſt mein Sorgen, Doch denk ich Dein, iſt aller Gram beſiegt Der Lerche gleich” ich dann, die früh am Morgen 5 Helljubelnd auf zum goldnen Himmel fliegt.

So macht Erinnerung an Dein Lieben reich, Daß ich's nicht hingäb' um ein Königreich.

J. Vodenſtedt VIII. 6

mi

58.

Tlenn ich fo ſinnend heimlich und allein

Mich ganz in der Vergangenheit ergehe,

Fällt mir gar manches Schwerverlorne ein

Und neu beklag' ich altes Leid und Wehe.“

Die Augen, längſt entwöhnt des Weinens, feuchten

Sich an bei todter Freund' Erinnerungen.

Zu ſchnell erloſchne Sterne ſah ich leuchten,

Vernahm manch ſüßen Ton zu früh verklungen.

Dann kann ich leiden um vergangnes Leid,

Längſt ſchon Geduldetes aufs Neue duld' ich

Die ganze Summe meiner Traurigkeit

Zahl' ich aufs Neu', als wär' ich ſie noch ſchuldig. Doch wenn ich dann zu Dir, mein Freund, mich wende, Erſetzt iſt Alles und mein Leid zu Ende. |

1 Eu

59.

Die mir todt ſchienen, all' die Herzen wohnen,

In Deinem Herzen wunderbar vereint,

Drin Lieb' und alles Liebeswerthe thronen, And jeder Freund den ich als todt beweint. Manch fromme Thräne weint' ich bitterlich.

An der zu früh geſtorbnen Freunde Särgen

Nun ſtehn die Todten wieder auf durch Dich,

In Dir ſich zu vereinen und zu bergen.

. Du biſt ein Grab lebendiger Lieb' erbaut,

Prangſt mit Trophäen meiner todten Lieben

Die all ihr Theil an mir Dir anvertraut,

Dier Vielen Gut ift Dir allein verblieben. Die einſt geliebten Bilder zeigſt Du mir, Sie Alle find, mein Alles iſt in Dir!

6 *

60.

Laß mich's geſtehn: das Schickſal trennt uns hier, N

Ob auch untheilbar unſre Herzen ſchlagen, ae

Drum ohne Deine Hülfe, fern von Dir

Will ich den Makel meines Standes tragen.

O daß es einem neidiſchen Loos gefiel,

Zu ſcheiden Menſchen, die fo eng verbunden!

Zwar ſtört es nicht der Liebe hohes Ziel,

Doch raubt es dem Genuſſe ſüße Stunden.

Nicht überall darf ich mich zu Dir kehren,

Weil meine vielbeweinte Schmach mich hindert,

Noch darfſt Du ſo vor aller Welt mich ehren, ; |

Weil fonft ſich Deines Namens Ehre mindert. 25 Drum thu' es nicht denn wie Du gänzlich mein In Liebe biſt, ſoll es Dein Ruf auch fin!

Nei 21 in

61.

Den Tod mir wünſch' ich wenn ich anſehn muß?“ Wie das Verdienſt zum Bettler wird geboren

Und hohles Nichts zu Glück und Ueberfluß,

Und wie der treuſte Glaube wird verſchworen,

Und goldne Ehre ſchmückt manch ſchmachvoll Haupt, Und jungfräuliche Tugend wird geſchändet,

Und wahre Hoheit ihres Lohns beraubt,

Und Kraft an lahmes Regiment verſchwendet,

Und Kunſt im Zungenbande roher Macht,

Und Wiſſenſchaft durch Schulunſinn entgeiſtert,

And ſchlichte Wahrheit als Einfalt verlacht, And wie vom Böſen Gutes wird gemeiſtert

Müd' alles deſſen, möcht' ich ſterben bliebe Durch meinen Tod nicht einſam meine Liebe.

62.

lie könnt es meiner Muf an Stoff je fehlen |

So lang’ Du athmeſt und in meine Lieder

Dein holdes Leben hauchſt, fie zu befeelen;

Wer ſänge würdig Deinen Inhalt wieder?

O danke Du Dir ſelbſt, wenn leſenswerth

In Deinen Augen etwas ſcheint an mir!

Wer würde nicht beredt durch Deinen Werth? |

Borgt doch die Dichtung ſelbſt ihr Licht von Dir!

Darum die zehnte Muſe ſollſt Du ſein 5

Um zehnmal würdiger als die neun, die alten,

Und wer Dich anruft, ſoll Dir Lieder weihn,

Die ewigen Werths voll Deinen Ruhm enthalten. Gefällt der krit'ſchen Welt die ſchlichte Reife, ; 4 18 Sei mein die Müh' Dir fer zum Ruhm und Preiſe!

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63. O wie kann würdig Deinen Werth ich ſingen, Wenn Du der beßre Theil nur biſt von mir? Kann mir, mich ſelbſt zu loben, Ehre bringen? Und iſt's nicht Selbſtlob was ich lob' an Dir? Laß eben darum uns geſondert leben Und künftig zwiefach unſre Liebe ſein, Damit ich Dir, Du Einziger, mag geben Den Ehrenpreis, der Dir gebührt allein. O Trennung, unerträglich wärſt du bliebe Der ſüße Troſt nicht deiner Einſamkeit, Der zärtlichen Gedanken unſrer Liebe Die anmuthvoll betrügen Gram und Zeit.

Aus Einem machſt du Zwei der Eine bleibt

Um den zu ſingen, den's von hinnen treibt.

64.

Mi. ſucht' ich ſorgſam jede Kleinigkeit,

Als ich verreiſt, vor Diebeshand zu ſchützen,

Um, wenn ich heimgekehrt, was lange Zeit

Nutzlos verſchloſſen lag, auf's Neu' zu nützen!

Doch Du, vor dem mein Reichthum bloßer Tand,

Du meine größte Sorge, höchſte Liebe,

In der allein ich Troſt und Freude fand:

Du bliebſt zur Beute jedem ſchnöden Diebe!

Ich habe Dich zu hüten nicht gewußt

Als da wo Du nicht biſt, und doch geblieben

Biſt Du, ich fühl's, im Schreine meiner Bruſt,

Wo frei Du ein- und ausziehſt nach Belieben. Und da ſelbſt fürcht' ich, daß man Dich mir raube, Denn um Dich wird zum Diebe Treu und Glaube”?

69.

So bin ich wie der reiche Mann, der ſtill 1 Den Schlüſſel führt zu ſeligem Beſitze, Dien er nicht täglich ſehn und zählen will, Nicht abzuſtumpfen ſeltner Freude Spitze. Daher der Feſte Wird’ und Herrlichkeit, Wieil ſie ſo ſelten uns das Jahr gewährt, Sie dünn geſät ſind wie am Halsgeſchmeid . Und anderm Schmuck Geſtein vom höchſten Werth. So gleicht die Zeit, die Dich bewahrt, dem Schrein, Den mein Gewand und meine Schätze füllen, Am Feſttag mir ein theurer Schmuck zu ſein, Sto das verborgne Schöne zu enthüllen. Geſegnet ſeiſt Du, der das Glück mir offen Hältſt, wo Du biſt und wo Du fehlſt: das Hoffen.

66.

lie mühſam ſchlepp' ich mich von Ort zu Ort, Wenn meiner Reiſe Ziel, das ſonſt mich triebkktttee 5 Zu eilen, jetzt mir zuruft immerfort »So fern weilſt Du nun ſchon von Deiner Liebe!«k Mein Reitthier kommt nur langſam von der Stelle, BE Als trüg' es mit mir meines Grames Bürde Und fühlte durch Inſtinkt, daß eine Schnelle Die mich von Dir entfernt, nicht freuen würde Selbſt durch den blutigen Sporn läßt ſich's nicht ſtören, Womit mein Unmuth dann und wann es ſchlä gt, Als Antwort muß ich traurig Stöhnen hören, 1 Das tiefer mich als es mein Sporn bewegt, 5

Denn in's Gedächtniß ruft es mir zurück!

Mein Gram liegt vor mir, hinter mir mein Glück.

4 a 5 2 1

67.

So kann ich liebreich mein ſchwerfällig Thier Entſchuld'gen, daß es nicht eilt gar zu ſehr:

Was nützt mir Eile, geh' ich fort von Dir?

Doch thut ſie noth bei meiner Wiederkehr.

O wie will dann mein Gaul Entſchuld' gung. finden, Wenn ſchnellſte Schnelligkeit nur ſcheint Verzug! Scharf ſpornt ich an, ritt ich ſelbſt auf den Winden,

Leungſan erfhiene mir beſchuingter Flug.

Dann nimmt's kein Roß mit meiner Sehnſucht auf / Und fie nur, die vollkommner Lieb' entſproß, (Nicht träges Fleiſch) befeuert meinen Lauf, Und Lieb' um Lieb' entſchuldigt jo mein Roß: Langſam hat's mich von Dir hinweggetragen, 1 Langſam tehrs heim doch ich muß zu Dir jagen!

92

68.

Von Müh'n erſchöpft ſuch' ich mein Lager auf, Die holde Ruhſtatt reiſemüder Glieder, Doch dann beginnt in meinem Kopf ein Lauf,

Wach wird der Geiſt, ſinkt ſchwach der Leib danieder.

Denn ſehnſuchtsvoll ſucht mein Gedanke Dich Aus weiter Fern' auf frommer Pilgerfahrt. Die müden Augenlider öffnen ſich Und ſehn nur, was der Blinde auch gewahrt. Nur daß der Seele einbildſame Macht Dem innern Auge Deinen Schatten beut, Der wie ein ſtrahlendes Juwel die Nacht Verſchönert und ihr alt Geſicht erneut: So daß um Deinethalb am Tag die Ruh Die Glieder flieht und Nachts den Geiſt dazu.

69,

Wie kenne ich wieder glüclich jemals werden,

Da mir der Ruhe Wohlthat gänzlich fehlt,

5 Die Nacht nicht lindern will des Tags Beſchwerden f

. Tags mich die Nacht und Nachts der Tag mich quält. Die Beiden, ſonſt einander feind, vertragen

In flüchtigem Bund ſich nur zur Plage mir,

Der Tag durch Müh'n, die Nacht durch Weh und Klagen, Daß mich mein Müh'n nur mehr entfernt von Dir.

Dem Tage ſag' ich, ihm gilt Deine Pracht,

Dein Glanz ſchmückt ihn, wenn Wolken ihn umdunkeln Desgleichen ſchmeichl' ich auch der ſchwarzen Nacht:

Du leuchteſt ihr wenn keine Sterne funkeln. Allein der Tag mehrt meine Leiden täglich, *

Die Nacht macht fie allnächtlich unerträglich.

70.

Soll durch Dein Bild, in Nächten voller Kummer /

Der Schlaf von meinen müden Augen weichen! Fi

Iſt es Dein Wunſch, zu ftören meinen Schlummer f

Derweil mich Schatten hoͤhnen, die Dir gleichen: |

ft es Dein Geift, den Du aus weiter Ferne N

Mir ſendeſt, daß er ſpähend mich verſucht |

Und meine Schuld und Thorheit kennen lerne,

Zum Ziel und Inhalt Deiner Eiferſucht? 5

O nein! So groß iſt Deine Liebe nicht!

Treu läßt mich meine eigne Liebe wachen;

Sie iſt's, die Nächtens meinen Schlummer bricht,

Um Deinethalb den Wächter ſtets zu machen: Weit von Dir lieg ich um Dich wachend da Du wachſt wo anders, Andern viel zu nah. 7

23,

# Am beſten ſeh' ich, ſchließt mein Auge ſich,

Denn nichts gefällt ihm von des Tages Pracht; Allein im Traum, im Schlummer ſieht es Dich, und nächtlich hell ſchaut es hell in die Nacht. Du, deſſen Schatten Glanz dem Schatten leiht: Wie glanzvoll würde man am Tag Dich finden,

\ Noch mehrend feines Lichtes Herrlichkeit,

4 Da Du ſo glamzvoll ſchon erſcheinſt dem Blinden. Wie würd' es meine Augen hoch beglücken

Di.ich ſelbſt zu ſchauen am lebendigen Tag,

5 Da ſchon Dein bloßer Schatten ſolch Entzücken

In todter Nacht zu ſpenden mir vermag!

Der Tag wird mir zur Nacht, ſeh' ich Dich nicht, Die Nacht zum Tag, zeigt Dich mein Traumgeſicht.

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72.

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lar dieſes Leibs ſchwerfälliger Stoff Gedanke,“ So trennte Raum und Zeit Dich nie von mir, Denn immerdar durchbräch' ich jede Schranke, Die zwiſchen uns und eilte hin zu Dre! Und ſtänd' ich an des Erdballs fernſtem Rande, Gleichgiltig wär' es mir, denn unumſchränkt Fliegt der Gedanke über Meer und Lande, Erreicht ſein Ziel ſo ſchnell er es nur denkt. Doch der Gedanke beugt mich, daß ich nicht Stets als Gedanke kann Dir nach mich ſchwingen, Denn Meer und Land hält mich in ſchwerem Bann In Jammer muß ich meine Zeit verbringen 7 Die trägen Stoffe können, die mich beugen, In mir nur Schmerz und bittre Thränen zeugen.

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73.

0 Die beiden andern, Luft und läuternd Feuer,

5 Wo ich auch ſei, ſind immerfort bei Dir;

. Die als Gedanke, dies als Wunſch mir theuer, I Im ſchnellſten Flug find fie bald dort, bald bier.

Denn wenn ich meine flüchtigen Elemente

Als Liebesboten nach Dir ausgeſchickt,

9 Das beßre Paar vom ſchlechtern Paar ſich trennte, Bin ich betrübt zum Tod, von Gram geknickt: Bis neu die Lebensſtoffe ſich vereinen

ie Durch jene Boten, die auf ſchnellen Schwingen

8 Von Dir zurückgekehrt vor mir erſcheinen

U Und frohe Kunde Deines Wohlſeins bringen.

Doch kurz nur, wie ſie weilen, währt mein Glück, Um Dich beſorgt ſend' ich ſie gleich zurück.

F. Bodenſtedt. VIII. 7

74.

Aus welchem Stoffe ſchuf Dich die Natur, Daß Millionen Schatten Dich umſchweben? Hat Jeder ſonſt doch einen Schatten nur, Und Du allein kannſt Allen Schatten geben. Malt man Adonis, kann ſein Bild noch lange Mit Dir, dem Urbild, nicht vergleichen ſich Haucht Kunſt ihr Schönſtes auf Helenens Wange, Sieht man in griechiſchem Gewande Dich! Rühmt man den Frühling und des Jahres Fülle: Sie ſind die Schatten Deiner Schönheit bald Und bald zugleich ihr Kern und ihre Hülle: Wir kennen Dich in jeder Wohlgeſtalt. Dir ward ein Theil von jeder äußern Zier, An Treu' nur gleichſt Du Keinem Keiner Dir!

.

75.

O wie verzag' ich, wenn ich von Dir ſinge, Seit Dich ein größrer Dichtergeiſt erhob?“ Auf ſeiner allgewaltigen Ruhmesſchwinge,

Daß ich verſtummen muß mit meinem Lob.

| i Doch da Dein Werth, weit wie der Ocean,

Die ſtolzeſten wie kleinſten Segel trägt,

1 Wagt auch mein Schifflein Deiner Flut zu nahn, Obwohl gering der Werth nur den es hegt. 4 Dein kleinſter Beiſtand ſichert meine Bahn,

Derweil er fährt auf Deiner tiefſten Flut,

And ſcheit'r ich, bin ich nur ein ſchlechter Kahn,

je Doch er von ſtolzem Bau und reich an Gut.

Drum: ſänk ich, während er zum Hafen triebe: Was macht' es aus! Mein Tod war meine Liebe.

76,

Du biſt mit meiner Muſe nicht vermählt, u or e

Drum darf ich Dich der Untreu nicht befchuldigen,

Wenn Du, den Jeder ſich zum Preis erwählt,

Dir lieber läß'ſt durch andere Dichter huldigen.

Du biſt ſo klug wie ſchön und weißt darum

Daß weit Dein Werth über mein Lob erhaben,

Nun ſiehſt Du Dich nach einem Andern um,

Der würdiger mag preiſen Deine Gaben. and

Thu' das! Doch glaub' mir, wenn auch Alle ſie

Dich überſchwänglich lobend ſich vereinen, i nie,

So ſchlicht und wahrhaft findeſt Du doch n·titte 5

Dein Bild in ihren Worten als in meinen. ; Man braucht nur Schminke wo natürlich Roth Den Wangen fehlt bei Dir thut ſie nicht noth!

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N.

4 Nie fand ich farblos Dich und darum nie

4 Konnt' ich zu ſchminken Dich mich überwinden; Sur übertünchtes Lob der Poeſie

Fand, oder glaubt' ich Dich zu groß zu finden. Darum wie ſchläfrig war ich Dich zu loben, 14 Damit Du felbft, in Deiner ganzen Größe Dich zeigen könnteſt, ſtolz das Haupt erhoben, Im Gegenſatz zu heutiger Dichtung Blöße.

\ ‚4 Dies Schweigen machteſt Du zur Sünde mir, f E Derweil es meinen höchſten Ruhm mir bot, i Denn Schweigen ſchmälert keinen Reiz an Dir 8 4 Die Leben bringen wollten, bringen Tod.

41 In einem Deiner Augen lebt mehr Leben, Als Deine beiden Dichter können geben.

102

78.

Stumm hält ſich meine Muſe und beſcheiden, Wenn goldne Federn in ein Prunkgewand Des Ruhmes Dich mit ſtolzen Zügen kleiden, In Schmuck, gewebt von aller Muſen Hand. Gut iſt mein Denken wie der Andern Singen. Gleich einem Sakriſtane ruf ich Amen Bei Hymnen, die zu Deinem Ruhm erklingen, Verklären ſie nur würdig Deinen Namen. Lobt man Dich, ſag' ich: 's iſt ſo, es iſt wahr! Und mehre noch das höchſte Lob allein Im Geiſte blos, deß Liebe immerdar Vorangeht, denn das Wort folgt hinterdrein. So ehre denn der Andern Worte Hauch, Doch meines ſtummen Denkens Wahrheit auch.

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103

79.

Ular es das ſtolze Segel feiner” Dichtung Das Dein zu theures Selbſt verfolgt zum Siege, Was mich zu reifen Denkens Selbſtvernichtung Antrieb, zum Sarge machend ſeine Wiege?

War es ſein Geiſt, von Geiſtern aufgeſchloſſen

Zu überird'ſcher Kunſt, der mich bezwang?

Nein, nicht vor ihm, noch ſeinen Nachtgenoſſen

Die ihm geholfen, ſtaunte mein Geſang. Nicht er, noch jener Geiſt, der jede Nacht Ihm falſche Kunde raunt in's gläubige Ohr, Bat ſiegreich fo zum Schweigen mich gebracht, Daß ich blos deshalb Luft und Muth verlor.

Doch daß ſein Lied durch Deinen Beifall ſtieg, Das war's, was mich verſtimmt', warum ich ſchwieg.

.

80.

Leb wohl! Du ſtehſt im Preis zu hoch für mich,

Und fremd biſt Du dem eignen Werthe nicht.

Frei macht das Vorrecht dieſes Werthes Dich,

Mein Recht an Dir erliſcht, wie Deine Pflicht.

Denn wie beſäß' ich Dich als durch Dein Geben?

Nicht durch Verdienſt ward ſolcher Reichthum mir;

Der Grund ſo holder Gunſt fehlt meinem Leben

Und ſo kehrt das Geſchenk zurück zu Dir.

Du gabſt Dich ſelbſt, fremd Deinem eignen Werth,

Gabſt Dich mir eigen ohne Ueberlegung,

So fällt das Gut, mir unbedacht gewährt,

Zurück an Dich nach reiflicher Erwägung. Mir war's wie Schmeicheln eines Traumgeſichts: | Im Traum ein König und erwacht ein Nichts. a

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81.

\ las iſt ſo arm an Neuheit mein Gedicht, Statt wechſelnd nach der Mode ſich zu ſchmücken? Warum berſuch' ich's wie die Andern nicht, P.runkvoll, geſpreizt und neu mich auszudrücken? Warum trägt mein Gedanke immerfort Ein und daſſelbe Kleid, ſchlicht und gewöhnlich, 5 7 Daß ich leicht kennbar bin, faft jedes Wort

. | Auf feinen Urſprung zeigt, auf mich perſönlich? 4 O wiſſe, ſüße Liebe, immer fing’ ich

Von Dir allein, Du meines Liedes Leben! Mein Beſtes neu in alte Worte bring' ich, Stets wiedergebend, was ſchon längſt gegeben. Denn wie der Sonne Auf- und Untergang: Alt und doch täglich neu iſt mein Geſang.

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106

82.

Oft rief ich Dich als meine Muſe an Und ſo begeiſternd war mir Deine Gunſt, Daß nun die Andern thun was ich gethan Und Dich als Hort betrachten ihrer Kunſt. Dein Auge lehrte ſelbſt die Stummen ſingen, Erhob zum Flug Unwiſſenheit und Rohheit, Gab neu Gefieder der Gelehrten Schwingen, Verdoppelte der Anmuth Reiz und Hoheit. Doch ſei mein Lied Dein höchſter Stolz und Ruhm! Die Andern kannſt Du beſſern und verſchönen Durch Deinen Reiz, meins iſt Dein Eigenthum, Dein eignes Selbſt Du lebſt in meinen Tönen. Du biſt all meine Kunſt; Unwiſſenheit In mir ward durch Dich zu Gelehrſamkeit.

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83.

So lang' ich Dich noch anrief ganz allein, Trug mein Geſang auch Deiner Anmuth Zeichen Ausſchließlich; doch nun ſtellt Verfall ſich ein Und meine Muſe muß vor andern weichen. Ach, wohl verdient ſolch holder Gegenſtand Wie Du, daß beßre Sänger ihn erheben. Doch was Dein Dichter je von Dir erfand, Er nahm es Dir, um Dir's zurückzugeben. Er leiht Dir Tugend, und von Deinem Werth Nahm er dies Wort; rühmt Deiner Schönheit Prangen Das Deine Wang' ihm bot: wie er Dich ehrt, So war's in Dir lebendig aufgegangen. Drum dank' mir nicht für meines Liedes Ruhm: Ich ſchuld' ihn Dir, er iſt Dein Eigenthum.

84.

Mi: ſich ein altersſchwacher Vater freut An ſeines Sohnes Jugendkraft und Streben, So leb' ich dem ſonſt nichts das Schickſal beut Ganz nur in Deinem hohen Werth und Leben; Denn ob Geburt, ob Reichthum, Schönheit, Witz, Geſondert oder alleſammt Dich haben Erkürt zu ihrem königlichen Sitz: Ich opfre meine Liebe Deinen Gaben, Und bin nicht länger arm: im Mitgenuß So überſchwenglich reichen Eigenthumes, Ich nähre mich von Deinem Ueberfluß Und ſonne mich im Glanze Deines Ruhmes. Ich wünſchte, daß durch jedes Glück verklärt Dein Leben ſei Heil mir! es ward gewährt!

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85

Für jene Zeit wenn je fie follte kommen Wo meiner Fehler Menge Dich verdröſſe, | And, ganz von Klugheitsrückſicht eingenommen, Dein Herz die Rechnung feiner Liebe ſchlöſſe Fiür jene Zeit, wo Deine Liebe ſich In Haß verkehrt und Du vorüberwandelſt a f Kaum mit dem Sonnenauge grüßend mich, Mich fremd, mit kalter Höflichkeit behandelſt 3 Für jene Zeit möcht' ich ſie nie erleben! ie Kann ich mich, ach! auf meinen Werth nicht ſtützen, Muß wider mich die eigne Hand erheben, 1 Dein klares Recht an Deinem Theil zu ſchützen. | Du darfft rechtskräftig trennen unſern Bund, Denn mich zu lieben haſt Du keinen Grund.

110

86.

Den äußern Gaben die wir an Dir ſehn,

Fehlt nichts was Menſchenwitz verbeſſern könnte,

Das muß von Herzen jeder Mund geſtehn

Als wahres Lob, das ſelbſt Dein Feind Dir gönnte.

Dein Aeuß'res wird geſchmückt mit äuß'rem Preiſe;

Allein derſelbe Mund, der, was Dein eigen

Dir gab, zerſtört dies Lob auf andre Weiſe,

Noch weiter ſpähend, als die Augen zeigen.

In Deinen Geiſt ſucht er ſich zu verſenken,

Mißt Deine Thaten ab nach Deinem Ruhme, |

Und haucht dann, fanft von Blicken, rauh im Denken,

Unkrautsgeruch auf Deine ſchöne Blume. Weißt Du, warum dem ſchönen Augenſchein f Dein Duft nicht gleicht? Du machſt Dich ſelbſt gemein.

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mw

87.

Daß man Dich ſchmäht, beweiſt nichts gegen Dich: Berläumdung liebt das Strahlende zu ſchmähen, Und durch Verdächtigung hebt Schönheit ſich

Wie Himmelsblau durch einen Flug von Krähen. Doch biſt Du gut, wird heller Deine Güte

ie Nur durch Verleumdung ſtrahlen mit der Zeit,

Des Laſters Wurm ſucht gern die ſchönſte Blüthe,

9 Dein Frühling iſt noch rein und unentweiht. Der Jugend Nachſtellungen und Gefahren Ertgingſt Du ſiegreich oder unverſehrt.

Dioch kann Dich Dein verdienter Ruhm nicht wahren Vor böſem Neid, der täglich ſich nur mehrt.

Umflorte nicht Verleumdung Deinen Glanz, Beherrſchteſt Du der Menſchen Herzen ganz.

88,

larum in ſchlechtem Umgang foll er leben,

Unheiliges durch ſeine Näh' verwöhnend,

Daß ſich Gefallne durch ihn überheben, 1

Durch feinen Umgang ihre Schuld verfhönend?

Warum ſoll Schminke färben andre Wangen

Nachahmend ſein lebendiges Farbenglühn?

Warum ſoll arme Schönheit trugvoll prangen

Mit Schattenroſen, wo wahrhaft'ge blühn?

Warum ſoll er, nun gänzlich die Natur

Verarmt iſt, bergen ſein lebendig Blut?

Denn ob auch ſtolz auf Viele, lebt ſie nur

Jetzt noch von ihm, er iſt ihr letztes Gut. | | Ihn hat fie reich gemacht, daß wir ermefien 1 An ihm, was fie in beßrer Zeit beſeſſen.

13

89.

So iſt er uns ein Bild aus beſſern Tagen, Da, wie heut Blumen, Schönheit lebt' und ſtarb, Eh' man ihr Baſtardzeichen noch getragen Und die lebendige Stirn damit verdarb. Eh man der Todten goldne Locken raubte,“ Des Grabes Eigenthum, ſie zu beleben Baum zweitenmal auf einem zweiten Haupte, | 1 Durch todte Schönheit Andern Schmuck zu geben. IJIgn ihm ſehn wir die alte Zeit noch blühn, . Die nur am Wahren mochte ſich erfreun, Sich keinen Sommer ſchuf aus fremdem Grün, Nicht Altes raubte, Schönheit zu erneun. Und ihn als Bild hat die Natur erleſen, Das zeigt, wie ächte Schönheit einſt geweſen.

F. Bodenſtedt. VIII. i 8

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14

90.

Se werd' ich leben, glaubend, Du ſeiſt treu, Wie ein betrogner Eh'mann; dem Geſicht

Der Liebe trau'n, ob ſich's auch oft erneu', Das Auge bei mir iſt, die Liebe nicht. Denn da der Haß nie Deinem Auge naht, Kann ich darin nicht Deinen Wandel leſen.

In manchem Antlitz ſpricht ſich der Verrath Des Herzens aus durch mürriſch ſeltſam Wasen es, Dir aber gab des Himmels Schöpferſegen,

Daß ſtets Dein Auge nur von Liebe ſtrahle ß, Und was auch Herz und Sinne mag bewegen Nur Huld und Anmuth auf der Stirn ſich male.

Es iſt wie Eva's Apfel Deine Jugend.

Gleicht Deinem Schein nicht Deine holde Tugend,

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91.

Fxtweder schreib ich noch die Grabſchriſt Dir, Oder Du ſiehſt mich modern in der Erde; Diäioch Dein Gedächtniß nimmt kein Tod von hier, 1 Ob Alles auch von mir vergeſſen werde. Diein Name fol ein ewiges Leben haben, i Rafft mich der Tod auch unbemerkt dahin. Ich werd in dunkler Erde Schoß begraben, Dioch Du bleibſt in der Menſchen Aug und Sinn. ie Dir ſetz' ich mein Gedicht als Monument, Daß Dich noch ungeſchaffne Augen leſen n, Und künftiger Gefchlechter Mund Dich nennt, Wenn alle Athmer? dieſer Zeit verweſen⸗ Deenn meine Lieder geben von Dir Kunde,

So lange Odem weht aus Menſchenmunde.

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16

92.

Pit länger traur' um mich als dumpf der Ton 87 Der Glocke, die mein Sterben kündet, ſchallt

Der Welt zu ſagen daß mein Geiſt entflohn

Und daß bei Würmern nun mein Aufenthalt. Ja, ſiehſt Du dieſe Zeilen, denk nicht mein,

Der ſie geſchrieben, denn ſo lieb' ich Dich: Eh'r möcht' ich ganz von Dir vergeffen ſein,

Als denken daß Du Dich betrübſt um mich.

Wenn einſt Dein Blick noch fällt auf dies Gedicht,

Nachdem mein Leib dem Staub rn denden di chic fog So wiederhol' ſelbſt meinen Namen nicht,

Laß Deine Liebe enden wie mein Leben. Sonſt ſucht die kluge Welt der Thränen en Und höhnt Dich um mich, wenn ich nicht mehr bin.

- . vo 3 = . 7 1 5 R 2 I ng r u r ® nn RAS RT ren,

117 93.

. Damit man einſt Dir nicht mit Fragen droht, Voll Neugier, was Du an mir liebſt, zu kennen, 3 Vergiß mich, Liebe, ganz nach meinem Todt, 14 Denn nichts Vollkommnes kannſt Du an mir nennen, i 4 Wenn Du nicht eine tugendhafte Lüge Erſinnſt, um Ruhm und Preis mir zuzuwenden, 3 Mehr als die ſtrenge Wahrheit es extrüge, 3 2.00; Die karg den Todten pflegt ihr Lob zu ee 25404 O daß mein Name doch begraben bliebtee Mit mir, zu Dein und meinem Glück debe, hr Damit man falſch nicht Deine treue Liebe

In ihrem Urtheil über mich erfänd ! Denn was ich ſchuf, iſt klein, beſchämt mich iu, 7 Und lieben darfſt Du nur, was wahrhaft groß.

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94.

2 ie Zeit des Jahres kannſt Du an mir ſehn, Wo ſpärlich nur von gelbem Laub behangen Die Zweige zittern vor des Nordwinds Wehn, Ein Dom, verödet, drin einſt Vögel ſangen. Du ſiehſt in mir des Tages Dämmerſchein, Will er im Weſt zum Untergang ſich neigen; Allmählich hüllt die ſchwarze Nacht ihn ein, Des Todes Bild, in Finſterniß und Schweigen. Du ſiehſt in mir des Feuers letzte Brände, Das auf der Aſche ſeiner Jugend liegt Wie auf dem Todbett, wo ihm naht ſein Ende, Wo es am Stoff, der es ernährt, verſiegt.““ Du ſiehſt das und erhöhte Liebe treibt

Dich hin zu Dem, was Dir nicht lange bleibt.

e ene an u Aa anne ae u

19

95.

och fei zufrieden: wenn mich das Gericht,

Dias keine Bürgſchaft nimmt, fortruft von hier,

Lebt etwas fort von mir, durch dies Gedicht,

Das ich als Denkmal hinterlaſſe Dir.

Und wenn Duess lieſeſt, wird es klar unn

4 Mein Beſtes fei gewidmet Dir allen. i

1 7 Der Erde wird mein Staub nur, als ihr eigen, Der beßre Theil von mir, mein Geiſt, iſt Dein!

Nur meinen Leib verlierſt Du ſo ein Nichts,

Der Würmer Fraß, den gern Du ihnen (cent, 17

3 Das Opfer eines mörderiſchen Wichts, 1 7

4 Zu niedrig, daß Du feiner je gedenff.

Dies Leibes Werth iſt das, was in ihm lebt,

Und Das bleibt Dein, wenn man ihn ſelbſt begräbt.

96.

Ulenn einſt, nachdem mich längſt der Tod ereilt

Und weiter nichts auf Erden von mir bliebe, Dein Auge noch auf dieſen Blättern weilt,

Den armen Zeugen meiner reichen Liebe:

Vergleich' ſie mit der Zeiten Beſſerung

Und wahr' ſie, weil ſie meine Liebe ſingen,

Nicht ihres Werthes willen: höh'rer Schwung

Wird beſſern Meiſtern des Geſangs gelingen.

Dann denke liebend: »Wär' mein Freund nicht ſchon

Vor dieſer kunſtgereiften Zeit geſtorben,

Wohl klänge ſtolzer ſeines Liedes Ton

Und um den höchſten Preis hätt' er geworben; Doch, da er ſtarb, und beßre Dichter leben,

Soll mich ihr Lied und feine Lieb’ erheben!“

Wann

97.

Von ſchönſten Weſen wünſchen wir Vermehrung,“!

Damit der Schönheit Roſe nimmer ſterbe,

Und wenn ſie hinwelkt in der Zeit Verheerung,

Ein holder Sprößling ihre Schönheit erbe.

Doch Du, nur ganz im eignen Glanze lebend,

Verzehrſt Dich, aus Dir ſelbſt Dein Feuer nährend,

Feindlichen Sinns Dir ſelber widerſtrebend,

Beim Ueberfluß das Nöthigſte entbehrend. |

Du, nun die Welt mit friſchem Reize ſchmückend,

Des holden Frühlings Herold und Verkünder,

Biſt, Blüthen in der Knospe unterdrückend,

Und nur im Geiz verſchwenderiſch, ein Sünder. Erbarme Dich der Welt, daß nicht zerſtört Wird, durch das Grab und Dich, was ihr gehört!

98.

Einſt wird, eh Du gelebt ein halb Jahrhundert Die reine Stirne tiefe Falten ſchlagen, 58 172% Nin T Dann Deiner Schönheit Glanz, jetzt ſo e e Wird werthlos, wie ein Kleid, das abgetragen. Und müßteſt Du einſt, wenn Du von den Leuten Gefragt wirſt, wo der Jugend eee 77057750 Auf Deine tiefgeſunknen Augen deuten, m nn Es wär' ein ſchlechter Ruhm, Dir ſelbſt nicht leb. Doch wie ganz anders kläng' es Dir zum Ruhme, Erwiedert'ſt Du: In dieſem jungen Blut, 19 87 In meinem Kind blüht meiner Schönheit Blume,, In ihm erneut ſich meiner Jugend Glut. ö it Sp wirft Du felbft verjüngt, wenn Du auch alt si, / Und ſiehſt Dein Blut erwärmt, wenn Du auch kalt bift.

99.

Schau in den Spiegel und ſag' Deinen Zügen n Nun iſt es Zeit, aufs Neue fie zu prägen; | | Thuſt Du es nicht, wirft Du die Welt betrügen 1 Und bringſt ein Weib um holden Mutterſegen. 14 Wo iſt die Jungfrau, die es Dir gern bliebe, Nicht freudig Mutter würde Deinen Kindern?

In ſich begräbt, Nachkommenſchaft zu hindernꝶ ?? Du biſt der Spiegel Deiner Mutter / die Sich ruft in Dir der Schönheit Lenz zurück;

Und wenn Du alt wirſt, ſollſt Du einſt, wie ſie, Im Kind erneut ſehn Deiner Jugend Glück. Dioch willſt Du Dein Gedächtniß nicht vererben, So ſtirb allein, Dein Bild wird mit Dir ſterben.

14 Wo der Verblendete, der Eigen liebte

100.

Truchtloſe Lieblichkeit, warum verſchwenden g

Sich in Dir ſelbſt die Schätze der Natur? | Sie ſchenkt nicht, fie verleiht nur ihre Shen, Freigebig leiht ſie den Freigebigen nur.

So ſelbſtverſchwenderiſch in Deinen Reizen Vergeudend, was Dir Liebliches gegeben: | Warum willſt Du nur gegen Andre geizen, 17.7

Und weißt bei allem Reichthum nicht zu leben? 7

Gewohnt, Dich mit Dir ſelbſt nur zu befaſſen,„ Wirſt Du Dich um Dein ſüßes Selbſt betrügen; Ruft die Natur Dich einſt, uns zu verlaſſen, Wie ſoll ihr Deine Rechenſchaft genügen?

Schönheit wird unbenutzt mit Dir begraben, Die, wenn benutzt, fortblühte uns zu laben.

WM

101.

Die Zeit, die Deiner Schönheit Fäden ſpann, | Darauf entzückt ſich alle Augen richten, N Wird einſtmals Dir erſcheinen als Tyrann, Die holde Schöpfung unhold ſelbſt vernichten. Dem Sommer folgt der froſt'ge Winter bald, AUmhüllt mit Schnee die Schönheit und entblättertt Die duft'ge Blume wie den grünen Wald; Die Süfte ſtocken, Alles ſteht verwettert. Dann, bliebe nicht des Sommers Duft zurück, 4 Gefangen in kriſtallner Mauern Innern, Hin wäre ſeiner Schönheit Luſt und Glück, Wir hätten nichts, uns ihrer zu erinnern.

So aber lebt ihr ſüßes Weſen fort Im Winter, wenn die Hülle auch verdorrt.

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102.

Drum laß, eh' Winter Deinen Sommer ſcheucht, 4 Dein ſüßes Weſen uns in andrer Hülle, 10 Schmücke die Welt mit Schmuck aus Dir erzeugt, Daß Schönheit nicht erſtickt in eigner Fülle. Nicht Sünde iſt es, wenn man Wucher treibt, Zu mehren ein ſo himmliſch Gut wie Deines. Wie glücklich, wenn von Dir ein Bild uns bleibt, Und zehnmal glücklicher, wenn zehn für Eines Du ſelbſt wärſt zehnmal glücklicher, ſähſt Du sid nun Zehn Deiner Kinder zehnmal ſich vermehren Dann ſprächſt Du: »Tod, wo iſt Dein Stachel? Ruh Bringt mir das Grab, mein Bild lebt fort in Ehren. Bleib' nicht allein! Du biſt zu ſchön, auf Erden Des Todes Raub, der Würmer Fraß zu werden.

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8

103.

Sieh, wenn im Oft glutvoll das Himmelslicht

In feines Aufgangs Majeftät erſchienen,

Wiie huldigend jedes irdiſche Gefiht

11 Aufſchaut zu ihm, mit Blicken ihm zu dienen.

And hat es dann den ſteilſten Simmelsplan Dem Mann im reifen Alter gleich e Noch ſtaunen Alle ſeine Schönheit an, | Folgen dem goldnen Pfad, den es genommen. Doch wenn es von der höchſten Höhe nieder | Dem ſchwachen Greis gleich müde lenkt den Wagen, Gleich ſenken ſich der Menſchen Blicke wieder, Die erſt bewundernd zu ihm aufgeſchlagen. 1* So wird's mit Dir auch, wenn Du alterſt, werden; Läßt Du von Dir ein Abbild nicht auf Erden!

© 2 I Bodenſtedt. VIII. 9

130

104.

Du, den zu hören ſelbſt Muſik, warum ii * 2 Stimmt ſie Dich trüb? Kämpft Schönes mit dem Same Warum liebſt Du was traurig macht und ſtumm, Statt durch das Heitre Trübes zu verſöhnen?

Wenn Dich der Klang der eintrachtvoll geſelltenn

In ſüßem Bund vermählten Töne ſtört, b

So iſt es nur, weil ſie Dich lieblich ſchelten,

Daß Dein Herz auf der Liebe Ruf nicht hört. Horch nur, wie eine Saite, ſüßen Schalles,

Der andern ſich vermählt und mit ihr klingt,

Wie glücklich Mutter, Vater, Kind und Alles Vereint die eine ſüße Note ſingt, Bid RT Wortlos, vielfach, doch ſcheinbar Eins nur, bpuchtn

Und ſingt: »Wenn Du allein bleibſt, biſt Du Nichts!«

WW

105.

Itt es die Furcht / daß eine Wittwe weine

um Dich, was einſam Dich gebunden hält?

Ach! ſtirbſt Du einſam, weint um Dich als Deine ; Verlaßne Gattin einft die ganze Welt.

Die Welt wird Deine Wittwe fein und weinen Daß fie von Dir kein Ebenbild erzieht

F E Wo jede Wittwe fonft in ihren Kleinen

Des Gatten Züge ſtets lebendig ſieht.

. Sieh, was ſonſt Leichtſinn in der Welt verſchwendet, erändert blos den Platz; der Welt gehört es

Wie vor derweil das Gut der Schönheit endet, Denn eigenſinn'ger Nichtgebrouch zerſtört es. Cein Herz / das ſelbſt ſich fo verderben mag, Legt keine Nächſtenliebe an den Tag.“ i

9 *

106.

O Schmach! Geſteh', Du kannſt nicht Andre lieben Der für Dich ſelbſt aller Voraussicht bar T Zu Dir fühlt ſich wohl manches Herz getrieben Doch daß Du Niemand liebſt, iſt ſonnen klar. i Denn fo beſeelt Dich mörderiſcher Haß Daß Du nicht ſchwankſt Dich ſelber zu bedräuenn Das ſchöne Haus zerſtören möchteſt, dass

Du glühend wünſchen ſollteſt zu erneuen. O, ändre Deinen Sinn, wie meine Meinung

Soll ſchönre Wohnung Haß als Liebe habern n | Entſprich ganz Deiner freundlichen n 1⁰⁰⁴ꝛ g. Sei gütig gegen Dich und Deine Gaben! * Schaff' Dir ein zweites Ich aus Lieb’ 2 eee N12 Daß Schönheit fort im Deinen lebt und Din.

107.

4 So ſchnell Du welkſt, in einem Sproß erblühſt

8 Du ganz ſo ſchnell aus dem was Du verloren,

nd ſiehſt die Jugendkraft die Du verſprühſt, Selbſt alternd, vor Dir prangen neugeboren.

Denn dächten wie Du Alle: Zeit und Welt Müßten in wenig Menſchenaltern ſterben.

Dies iſts, was Weisheit, Schönheit, Wachsthum delt Sionſt giebt's nur Alter, Thorheit und Verderben

*.

Laß Andre, nicht beſtimmt zum Fortblühn bien

Von der Natur, unfruchtbar gehn zum Grabe 1 Um reich zu ſpenden von der reichen Gabe.

Vielfältig und ä auszuprägen.

Mehr als den Beſtbegabten gab fie Dir

Der Schönheit Stempel wardſt Du, ihren ee 140

134

108.

Tähl ich die Glocke, die die Stunden mißt Und ſeh den hellen Tag in Nacht verderben Seh ich des Veilchens kurze Blüthenfriſt

Und dunkle Locken, die ſich ſilbern färben Erhabne Bäume, deren Blätter ſtarben,

Die erſt ein Schattendach der Heerde waren —"

Seh ich des Sommers Grün in welken Farben Weißbärtig wie im Sarg zur Tenne fahren,“ Dann kommt mir Deine Schönheit in den Sinn, Wie ſie der Zeit Verwüſtung ſoll beſtehn,

So ſchnell wie andre aufblüht, welkt ſie hin, Muß vor ſich ſelber fliehen und vergehn

Und nichts bewahrt fie vor der Zeit Verheerung, Als daß ſie Trotz der Zeit beut durch Vermehrung.

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109.

4 O, daß Du ganz Dein eigen wärſt! Doch biſt bi Du's nur fo lang Du felber hier wirft leben; Ir Drum nützen ſollt'ſt Du dieſe kurze Friſt,

Dein holdes Bildniß einem Andern geben:

Dann käme, was Dir Schönes ward verliehen,

Niemals zum Heimfall, würde Tod zur Lüge

Dau bliebſt Du ſelber müßteſt Du auch fliehen

1 In einem Sproß, der Deine Formen trüge.

Wer läßt zerfallen ein fo ſchönes Haus,

Dias kluge Vorſicht könnte lang erhalten |

Zum Schutz vor Kälte, Schnee und Sturmgebraus, Dies Todes und der Elemente Walten?

b Daß Du des eignen Vaters würdig ſeiſt, | Mach', daß ein Sohn auch Dich einſt Vater heißt.“

136

110.

Nicht von den Sternen hol' ich meine Kunde Und bin doch Aſtrolog, nicht um von Tagen Der Theurung, Peſtilenz und Kriegesplagen in Dir zu verkünden mit Prophetenmunde gn Nicht um zu deuten ob die flücht' ge Stunde Mag Regen oder Sturm im Schoße tragen Nicht um der Fürſten Loos vorherzuſagen Aus goldner Zeichenſchrift am Himmelsrunde. 5 1 Nein, Deine Augen ſind die Wunderſterne, Daraus ich dieſe Seherweisheit lerne Daß nur, wenn uns ein Erbe bleibt von Dir, Wahrheit und Schönheit weiter leben hier. Sonſt ſag' ich dies als ganz beſtimmt voraus: Mit Dir ſtirbt Wahrheit gleichwie Schönheit aus!

- bu % * e e

111.

Bedenk ich, daß nur Augenblicke währt”

Was zur Vollendung wächſt, und nur der Sterne Geheimer Einfluß recht das Spiel erklärt

Auf dieſer Erdenbühne, nah und ferne

Seh' ich, daß Menſchen ſich wie Pflanzen nähren, Wie ſie derſelbe Himmel hebt und beugt,

Voll Uebermuth die jungen Säfte gähren Bis aus der Blüthe das Verderben kreucht Dann führt das Bild der irdiſchen Flüchtigkeit

D ich vor mein Aug’ in höchſter Jugendpracht, Bemüht ſeh' ich die trümmerfrohe Zeit

Zu wandeln Deinen hellen Tag in Nacht - Und ſtets im Kampfe mit der Zeit, Dir treu, Schaff' ich, was ihre Hand Dir nimmt, ſtets neu.

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138

112.

> Doch warum kehrſt Du ſelbſt nicht ſtärkte Wehr Gegen die blutige Tyrannin Zeit? E int 86 And ſchaffſt durch ſegensreiche Mittel mehr 1 tsd Als mein fruchtloſes Lied Dir Sicherheit Du prangſt nun in der Jugend Majeſtät, 18 Und gern von Dir lebendige Blumen trüge 7 Mit keuſchem Wunſch manch jungfräuliches Bet, Weit ähnlicher als blos gemalte Züge. Sun a So blieb' in Lebenslinien jung dies Leben, Dem nicht mein eigner, noch der Zeiten Stift gi Kann in dem Aug’ der Menſchen Dauer geben In einer Deines Werthes würdigen Schrift. Du bleibſt nur Dein, wenn Du Dich weggiebſt, lebſt Nur, wenn Du hold Dich ſelbſt zu zeichnen ſtrebſt!

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113.

Mer glaubt wohl künftig meinem Lied, erfüllt

Von Deinem hohen Werth? Der Himmel zwar

Weiß, nur ein Grab iſt's, drin Du eingehüllt,

Nicht halb zeigt es Dein Bild, wie's lebend war!

Könnt' ich die Schönheit Deiner Augen malen,

Dein Ebenmaß in's Maß des Liedes fügen,

Die Nachwelt ſpräch', es wär' ein eitel Prahlen,

Der Himmel ſtrahlt' aus keinen ird'ſchen Zügen.

So würde man mein zeitvergilbt Gedicht

Verhöhnen wie Geſchwätz von alten Leuten,

And Deines Werths wahrhaftigen Bericht

Als alter Lieder Schwulſt und Unſinn deuten. d 1 Doch gäb' ein Sproß von Dir Dein Bild uns Mer, f 1 Zweimal lebt'ſt Du: durch ihn und meine Lieder!

140

114.

Soll ich Dich einem Sommertag vergleichen? l Nein, Du biſt lieblicher und friſcher weit!: Durch Maienblüthen rauhe Winde ſtreichen Und kurz nur währt des Sommers Herrlichkeit. Zu feurig oft läßt er ſein Auge glühen Oft auch verhüllt ſich feine goldne Spur, Und ſeiner Schönheit Fülle muß verbl'hen Im nimmerruh'nden Wechſel der Natur. Nie aber ſoll Dein ewiger Sommer ſchwinden Die Zeit wird Deiner Schönheit nicht verderblih, Nie ſoll des neidiſchen Todes Blick Dich finden,, Denn fort lebſt Du in meinem Lied unſterblich.

So lange Menſchen athmen, Augen ſehnn n,

Wirſt Du, wie mein Geſang, nicht untergehn.

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115.

Stumpf’, gierige Zeit, des Löwen Klau' es gähne Die Erde und verſchling' die eigene Brut, L 08 Dem wilden Tiger raub' die ſcharfen Zähne, Verbrenn den Phönix im uralten Blut. Schnellfüßige Zeit, Glück oder Unglück bringe

Der weiten Welt, thu' was Du willſt mit ihr: Das Schöne flattert doch auf flüchtiger Schwinge, \ Nur einen ärgſten Frevel wehr' ich Dir:

CErntſell die Stirne meines Freundes nicht, Diaß fie der Kiel der Zeiten nicht , iur

4 Und er mit unentweihtem Angeficht u f r Der Schönheit Vorbild für die Rachmelt wache 11 k

Bedenk', wenn ihn auch Deine Wuth nicht miede,

Lebt er doch ewig jung in meinem Liede!

116.

Mlein Alter glaub' ich meinem Spiegel nicht; So lange Deine Jugend mich noch blendet;

Doch: zeigt mir Furchen einſt auch Dein Gefiht,, Dann glaub' ich feſt, daß bald mein Leben endet.

Denn alle Schönheit, wie ſie lebt in Dir, Deckt nur mein Herz mit reiner Hülle zu,

Das ganz in Dir ſo lebt, wie Deins in mir, Wie könnt' ich denn wohl älter fein als Du? O darum, Liebe, ſei auf Dich fo achtſam,

Wie ich für mich nicht, doch für Dich fein werde.

Dein Herz ſo hütend, wie treu und bedachtſam

Die Amme ihr Kindlein, daß es nichts gefährde. Zähl' auf Dein Herz nicht mehr, wenn meines bricht f Zum Wiedergeben gabſt Du Deins mir nicht!

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117.

; Mohl gleicht nicht meine Muſe jenem Lied,

Das an geſchminkter Schönheit ſich begeiſtert,

Den Himmel ſelbſt als Schmuck herniederzieht, And bildlich alles Schönen ſich bemeiſtert

h . In Anhäufungen prunkender Vergleiche

Mit Sonn' und Mond, der blühenden Lenzesflur, Kleinodien aus dem Erd- und Waſſerreiche,

1 Und allen Seltenheiten der Natur.

4 Wahr wie mein Lieben ſei auch mein Gedicht:

U Drum glaub' mir, meine Liebe iſt ſo ſchön, | Den Schönſten gleich wenn auch ſo ſtrahlend nicht Wie jene goldnen Stern in Himmelshöhn.

Mehr ſage wer nach Hörenſagen liebt;

Mein Lied rühmt nicht was es nicht käuflich giebt.

118.

O Du, mein holder Freund, der in der Welt

Der Zeiten Sichel und die Sanduhr hält, Deß blühend Wachsthum Anderer Verderben Und deſſen Leben treuer Herzen Sterben! Wenn die Natur, die Tod und Leben lenkt, Dich Vorwärtseilenden ſtets rückwärts drängt,

Hält fie Dich auf, weil fie die Zeit bethören

Und traurige Minuten will zerſtören. Doch fürchte ſie, Du Liebling ihrer Luſt; Aufhalten, nicht verſchonen an der Bruſt

Darf fie ihr Kleinod. Mag fies auch verdrießen, Sie muß Dich opfern und die Rechnung ſchließen.

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119.

O doll nicht mich falſch von Serzen Bann: dam db | Schien Trennung auch zu wandeln meine Glut: 4 So leicht könnt ich mich von mir ſelber . Ale Als meiner Seel „die Dir im Buſen ruht. a en bt Da ift die Heimat meiner Liebe! Weit Wohl ſcwefr ich fort, doch keherV ich ſets zurn 4 Sun rechten Zeit, nicht wechſelnd mit det Zeit; Durch Buße neu verdient ich mir mein Glück. D halte nicht, und wär es gleich bedeckt Mit jeglichem Gebrechen jeden Blutes, ; Mein Weſen für ſo unheilvoll befleckt, Anh faunuß ln 8 Daß es um Nichts dahingäb all' Dein Gutes Nichts Liebes beut die Welt mir außer Dir,

Du meine Noſe, Du mein Alles hierh!? m

F. Bodenſtedt, VIII. 10

120,

Ach, wohl iſrs wahr: ich ſchwärmte hier und dort, Erſchien der Welt als Narr, ſchnitt in die Seele Mir ſelber tief, gab Höchſtes wohlfeil fort, Durch neue Liebe mehrt' ich alte Fehle. Wahr iſt's, ich ſah die Wahrheit allerwärts Schief an, fremdthuend doch, beim Himmel oben! Der Trug und Wahn verjüngte nur mein Herz Und ließ mich Dein Gemüth als ächt erproben. Vorbei iſt Alles nun, bis auf das Eine, Das ewig bleibt. Nie werd' ich mehr bethört So alte Freundſchaft prüfen wie die Deine, Du Liebesgott, dem ganz mein Herz gehört! Gieb, nach dem Himmel, denn die höchſte Luſt, Den Willkomm mir an Deiner treuen Bruſt!

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147

121.

O zürne der Glücksgöttin! denn fie allein

Iſt ſchuld an Allem, was mich Schuldigen beugt; Sie zwang mich, dienſtbar meinem Volk zu ſein

f In niederm Stand, der niedre Sitten zeugt.

5 Drum liegt's auf meinem Namen wie ein Brand, Und des Berufes fremde Farb’ entweiht

Mein ganzes Weſen wie des Färbers Hand . O fühl' dies mit und wünſch', ich wär' erneut! Als Heilbedürft'ger unterwerf' ich willig

i Mich allen ftärkften Mitteln und Arznei'n,

0 Will zur Entſühnung büßen mehr als billig, Das Bitterſte ſoll mir nicht bitter fein;

Willſt Du nur, Freund, mitfühlend bei mir weilen, Dein Mitgefühl genügt ſchon, mich zu heilen.

10*

122.

Dein liebend Mitgefühl schließt bald die Wunde // Die pöbelhafter Unglimpf mir geſchlagend:/77 ML Was kümmert mich mein Ruf in Andrer Mundeß/ß Ehrſt Du mein Gutes, hilfſt mein Schlimmes tragen?! Du biſt für mich die Welt, und einzig ſtreb' ich Nach Deinem Lob und freundlichen Gedenken Sonſt Niemand lebt für mich, für Niemand Ib ich, Der meinen eh'rnen Sinn vermag zu lenken. Drum fort mit Gram und Sorgen! Forthin Alles Werf ich in des Vergeſſens tiefſten Schlund: Denn Lob und Ruhm ſind Worte leeren Schalles Für mich, aus anderm als aus Deinem Mund. So mächtig fühl' ich Dich im Herzen 1 PR ng Daß mir die Welt wie todt erſcheint daneben.

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123.

4 UUR jagt das Meiſte? Was kann mehr entfalten Dein Lob als dies: daß Du biſt Du allen? In dieſem Wort iſt all Dein Werth enthalten,

Wonach zu meſſen, wer Dir gleich ſoll ſein. 1 Als dürſtig iſt die Feder zu betlagen ;

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Lob, das Dein Lobenswerthes nur entſtellt. we

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124.

Seh ich des Alterthums erhabne Pracht Unter dem Todeshauch der Zeit verwittern, Den höchſten Thurm der Erde gleich gemacht Und ewiges Erz vor Menſchenwuth erzittern; Seh' ich den gierigen Ozean am Reich Der Meeresküſten überflutend zehren, Das feſte Land, an Waſſerſchätzen reich, n Raub mit Verluſt, Verluſt mit Raube mehren Seh' ich des Daſeins Wechſelgang und Schranke, Das Daſein ſelbſt dem Untergang geweiht, Kommt mir bei den Ruinen der Gedanke: Auch meine Liebe nimmt mir einſt die Zeit. Solch ein Gedank iſt wie ein Tod; es treibt Zum Weinen, daß man hat, was doch nicht bleibt.

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151

125.

Henn Erz, Stein, Erde, ſelbſt des Weltmeers Flut

Nicht widerſteht der Zeit Zerſtörungswerke,

Wie hielte Schönheit Stand vor ſolcher Wuth,

Sie, die nur Blumen ſich vergleicht an Stärke!

Wie könnte ſich des Sommers duft'ger Flor

Vor der Vernichtungswuth der Tage halten,

Vor deren Angriff ſelbſt das Eiſenthor

Zerſpringt und ſich die ſtärkſten Felſen ſpalten.

Furchtbare Vorſtellung! Wie ſoll das Glück,

Der Zeit Juwel, ſich retten vor der Zeit?

Wer hält den Fuß der Eilenden zurück,

Hemmt ihren Raub, wahrt was dem Tod geweiht? O Niemand! Wird das Wunder nicht gewährt, Daß ſchwarze Dinte meinen Freund verklärt.

12

126.

Nicht eigne Furcht, noch das prophet ſche Ahnen IM) Der weiten Welt, die träumt von künft ger Zeit, Vermag mein treues Lieben zu gemahnen , Daß es ein Opfer der Vergänglichkeit. di „e Nach ſeiner Finſterniß glänzt neu der Mond Die Augurn ſpotten ihrer eignen Kunde Hoch über'm Zweifel die Gewißheit throntt 7 Der Frieden mit dem Oelzweig macht die Runde. unn Erfriſcht am Balſam dieſer Zeit hat ſichunlo olg vidi Mein Herz und iſt des Todes Herr geworden,) 0 Denn ihm zum Trotz in meinem Lied leb' ich, Er triumphirt nur über ſtumme Horden. Dir wird's ein Monument, das ruhmesvolIl Manch Königsdenkmal überdauern ſoll.

13

127.

Mas kann das Hirn durch Dinte offenbaren, Das ich zu Deinem Ruhm nicht ſchon geſchrieben? Was könnt' ich neu erſinnen, Du erfahren, Um Deinen Werth zu fingen und mein Lieben?

1 Nichts, holder Freund! Doch wie wir täglich beten, So wandl ich ſtets die alten Pfade wieder

ZBau Dir, wie oft ich fie auch ſchon betreten,

14 Seit ich zuerſt Dir weihte meine Lieder.

So ewige Freundſchaft, friſch im Lied erhalten,

g Wägt nicht den Staub und die Gefahr der Zeit,

N h Hat auf der Stirn nicht Raum für trübe Falten, Macht ſich zum Sklaven die Vergänglichkeit.

; Sie auferſteht in dem was ich gedichtet,

Wenn Zeit und Außenwelt ſie glaubt vernichtet.

128.

Mo biſt Du, Muſe, die fo lang' vergeſſen 155 Die Liebe, die all' Deine Macht Dir gab?: Verdunkelnd Deine Gottgewalt indeſſen nn! Sankſt Du bis zur Gemeinheit faſt Gab, ain u eee Kehr um, Vergeßliche! Erobre Wee eien trat? die Durch ſüßen Wohllaut die vorlorne Zeit;; Dem Ohre ſing', das gern hört Deine Lieder, Verklär allein, was Kunſt und Stoff Dir leiht. Im holden Antlitz meiner Liebe ſpüäre ,,, Ob Falten ſchon die Zeit geſchlagen bott r old Und wenn: ſei der Vergänglichkeit Satyre 7 Verhöhn' fie überall und immerfort!!! Eile der Zeit voraus: verklär' mein Lieb: O Muſe! eh es trifft ihr Senſenhiebt no

wi

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18

129.

Mi. büßeſt, träge Muſe, Du Dein Schweigen Von Wahrheit, die durch Schönheit ſich verklärt? Wahrheit und Schönheit ſind dem Freund zueigen, Gleichwie Du ſelbſt, denn darin ruht Dein Werth. Gieb Antwort, Muſe! Sagſt Du nicht vielleicht: Wahrheit braucht keinen Schmuck um ſchön zu ſein, Und Schönheit keinen der als wahr ſie zeigt, Das Beſte iſt das Beſte ganz allein? So willſt Du ſchweigen, weil ihm Lob nicht noth? Entſchuld'ge Dich nicht ſo! Du kannſt ihn weit Erheben über goldnes Grab und Tod, Daß er noch lebt ein Ruhm der künft'gen Zeit. So thu', was Deines Amts! Wie wir ihn ſehn, Soll noch ſein Bild vor ſpäten Enkeln ſtehn.

130.

Verklag mich, daß ich nur mit Dürftigkeit

Erwiedert Deiner Liebe reiche Gaben,

Mich viel zu flüchtig Deinem Dienſt geweiht,

Dran tauſend Bande mich gefeſſelt haben,

Daß ich bei Andern häufig mich ließ finden,

Dein theures Recht vergeſſend, meine Pflicht,

Daß ich die Segel aufzog allen Winden,

Zu fernſter Flucht von Deinem Angeſicht.

Verzeichne Irrthum, Eigenſinn und Launen,

Verdächt'ge mich, wenn die Beweiſe voll;

Richt' auf mich drohend Deine Augenbraunen,

Doch opfre nicht mein Leben Deinem Groll. Denn nur zu prüfen Deine Treu' und Liebe, Schweift' ich umher im wechſelnden Getriebe.

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131.

lie man den Gaumen reizt durch scharfe Miſchung Oder wie Manche bittre Tränke nehm n Zur Reinigung des Magens und Erfrischung, Aus Kranheitsſcheu zur Krankheit ſich bequemenn So nahm auch ich, bon Deiner Süße krank Die nimmer ſättigt, zu mir bittre Speiſe: n Aus Vorſicht ſchlürft' ich der Geneſung Trank n Voll Hoffnung, dienlich werd' er ſich erweiſen. So ſann die Lieb', im ſchlauen Vorgenuß ß Ein Uebel, das nicht war, zu überwinden Und der Geſunde, krank durch Ueber fluß nn Des Guten, wollt im Uebel Heilung finden.

Doch dieſe Lehre ward mir klar dabei??

Dem durch Dich Kranken wird zum Gift Arznei!

161

132.

Mi: viel Syrenenthränen trank ich ſchon,

Aus Kolben, ſchwarz wie Hölle, abgezogen!

Wie ſprach Gewinn und Furcht mir wechſelnd Hohn,

Wie oft ward ich im Hoffen ſchon betrogen!

Wie frevelte mein Herz in feinen Wahn,

Derweil es überſelig ſich erſchien!

Wie rollte wild mein Aug' aus ſeiner Bahn

In jenen tollen Fieberphantaſien!

O ſegenvolle Sünde! dies bewährt,

Daß Uebel Beßres immer beſſer macht,

Und halberloſchne Liebe, friſchgenährt,

Noch heller flammt als in der erſten Pracht. So, nun ich heim zu meiner Liebe kam, Erſetzt das Uebel dreifach, was es nahm.

F. Bodenſtedt. VIII. 11

12

133.

Fest freut mich, daß einft ſpärlich Deine Sud 1

Mir ward zu Theil; ſo litt ich dazumal, Aa Eu

Daß ich erliegen mußte meiner Schuld, Bi

Wenn meine Nerven nicht wie Stein und Stall.

Denn wenn Dich meine Ungunſt traf, wie mich

Die Deine, littſt Du Höllenqual indeſſen,

Und ich Tyrann hab' unbedächtiglich

Nicht was ich damals von Dir litt, ermeſſen.

O, hätt' ich damals doch recht tief bedacht

In unſrer Qual, wie wahrer Schmerz verwundet,

Wir hätten gleich den Balſam uns gebracht, |

Den lindernden, davon das Herz gefundetlnnn mn Nun wird die Schuld zum Löſegeld: durch meine Befrei' ich Dich, wie Du mich durch die Deine.

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163

134.

Ach „wie ſo arm doch meine Muſe iſt, Obgleich ihr Stoff ſo reich und ſtolz erſcheint, Daß Du weit mehr gefällſt ſo wie Du biſt, Als wenn mein Lob ſich Deinem Werth vereint. O tadle mich ob meiner Schwäche nicht!

Zum Spiegel tritt, der Dir ein Antlitz zeigt, Deß Schönheit mich beſchämt wie mein Gedicht,

So ſtrahlend, daß die Kunſt davor erbleicht.

Wär's denn nicht Sünde, etwas zu verderben,

4 Was unberührt in reinſter Anmuth ſtrahlt??“

Denn keinen Ruhm kann mein Gedicht erwerben,

Als daß es Dich und Deinen Liebreiz malt.

Und mehr, weit mehr als meinen Liedern eigen An holdem Reiz, wird Dir Dein Spiegel zeigen.

1.

164

135.

Der Eigenliebe Sünde herrſcht in Augen

Und Herzen mir, kurzum in allen Theilen,

Und wurzelt tief im Innern mir, es taugen

Dagegen keine Mittel ſie zu heilen.

Ganz reizend ſcheint mir mein Geſicht zu ſein,

Mein Wuchs und meine Treue ohne Gleichen,

Und ſchätz' ich mein Verdienſt für mich allein,

Muß alle Welt vor mir die Segel ſtreichen.

Doch zeigt mein Spiegel wie ich wirklich bin,

Gegerbt vom Alter, faltig und zerrieben,

So kehrt von mir entſetzt ſich ſelbſt mein Sinn,

Denn Sünde wär' es, ſo mich ſelbſt zu lieben. Du biſt's mein andres Selbſt das mich entzückt, Mit Deinem Jugendreiz mein Alter ſchmückt. /

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136.

Du wirft der Zeit Verwüſtung nicht entfliehn,

Die mich ſchon lange traf. Es werden Sorgen Auf Deine reine Stirne Furchen ziehn,

Dein Blut austrocknen, wenn Dein junger Morgen Verſchwunden in des Alters jäher Nacht,

Und alle Schönheit, deren Herrſcherthron

Du jetzt noch ſchmückſt in vollſter Blüthenpracht Des Lenzes, Dir geraubt iſt und entflohn.

Für ſolche Zeit will ich Dir ein Vermächtniß Gegen die Grauſamkeit des Alters geben,

Daß es nicht Deine Schönheit dem Gedächtniß Entreiße, nimmt es auch Dein eignes Leben: In dieſen ſchwarzen Zeilen ſoll fie blühn, Die Schönheit, ein lebendig Immergrün.

16

137.

Fir mich, Geliebter, wirft Du niemals alt;

Schön, wie mein Auge Dich zuerſt erblickt,

Scheinſt Du mir noch. Drei Winter haben kalt

Dreimal der Wälder Sommerſchmuck geknickt,

Drei ſchöne Lenze ſah ich gelb ſich färben,

Dreimal die Blumen des April verglühn

In Juniglut und ihren Duft verderben,

Seit ich zuerſt Dich friſch wie heut ſah blühn.

Und doch ſchleicht Schönheit wohl, wie an der Uhr

Der Zeiger, auf und abwärts unbeachtet,

So ſcheint Dein Reiz mir unverändert nur,

Mein Auge täufcht ſich wie es Dich betrachtet; Drum merkt Euch dies, Ihr, künft'ger Zeiten Söhne: Eh' Ihr geboren wurdet, ſtarb das Schöne. !

17

138.

Nennt meine Lieb' nicht Götzendienſt, vergleicht Nicht den Geliebten einem Prunkidole, Weil all mein Preis und Sang zu ihm ſich neigt, Ich ſtets das Lob des Einzigen wiederhole. Gut iſt er heut und morgen wieder gut, Ein Wunder von unwandelbarer Treue, Drum hochbeſeligt ſing' ich hochgemuth Beſtändig den Beſtändigen auf's Neue. Schön, gut und wahr, iſt meine einz'ge Weiſe. ; Schön, gut und wahr, in lieblicher Verbindung, In dieſes Dreiklangs einigem Zauberkreiſe Erſchöpft ſich alle Weisheit und Erfindung. Schön, gut und wahr, man ſieht's wohl oft allein In Dir zuerſt gewahrt man's im Verein.

139.

(Henn ich in Chroniken der alten Zeit Geleſen von dem ſtolzen Ritterthume,

Manch ſchmucken Herrn, manch adelige Maid

Verherrlicht fand als wahrer Schönheit Blume: Erſchien mir's in den reizevollen Bildern

Von Händen, Füßen, Lippen, Augen, Brau'n, Als wollten jene Dichter Schönheit ſchildern, Wie wir verklärt in Dir fie heute ſchaun. So war ihr Dichten nur ein Prophezein

Von unſerer Zeit, vorbildend ahnungsreich ; Sie ſchauten durch der Zukunft Dämmerſchein,

Drum kommt ihr Lob nicht Deiner Schönheit gleich.

Wir ſelbſt erweiſen würd'ge Huldigungen

Nur mit den Augen Dir, nicht mit den Zungen.

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140,

Die Tafeln trag' ich, die Du mir gegeben,“

Im Geiſte Dir zu dauerndem Gedächtniß,

Sie ſollen dies Geſchlecht weit überleben

Als inhaltvolles, ewiges Vermächtniß.

So lange irgend nur Natur und Glück,

Gemüth und Hirn zum Leben mir verbinden,

Und Beides nicht fein Theil an Dir zurück!?

Dem Staube giebt, kann nie Dein Bild verſchwinden.

Mich Deiner theuren Liebe zu erinnern

Brauch' ich kein Kerbholz, drum gab ich es fort,

Denn feſter lebt Dein Bild in meinem Innern

Als durch ein äußres Merkmal oder Wort. Müßt' ich um Dich auf äußre Zeichen achten, Ich würde als vergeßlich mich verachten.

141.

Jalſch war ich, als ich schrieb in frührer Zeit Ich liebte Dich mit höchſter Glut und Kraft, Denn der Verſtand ſah keine Möglichkeit, Zu ſteigern meine Glut und Leidenſchaft. Und doch: da Zeit und Zufall tauſendfalt In Zwecken und Gelübden Aend'rung zeugt, Der Schönheit wie der Könige Gewalt, Den ſtärkſten Geiſt dem Lauf der Dinge beugt - Durft' ich wohl da, bang’ vor der Zeiten Sand, Nicht ſagen: Jetzt lieb' ich am meiſten Dich! Als ich, mich ſichernd vor dem Unbeſtand i u Der Zeit, dem Drang des Augenblickes wich? f Lieb' iſt ein Kind, das fort und fort gedeiht; Zu vollem Wachsthum ließ mein Wort ihm Zeit.

171

142.

Nichts kann den Bund zwei treuer Herzen hindern, Die wahrhaft gleichgeſtimmt. Lieb' iſt nicht Liebe,“ Die Trennung oder Wechſel könnte mindern, Die nicht unwandelbar im Wandel bliebe. O nein! Sie iſt ein ewig feſtes Ziel, Das unerſchüttert bleibt in Sturm und Wogen, Ein Stern für jeder irren Barke Kiel, Kein Höhenmaß hat ſeinen Werth erwogen. Lieb' iſt kein Narr der Zeit, ob Roſenmunde Und Wangen auch verblühn im Lauf der Zeit Sie aber wechſelt nicht mit Tag und Stunde, Ihr Ziel iſt endlos, wie die Ewigkeit. Wenn dies bei mir als Irrthum ſich ergiebt, So ſchrieb ich nie, hat nie ein Mann geliebt.

172

143,

Dein „Zeit, nie zeig’ ich Dir des Wechſels Launen! Und Deiner Pyramiden neuer Bau Iſt mir nicht neu und macht mich nicht ee Prangt nur als Aufputz einer ältern Schau.

Weil unſere Laufbahn kurz, bewundern wir

Als neu, was Du uns vorführſt von dem Alten

Vergeſſen früh're Kunde, um uns hier

Nach unſern Wünſchen Alles zu geſtalten.

Hohn biet' ich Deinen Thaten und Berichten, Bewundre nicht was iſt und nicht was war, Denn trügeriſch im Schaffen wie Vernichten Biſt Du, in Deiner Haſt höchſt wandelbar.

Ich aber will, troß Demem flüchtigen Walten , Treu ſein das ſchwör' ich und ich werd' es halten.

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173

144.

Mir meine Lieb’ ein Kind des Standes blos, Würd' ſie als Glücksbaſtard leicht vaterlos

Und nach der Zeiten Liebe oder Haß

Blum' unter Blumen ſein, Gras unter Gras. Nein: ſie ſteht feſt, vom Zufall unbedroht!

Der Pomp der Zeiten ſchafft ihr keine Noth,

Sie fällt nicht durch der Knechtſchaft Mißbehagen, Wozu die Mode ruft in unſern Tagen.

Sie fürchtet nicht die Ketz'rin Politik,

Die feil auf kurze Zeit ſich werben läßt,

Voll Weisheit ſelbſt beherrſcht fie ihr Geſchick, Steht hoch, in Sturm wie Hitze wetterfeſt

Hiefür ruf ich die Narr'n der Zeit als Zeugen, Die fündig lebend, fromm im Tod ſich beugen.

ir BE

145.

Soll über Dir ein Baldachin ſich breiten?

Soll ich mit Prangen äußerlich Dir dienen,

Gebäude gründen wie für Ewigkeiten,

Die doch gar bald zerfallen in Ruinen?

Hab' ich nicht in ſo prunkender Gebahrung

Schönheitverehrer Alles opfern ſehn?

Sie tauſchten Süßigkeit für ſchlichte Nahrung,

Und noch im Anſchaun war's um ſie geſchehn!

Nein, Dir im Innern laß mich dienſtbar ſein!

Laß meine arme, aber freie Gabe 11 In

Dir blos im Austauſch unſrer Herzen weihn,

Gieb Dich für mich und Alles was ich habe! 1051 Heb' Dich hinweg, Verleumder! wahre Tran Trotzt der Verleumdung ohne Furcht und Scheu!

175

146.

Stolz ſind die Andern auf Geburt, auf Kunſt,

Auf Reichthum, Leibesſtärke und Geberde,

Auf Kleider ob auch modiſch ganz verhunzt

Gleichwie auf Falken, Hunde, ſchöne Pferde.

So ſchafft ſich jede Laune ihr Vergnügen,

Das ihr vor allen andern wohlgefällt;

Mir aber kann ſolch Glücksmaß nicht genügen,

Denn auf ein Höchſtes iſt mein Sinn geftellt.

Mehr als Geburt, ſtolzer als Prunkgewande,

Beſſer als Reichthum, Hunde, Falken, Pferde,

Sind für mich Deiner Liebe ſüße Bande.

In Dir beſitz' ich allen Stolz der Erde: Unglücklich darin nur, daß Du mein Glück Kannſt nehmen und mich elend läſſ'ſt zurück.

147.

Doch thu' Dein Aergſtes nur, entflieh! Es bliebe

Mein Glück mir doch zeitlebens zugeſellt:

Mein Leben überlebt nicht Deine Liebe,

Die ganz allein es trägt und nährt und hält.

So kann das Schlimmſte mir nicht ſchrecklich ſein,

Wenn ſchon das Kleinſte gänzlich mich vernichtet;

Ich ſeh': ein beßrer Zuſtand wird einſt mein,

Als der ſich hier nach Deinen Launen richtet.

Du kannſt mich nicht durch Unbeſtand verwunden,

Weil Dein Verrath mein Leben ſelbſt bedroht

O, welch ein ſelig Loos hab' ich gefunden,

In Deiner Liebe glücklich und im Tod! * Und doch! wo iſt das Glück, dem nichts gebricht? Du könnteſt falſch ſein und ich merkt' es nicht!

148.

lein Lieben, ſcheinbar ſchwächer, iſt vermehrt, Ich barg die Glut, je mehr ſie ſich entzündet; Denn feil iſt Liebe, deren reichen Werth Ihr Eigenthümer aller Welt verkündet. Wohl oft in unſrer Liebe Frühlingszeit Haucht ich Dir im Geſang aus meine Seele! Die Nachtigall ſingt nur, fo lang’ es mai't,“ Doch flieht der Lenz, ſchweigt ihre Liederkehle. Nicht weil der Sommer weniger Freuden bringt, Als da ſie Nachts ließ bang' ihr Lied ertönen, Nein, weil's jetzt wild aus allen Zweigen klingt, Und das Gemeine iſt der Ted des Schönen. Darum wie fie bin ich zuweilen ftill, Weil ich mit Sang Dich nicht betäuben will.

F. Bodenſtedt. VIII.

12

I

149.

Ulenn's gar nichts Neues giebt, ſchon Alles war j 1 Was iſt: wozu denn nach Erfindung jagen Wie arg dann täuſcht ſich unſer Hirn fürwahr, Die Bürde eines zweiten Kinds zu tragen O könnt' ich rückwärts ſchaun die Sonnenwende Fünfhundert Mal, gehemmt durch keine Schranke! bn Daß ich Dein Bild in alten Büchern fände Seit ſich zuerſt in Schrift goß der Gedanke.. Sehn möcht' ich, wie die alte Welt geprieſenn hebt Solch wundervollen Schönheitsbau wie dieſen ı Und ob die Menſchen beſſer ſchlechter werden Oder kein Umſchwung Aendrung bringt auf Erden. Doch nein! ich weiß: kein früheres Jahrhundert Hat, was ſich Dir vergleichen mag, bewundert!

y. ER

179

150.

Mi. Wellen, die zum fteinigen Ufer fluten,

Daß jede, die neu anſchwillt, immerdar

Der andern Platz einnimmt, die vor ihr war,

So auf ihr Ziel hin eilen die Minuten.

Nur langſam reift der Menſch heran dann ſputen

Sich ſeine Tage plötzlich wunderbar,

Die Zeit zerſtört was ſie an's Licht gebar

Und nichts als Aſche läßt ſie von den Gluten.

Die Zeit ſchlägt in die reinſte Stirne Falten,

Entſtellt die ſchöne Wabrbeit der Natur

Und prägt auf Alles der Vernichtung Spur,

Läßt unbarmherzig ihre Sichel walten: Allein mein Lied, Dir, Deinem Ruhm geweiht, Soll nicht vergehn trotz aller Macht der Zeit.

12*

180

151. O wieviel mehr die Schönheit uns erfreut, Wenn fie der Wahrheit reine Glorie ſchmück t: Schön iſt die Roſe, doch noch mehr entzückt Der ſüße Wohlgeruch, den fie uns bet. -

Wohl glänzt die wilde Hageroſe auch mti! au So farbenreich geſchmückt wie Achte Roſenß Spielt ganz fo lieblich in der Winde Koſe n, Wenn fie der Lenz erſchließt am dornigen Strauch: Doch nur ein Schein iſt ihre Herrlichkeit. Sie welkt und ſtirbt, der Liebe nicht geweiht. Nicht fo die Achte; ob fie auch verdorrft t: Nach ihrem Tode lebt ihr Duft noch fort. f Schönheit und Liebreiz flieht; was wahr und rein In Dir, ſoll durch mein Lied unſterblich ſeinn

RETTEN . ae ee

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181

152.

Kein Marmorbild, kein fürſtlich Monument

f Soll dieſe mächtigen Reime überleben, Die größern Ruhm und höhern Glanz Dir geben

Als was geformt aus irdiſchem Element.

N Wenn Kriegsgetös Denkmale niederrennt,

i Im Aufruhrſturm die ſtärkſten Mauern beben nd Einſturz dräun ſollſt Du im Liede leben, Das Stahl nicht tödtet, Feuer nicht verbrennt. Durch Tod und feindliche Vergeſſenheit

Gebſt Du hindurch, bis in die ſpätſte Zeit

0 Gerühmt von den Geſchlechtern, die in's Nichts Hinſinken, bis zum Tage des Gerichts,

Bis Gott dann ſelbſt Dich weckt zum Leben wieder) Lebſt Du durch meine Lieb' und meine Lieder.

12

153.

ler Macht zu ſchaden hat und es nicht thut, Wer die Gewalt hat, doch ihr Wirken hemmt, Wer, Andre rührend, ſelbſt beherrſcht ſein Blut, Kalt wie ein Stein bleibt, der Verſuchung fremd: Der iſt des Himmels Liebling, und mit Recht, Der zeigt den weiſen Haushalt der Natur,

Wie ſein Geſicht beherrſcht er ſein Geſchlecht, Die Andern dienen ſeiner Hoheit nur.

Des Sommers Blume iſt des Sommers Zier, Ob ſie auch blüht und welkt für ſich allein; Doch, wenn ſich Fäulniß offenbart in ihr,

Wird uns das ärmſte Unkraut lieber ſein:

Denn nicht ſo grell verkehrt ſich Duft und Weſen

Bei Unkraut, als bei Lilien die verweſen.“

183

154.

Kern meines ſünd'gen Leibes, arme Seele!“

Spielball rebell'ſcher Mächte, die Dich kleiden,

Wie trägſt Du's nur, daß Dir das Beſte fehle,

Um Dich an Prunk und Flitterſtaat zu weiden?

Wie magſt Du nur auf dieſes Haus von Staube,

Das Du ſo kurz bewohnſt, ſo viel verſchwenden!

Mußt Du's verlaſſen, wird's zum Erb' und Raube

Den Würmern, doch, ſoll damit Alles enden?

Drum, Seele, leb' und ſorg' für Dich allein,

Und was Dein Staub verliert, ſollſt Du gewinnen,

Für das Vergängliche tauſch' Ewiges ein,

Sei arm nach Außen, mehr' den Reichthum innen. Du lebſt vom Tod ſo, wie von Menſchen er, Und wenn der Tod ſtirbt, giebt's kein Sterben mehr.

14

155.

(Mit einem Album.)

Mi. ſchnell die Schönheit flieht, zeigt Dir Dein enn Die Sonnenuhr der Stunden raſchen Flug. Drück auf die Blätter Deines Geiſtes Siegel Und lehrreich durch Dich ſelbſt wird dir dies Buch.

Die Furchen, die Dein treuer Spiegel zeigtt

An offne Gräber werden ſie Dich mahnen,

Derweil der Zeiger, wie er vorwärts ſchleicht

Den Drang der Zeit zur Ewigkeit läßt ahnen.

In dieſes weiße Buch ſchreib' Alles nieder, 1

Was Du vergeſſen kannſt; einſt wird Dich's freuen

Siehſt Du die fremdgewordnen Kinder wieder

Des Muttergeiſts Bekanntſchaft zu erneuen. 9 WE Du wirft, recht häufig Dich zu ihnen kehrend . Dir ſelber nützen, ihren Reichthum mehrend.

/ ˙/ ˙ ˙ a en el nnd mn 0. 3 nn,

156.

4 Laß, die geboren unter günſt'gem Stern, Siech ſtolzer Titel rühmen, hoher Ehre, Dteerweil ich heimlich, den Triumphen fern, Durch meine Liebe meine Freude mehre.

Der Hoheit Günſtling ſtrahlt in ſeinem Glanz Wie in der Sonne Licht die Ringelblume,

Doch ihn beherrſchen Laun' und Zufall ganz: Ein Zornblick macht ein Ende ſeinem Ruhme. Der Held, der ſchwererkämpften Lorbeer trug: Nach taufend Siegen einmal überwunden, Iſt wie geſtrichen aus der Ehre Buch,

Sein Thun vergeſſen und ſein Lohn verſchwunden. Drum glücklich ich ich lieb' und bin geliebt, Wo's kein Verdrängen und Vergeſſen giebt.

Anmerkungen

zu den

Sonetten Shakelpeare's

Anmerkungen zu den

Sonetten Shakeſpeare's.

5 Dieſes Sonett trägt in der Ausgabe von 1640 die Ueberſchrift: Upon her playing the virginals. Es iſt alſo unter dem „Holz beglückt durch ihr Berühren“ das Taſtbrett eines Spinetts zu verſtehen. f

John Dowland (auch Douland geſchrieben), der gefeiertſte Muſiker ſeiner Zeit, war Lautenſpieler der Königin Eliſabeth.

Den Anfang dieſes Sonetts überſetzt F. Victor Hugo ſeltſamer⸗ weiſe folgendermaßen:

»Vois comme la femelle inquiete court hors du nid pour rattraper un de ses petits, d&ja couvert de plumes, qui a pris son vol, et, deposant le marmot qu’elle tient, s’elance à tire d’ailes à la poursuite de celui quelle voudrait arreter.«

Im Engliſchen heißt es:

Lo! as a careful housewife runs to eatch

One of her feather'd creatures broke away,

Sets down her babe, and makes all swift BR.

In pursuit of the thing she would have stay. Der franzöſiſche Ueberſetzer verſteht alfo unter housewife eine Henne und unter babe ein Küchlein!

Es kommt bei Shakeſpeare häufig vor, daß er die Welt mit einer Bühne und die Menſchen mit Schauſpielern vergleicht.

D

10.

11.

12.

190

Ueberhaupt liebt er es auf die Bühne anzuſpielen und ihr ſeine Bilder zu entlehnen. 8. Measure for Measure I. 1. Twelfth Night, III. 4. Merchant of Venice, I. 1. Winter's Tale. V. I. Macbeth, II. 4. und V. 5. Richard II. V. 2. Henry IV. (2) I. 1. Antony und Cleop. III. 6. Lear IV. 6. ete.

Wörtlicher überſetzt lauten die ſechs letzten Zeilen: So ſei mein Buch denn meine Redekunſt Und ſtummer Dolmetſch der beredten Bruſt; Es fleht um Lieb' und hofft auf Deine Gunſt Mehr als dem Mund, der mehr geſagt, bewußt. O lern' verſtehn, was Liebe ſtumm geſchrieben! Mit Augen muß man hören, will man lieben. Im Text: For why should others' false adulterate eyes Give salutation to my sportive blood? Vgl. King Henry VIII. (Act 2. Sc. 3.): s Would I had no being If this salute my blood a jot.

Wahrſcheinlich find dieſe beiden Sonette (9. und 160 welche einen und denſelben Gegenſtand in anmuthiger Spielerei behan⸗ deln, beim Beſuch eines Bades, oder in Erinnerung daran, entſtanden. Das zweite iſt entſchieden das beſſere.

Vergl. Hamlet, III. 2.

Der Ton dieſes Sonetts erinnert an Romeo und Julie, in der berühmten Abſchieds ſcene:

I'II say, yon gray is not the morning’s e Vergl. auch Sonett 32. x. Die Bezeichnungen der Gegenſätze ſchwarz und blond (black and fair) ſind im Engliſchen doppelſinnig, da black zugleich ſchwarz und häßlich, fair blond und ſchön bedeutet. S. Love's Labour's lost. IV. I. Dieſes Sonett hat auch im Original eine Zeile a Man kann ſich die erſte Zeile als Ueberſchrift denken, e dann das eigentliche Sonett beginnen würde:

Woher nahmt ihr den Duft, der mich entzückt?

Das Bild von Winter und Sommer wiederholt Shakeſpeare öfter; ſo auch in Richard III. gleich zu Anfang:

11

Now is the winter of our discontent Made glorious summer by this sun of York.

. Dafjelbe Schlußcouplet kommt wiederholt vor in den Sonetten.

. Daſſelbe Bild kommt bei Cervantes in Don Quixote vor und lautet, engliſch überſetzt, faſt wörtlich wie bei Shakeſpeare: So sweet and lovely doth she make the shame, etc.

I will acquaintance strangle and look strange. Regis überſetzt wörtlich:

„Ich will Bekanntſchaft würgen ꝛc.“ Shakeſpeare macht aus to strangle ein Subſtantiv in Antonius und Kleopatra (Act 2. Sc. 3.): the hand that seems to tie their friendship together, will be the very strangler of the same.

„Geübte Wolluſt ift des Geiſt's Verſchwendung

In wüſte Schmach.“

Dies erinnert an Michel Angelo's zweites Sonett: Voglia sfrenata I senso, e non amore

Im Text:

Gilding pale streams with . alchymy. Aehnlich heißt es im King John (Act 3. Sc. 1.):

To solemnize this day the glorious sun

Stays in his course and plays the alchy mist.

. Schon Regis hat hervorgehoben, wie gern und oft Shakeſpeare das Bild von dem Wurm, oder der Raupe, die in den ſchön⸗ ſten Blumen wohnt, anwendet (S. Anmerkung 14.). So in den Sonetten 35. und 38., ferner in Lucrezia, Hamlet, dem Sturm ꝛc. Darauf bezieht ſich auch die Pointe in dem Sonette / welches Graf Platen gerichtet an

Shakeſpeare in feinen Sonetten.

Du ziehſt bei jedem Loos die beſte Nummer; Denn wer, wie Du, vermag ſo tief zu dringen In's tiefſte Herz? Wenn Du beginnſt zu ſingen, Verſtummen wir als klägliche Verſtummer.

19.

20.

21.

a

Nicht Mädchenlaunen ftörten Deinen Schlummer, Doch ſtets um Freundſchaft ſahn wir warm Dich ringen: Dein Freund errettet Dich aus Weiberſchlingen, Und ſeine Schönheit iſt Dein Ruhm und Kummer. Bis auf die Sorgen, die für ihn Dich nagen, Erhebſt Du Alles zur Apotheoſe, 1 Bis auf den Schmerz, den er Dich läßt eb Wie ſehr Dich kränken mag der Seelenloſe, Du läſſeſt nie von ihm, und ſiehſt mit Klagen Den Wurm des Laſters in der ſchönſten Roſe. Im Text: A woman’s face, with nature’s ‚own hand painted, Hast thou, the master-mistress of my passion. Durch das „Herr-Herrin meiner Liebe“ ſoll ausgedrückt werden, daß der Freund die Schönheit des Mannes und Weibes in ſich vereint und den Dichter dadurch zu einer Liebe begeiſtert, wie ſolche nur Kraft und Anmuth im Bunde zu erzeugen vermögen. Vergl. All's well that ends well, I. I., wo Selene von dem abgereiſten Bertram ſagt: T was pretty, though a plague To see him every hour; to sit and draw 1 His arched brows, his hawking eye, his curls In my heart’s table. Dieſes Sonett erinnert an Hamlet's berühmten mee (Me 3. Sc. 1.) und beſonders an die Stelle: For who would bear the whips and FCHER® of time, The oppressor's wrong, the proud man's contumely, The pangs of despis’d love, the law's delay, The insolence of office, the spurns 0 That patient merit of the unworthy takes, When he himself might his quietus make With a bare bodkin? Daſſelbe Thema behandelt Sadi in feinem Roſengarten (Ueber die Sitten der Könige, XI.).

2. Im Text:

For truth proves thievish for a prize sor dear. Aehnlich in Venus und Adonis: Rich preys make true men thieves.

24.

25.

26.

27.

b

en in Heinrich IV. (I. en Act 3. Sc. 2.): my state er ka but eee . d like a feast And won by rareness much solemnity.

Dieſem Sonett ſchließt das folgende ſich an, wobei Shhtepeare von der alten Vorſtellung der vier Elemente ausgeht. Die Dramen bieten verſchiedene Parallelſtellen dazu. So heißt es z. B. in Heinrich V. (Act 3. Sc. 7.) vom Pferde des Dauphin: Le cheval volant, le Pegasus, qui a les narines de feu! He is pure air and fire; and the dull ele- ments of earth and water never appear in him. In Antonius und Kleopatra (Act 5. Sc. 2.) ſagt dieſe: 1 am fire and air; my other elements I give to baser life.

Im Text:

O! how I fing when I of you do write,

Knowing a better spirit doth use your name. Die Kommentatoren haben diefen better spirit abwechſelnd auf Daniel, Drayton und Spenſer bezogen. Ich ſchließe mich der Vermuthung Malone's an, nach welcher Spenſer gemeint ſei. Vergl. Sonett 3., wo unſer Dichter ſeiner Bewunderung für Spenſer begeiſterten Ausdruck giebt.

Vergl. die vorſtehende Anmerkung. Durch dieſes Sonett geht ein ironiſcher Ton, indem der Dichter die überirdiſche Macht, welche ſeinem bewunderten Nebenbuhler Begeiſterung einflößt und ge⸗ heime Kunde bringt, als einen Kaim Saugen aper Kobold bezeichnet.

Im Text: Before the golden tresses of the dead, The right of sepulchres, were shorn Vl To live a second life on second head, Ere beauty's dead fleece made another gay.

Bekanntlich hatte die Königin Eliſabeth röthliches Haar, und um ihr zu ſchmeicheln; trug man am Hofe Perrücken von der⸗ ſelben Farbe. Darauf beziehen ſich »the golden tresses of the dead. Der Dichter wiederholt dieſe Anſpielung in ver⸗ ſchiedenen Stücken, wie Love's labour's lost, Timon of F. Bodenſtedt. VIII. 13

> pie Clemens von en r ech Mt und Andere. |

29,

31.

er

Athens und The Merchant of Venice. Es genüge hier, die betreffende Stelle aus letzterem anzuführen (Act 3. Se. 2.): So are those erisped snaky golden dane uahlsd Upon supposed fairness, often known ‚To be the dowry of a second head, Imre ae The skull, that bred them in the ‚sepul chre, r . = Schon die alten Kirchenväter eiferten gegen die fal Wer Cyprian,

Im Tezt: f h

When all, the a of this W are Be. Aehnlich in As you like it (Act 3. Sc. 2)

I will chide no breather in the e bub msell Im Text: 1 01 digt! When I perhaps TR am with day. u ©“ Aehnlich im zweiten Theil von Heinrich IV. (Wet. 5 4.):

Only compound me with ee dust.

Ebenſo in Hamlet, IV. 2. nina Se

Vergl. As yon like il H. 7777 ‚lin

And so from hour to hour we ripe * ripe, 1 And then from hour to hour we rot and eee And thereby hangs 2 tale. F . 1585 98

Das in dieſem und den folgenden Sonetten behandelte Thema erinnert ſehr an „Venus * e wo ganz ähnliche Stellen vorfommen: n Upon the earth’s increase why ea thou feed, Unless the earth with thy inerease be fed? By law of nature thou art bound to breed. That thine may live, when thou thyself art dead; And so in spite of death thou dost survive, In that thy likeness still is left alive. 11 oT Vergl. auch Als well that been well I. 1.

32. Venus und Adonis 8 ane

Torches are made to light: eek 101 Men adi un Dainties to taste, fresh beauty for the use; edle Herbs for their smell, and sappy plants to bear; Things growing to themselves are growth's abuse.

3 J d ; - 4

"Seeds spring from seeds, and beauty breedeth beauty; Thou wast begot, to get it is thy Bi 33. Venus und Adonis: Make use of time, let not ee slip; Beauty within itself should not be wasted: Fair flowers that are not gather’d in their prime, Rot and consume themselves in little time. Auch in den Dramen kommen ähnliche Stellen vor, z. B. gleich in der erſten Scene von Romeo und Julie:

O! she is rich in beauty; only poor,

That, when she dies, with beauty dies her a Aehnlich ſagt Viola in „Was Ihr wollt“ (Act 1. Sc. 5.) zu Olivia:

Lady, you are the cruel’st she alive,

If you will lead these graces to the grave

} And leave the world no copy.

34. Venus und Adonis:

i Be prodigal: the lamp that burbs 55 night, Dries up bis oil to lend the world his light.

What is the body but a swallowing grave,

Seeming to bury that posterity

Which by the rights of time thou needs iaust have,

If thou destroy them not in dark obseurity?

If so, the world will hold thee in disdain, Sith in thy pride so fair a e is slain. 35. Im Text:

Borne on the bier with white and bristly beard. Aehnlich in Midsummer-Night's Dream (Act 2. Sc. 2.):

and the green corn

Hath rotted ere his youth attain’d a beard.

36. Venus und Adonis: | | Thou wast begot, to get it is thy duty. 37. Dieſes Sonett, in welchem Shakeſpeare wie fo häufig in ſeinen Dramen, ich erinnere nur an die allbekannten Stellen in Hamlet, Macbeth und dem Sturm die Welt mit einer Bühne vergleicht und das Leben mit einem flüchtigen Schauſpiel, ſcheint mir eines der merkwürdigſten der ganzen weer zu ſein. . Anm. 4.)

13 *

40.

41.

42.

. Im Text: wei 8 1 d 1. 1 IE

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Im Text: NER gurtqa a 5397

Now, with the * ops of this most ale time

My love looks fresh, and death to me subseribes. Das Verbum to subseribe im Sinne von: huldigen, ſich unter- werfen, kommt auch im König Lear vor: Den

If you'll subseribe unto your lawful king.

| Aehnlich bei W ee. ee II. 10. a 39. |

12 1390 111 .

Im Text: Were it not Sinful then, striving to mend, To mar the subject W well.

Aehnlich i im König Lear (Act 1. Sc. 4.) :

Striving to better, oft we mar What's well

10 aa chiln ish Im Text: Sell 85 f t om voy be I see their antique pen EB are express’d 1 Even such a beauty as you master now. To master kommt in denen Sinne u in König Hein

rich V. (Act 3. Sc. 4.) : | [sgiborg od Between the promise of his giecner ae And those he masters noc. Bezieht ſich auf ein ae mit ae das der Dichter zum a erhalten. 1535 Im Text: Hier bio, au be

Till ER RR add ond un sie his part

Of thee, thy record never can be miss d. emp E Aehnlich in Measure for Measure (Act 5. Sc. 1):

O, your desert speaks loud, and I should wrong it,

When it deserves with characters of brass

A forted residence, ’gainst the tooth of time

And razure of oblivion. a d duns DE f

Love is not love n= Bi Which alters when it alteration finds Aehnlich im König Lear (Act I. Se. Aba viele Loves not love 503 un biegen

When it is mingled with regards that end aim

Aloof from the entire point. E mn An |

22 180 7 - 1

2

44.

45.

197 Im Text: 1 | =

As Philomel in summer's Bont, doch sing, i And stops her pipe in growth of riper days. Dem eigenthümlichen Ausdruck: in summer's front, kurz vor dem Sommer, oder im Beginn des Sommers, entſpricht ein anderer in Winter's tale (Act 4. Sc. 3.): No shepherdess, but Flora Peering in Apribs front. a

„Seit ſich zuerſt in Schrift g0ß der Gedanke * 8 Text: Since mind at ſirst in character was done. F. Victor Hugo überſetzt dieſen und die drei vorhergehenden Verſe:

O! puisse I histoire, en ramenant mes regards dans le passe, par dela einq cents courses de soleil, me montrer votre image dans quelque livre ancien, s’il est vrai que votre àme a eu une incarnation premiere?

und bemerkt dazu:

Nous appelons les meditations du lecteur sur ces vers infiniment curieux le plus grand poöte du moyen age developpe la théorie des existences anterieures et semble affirmer la continuite du moi humain à travers ces incarnations suceessives. N'est-il pas étrange de voir revenir ici cette doctrine de la metempsycose partie de l’ancienne Egypte et de la vieille Gaule? Remar- quons aussi la conclusion dans laquelle Shakespeare, repoussant l’idee indienne de l’immobilit6 et Pidee biblique de la decadence, proclame, avec la certitude du genie, le grand principe revolutionnaire du progres indefini. Im Text:

Lilies that fester, smell far worse than weeds. Derſelbe Vers kommt in Eduard III., einem alten Drama vor, welches 1596 gedruckt erſchien und von Vielen Shakeſpeare zu- geſchrieben wurde. Warwick ermahnt ſeine Tochter, den Huldi⸗ gungen des Königs zu widerſtehen, indem er ſagt:

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Auszug Schlußwort der erſten Auflage,

einigen neuen Tulätzen.

Die neue Ueberſetzung der Sonette Shakeſpeare's, welche ich den deutſchen Freunden des größten Dichters hier biete, wurde ſchon vor langen Jahren begonnen, aber erſt vor Kurzem zu Ende geführt. Beides, Anfang und Ende, entſtand auf rein äußere Veranlaſſung und nichts lag mir urſprünglich ferner als der Gedanke, die ganze, mehr als anderthalb hundert Stücke umfaſſende Sammlung deutſch herauszugeben.

In einer Geſellſchaft, welche einen guten Theil der öffent⸗ lichen Meinung in äſthetiſchen Dingen beherrſchte, hörte ich einmal die wunderlichſten und wegwerfendſten Urtheile über Shakeſpeare's Sonette; man nannte ſie zopfig, albern, roh, plump, abgeſchmackt kurz, man betrachtete ſie als die Flecken der britiſchen Dichterſonne.

Von Jugend auf heimiſch in meinem Shakeſpeare, frei lich nur zu poetiſch⸗erbaulichen, nicht zu kunſtrichterlichen Zwecken, fühlte ich wohl, daß die ganze Geſellſchaft Unrecht batte, und ſuchte auch meinem Gefühl Ausdruck zu geben. Allein ich war damals noch jung und unbekannt und ver⸗ mochte mit meiner ſchwachen Stimme gegen die gelehrten Herren und geſchmackvollen Damen nicht aufzukommen. Miß⸗ muthig kam ich nach Haufe, an meinem Urtheil faſt irre ge- worden. Doch ich ſchlug die Sonette auf, überſetzte friſchweg eines davon, das ſich, ohne weſentliche Einbuße, glatt und rund wiedergeben ließ, und ſchlief dann ganz beruhigt ein.

202

Ich glaubte ein ſicheres Mittel gefunden zu haben, die Wider⸗ ſacher der Sonette eines Beſſern zu belehren, indem ich mit Begeiſterung und Ausdauer eine Anzahl der ſchönſten in's Deutſche übertrug, um ſie der kritiſchen Geſellſchaft vorzuleſen. Das geſchah bei der nächſten Gelegenheit und ich hatte mich nicht geirrt der Erfolg war ein durchſchlagender: an die Stelle des Zweifels und des Mißfallens trat ungetheilte Bewunderung. Jeder begriff nun leicht, wie groß die Schön⸗ heiten des Urtextes ſein müßten, da ſchon meine Nachbildun⸗

gen ſolchen Beifall gefunden, und Alle geſtanden mir, die

Sonette nur nach dieſer oder jener holperigen Ueberſetzung gekannt und beurtheilt zu haben, g ige PR Sn wohl kundig waren. d 54 Aehnliche Erfahrungen machte ich wäter überall in Deutſch⸗ land, und als ich dann ſelbſt die vorhandenen Ueberſetzungen zur Hand nahm, fand ich allerdings bald, daß es unmöglich ſei, eine richtige Vorſtellung von Bor Be eg 250 Originals dadurch zu gewinnen. d ui m Man fragt ſich: was iſt der Zweck Ame Uberschmg f in Verſen? Doch wohl kein anderer als dieſer: uns ein, nicht blos dem Inhalt, ſondern auch der Form nach möglichſt treues Abbild des Originals zu geben, ein Abbild, welches dem der

e e

fremden Sprache Unkundigen die eigenthümlichen Schönheiten

des Originals wenigſtens einigermaßen veranſchaulichen muß, um ſein Daſein zu rechtfertigen. Findet aber das Gegentheil ſtatt, beherrſcht der Ueberſetzer ſeine Mutterſprache ſo wenig, oder fehlt ihm ſo ſehr das Ohr für rhythmiſchen Wohllaut, daß er, über Reime und Verſe ſtolpernd, die Schönheiten ſeines Dichters durch die Form mehr entſtellt als hervorhebt, ſo begreift man überhaupt nicht, was ihn dazu veranlaßt, ſich der metriſchen Form zu bedienen. Denn kein Menſch,

und ſei er noch ſo gelehrt, hat * a 3 Verſe zu machen. 53597242 un

a

;

r Br EEE NN he a

203

Allerdings weiß manche Ueberſetzung gerade durch ihre Unbeholfenheit ſich einen Schein von Treue zu geben, der Un⸗ eingeweihte leicht beſticht, weil dieſe geneigt ſind, die Wort⸗ verrenkungen, Inverſionen, Flickwörter und falſchen Reime für eben fo viele Beweiſe eines gewiſſenhaften Beſtrebens zu neh⸗ men, dem Originale möglichſt nahe zu kommen. Solches Be- ſtreben iſt in den meiſten Fällen gewiß auch vorhanden gewe⸗ ſen, aber es hat nicht zum gewünſchten Ziele geführt, denn die Kunſt beſteht nicht darin, daß man die Schwierigkeiten zeigt oder darin ſtecken bleibt, ſondern daß man ſie überwin⸗ det und vergeſſen macht.

Es giebt Gedichte, die als der melodiſche Ausdruck einer reinen Stimmung oder poetiſchen Empfindung überhaupt un⸗ überſetzbar ſind. Wir Deutſchen haben viele ſolche Lieder, die uns bezaubern durch ihren Wohlklang, oder weil ſie heilige Erinnerungen wecken, oder verwandte Stimmungen in uns hervorrufen, die aber, ihres heimiſchen Gewandes entkleidet, fremden Ohren ganz unverftändlich find, wie ich oft genug in fremden Landen erfahren.

Es giebt andere Gedichte, die in vollendeter Form eine Fülle eigenthümlicher Anſchauungen, allgemein verſtändlicher Gefühle, tiefer Gedanken und überraſchend ſchöner Bilder offen⸗ baren; zu dieſen gehören Shakeſpeare's Sonette. Ihr Inhalt iſt bedeutend genug, um auch ohne Hülfe von Vers und Reim ſeines Eindrucks gewiß ſein zu dürfen; ja, ich geſtehe, daß ich F. Victor Hugo's einfache Uebertragung der Sonette in fran⸗ zöſiſche Proſa mit größerem Genuß geleſen habe als alle mir zu Geſicht gekommenen deutſchen Ueberſetzungen in Vers und Reim, etwa ein Dutzend Sonette von Regis ausgenommen, die ſich vortheilhaft von den übrigen unterſcheiden.

Einen Shakeſpeare zu überſetzen iſt wahrlich keine leichte Aufgabe, und unter allen Werken des großen Dichters bieten eben ſeine Sonette die größten Schwierigkeiten dar. Keinem

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Ueberſetzer wird es gelingen, fein erhabenes Vorbild ganz zu erreichen, und doch muß das als Ziel jedem vorſchweben, ob⸗ wohl gerade diejenigen, welche dies Ziel am feſteſten im Auge behalten, auch am beſten einſehen werden, wie ei rn er ter zurückbleiben müſſen.

Eine allgemein giltige en ee läßt fich nicht feftftellen; mehr oder minder wird Jeder, nach dem Maße feiner Einſicht und Begabung, ſich feine eigene Methode bil- den, welche ihm für die Löſung ſeiner Aufgabe am geeignetſten ſcheint. Es kann ſich z. B. Jemand die Aufgabe ſtellen, Shakeſpeare's Sonette ganz im Tone der Zeit zu überſetzen, in welcher ſie entſtanden ſind, von dem Grundſatze ausgehend, daß nur auf dieſe Weiſe eine treue Wiedergabe des Originals zu ermöglichen ſei. Das höchſte Ziel eines ſolchen Ueberſetzers würde ſein, ſeine Aufgabe ſo zu lößen, wie etwa ann Ayrer fie gelöſt haben würde. nnn

Ein ſolches Ziel habe ich mir nicht gesteckt. Meine Abſicht war einfach, die Sonette in die poetiſche Sprache unſerer Zeit zu überſetzen. Die Methode, welche ich dabei verfolgte und nach welcher ich ee eee. i will ich hier offen darlegen. | llitß

Ich betrachte die Sonette Shakeſpeare's / wie ales äche Poeſie, als eine charakteriſtiſche Schönheitsoffenbarung, und war daher bemüht, ſie als ſolche auch in der eee erſcheinen zu laſſen. nt

Ich betrachte Shakeſpeare als den größten Dieter: aller Zeiten, aber doch auch zugleich als einen Sohn ſeiner Zeit, und nicht frei von den Schwächen und Wunderlichkeiten der⸗ ſelben, wovon auch ſeine Sonette Zeugniß tragen. Der Kern iſt überall ein reiner, aber die Schale will uns, nach heutigem Geſchmacke, nicht überall anmuthen. Es waren zu Shakeſpeare's Zeit Ausdrücke üblich, an welchen damals ſelbſt in den er⸗ habenſten Dichtungen Niemand Anſtoß nahm, welche aber

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205

heutzutage in der Poeſie geradezu unſtatthaft erſcheinen.) Ich habe ſolche Ausdrücke, als etwas ganz Unweſentliches, gemil⸗ dert, wo mir das nöthig ſchien, d. h. wo ſich der Sinn eben ſo gut durch andere Worte, in einer uns mehr anmuthenden Weiſe, wiedergeben ließ. Es iſt doch genug übrig geblieben, was Shakeſpeare's Zeit und den Boden, worauf die Sonette gewachſen ſind, in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit zeigt.

Meine Abſicht war nicht, ein photographiſches Abbild der engliſchen Sonette zu liefern, ſondern ſie deutſch nachzu⸗ dichten, ſo daß ſie auch in dieſer neuen Geſtalt Kennern wie Laien reinen poetiſchen Genuß gewähren möchten.

In der Sprache ſuchte ich mich nach Kräften an mein unerreichbares Vorbild zu halten und alle poetiſche Phraſe, alles Geſchraubte, Geſpreizte und Pomphafte zu vermeiden. Daß Shakeſpeare nicht aus bloßem Inſtinkt, ſondern mit über⸗ legenem künſtleriſchen Bewußtſein ſich einer edlen Einfachheit der Sprache befleißigte, drückt er, mit einem Seitenblick auf

) Z. B. die Stelle in Sonett 3. der engliſchen Reihenfolge (Nr. 99 der jetzigen deutſchen), welche Regis überſetzt:

„Denn welcher Schönen unbeſtellter Schooß Berſchmäht den Pflug wohl Deiner Feldwirthſchaft?« Hier habe ich mir die Freiheit genommen zu ſetzen: ;

„Wo iſt die Jungfrau, die es Dir gern bliebe?“

Ich führe dieſe Stelle hier an, weil ſie überhaupt die größte Freiheit bezeichnet, welche ich mir in der Uebertragung des Ganzen erlaubt habe, und weil Regis ſelbſt ein beſonderes Gewicht darauf legt, indem er ſie noch ein paarmal in den Nachträgen und Anmer⸗ kungen hervorhebt, einmal um den Beweis zu führen, daß der Ge⸗ genſtand des Sonetts ein männlicher ſei, und ein anderes Mal, um auf ähnliche Stellen bei Sophokles, Aeſchylus und Lukrez hinzuweiſen. Man könnte ſolche Blumenleſe nicht blos aus den alten Klaſſikern, ſondern auch aus den orientaliſchen Dichtern noch vervollſtändigen. Uebrigens wird jeder Kenner auf den erſten Blick finden, daß Regis hier den Wortlaut des engliſchen Textes keineswegs treu wiedergege— ben hat, ſondern Shakeſpeare darin weit „überſhakeſpearet“.

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feine Zeitgenoſſen, in dem Sonett, welches ich ſchon in der Einleitung hervorgehoben habe, deutlich genug aus:

Was iſt ſo arm an Neuheit mein Gedicht, ö

Statt wechſelnd nach der Mode ſich zu ſchmücken? Warum verſuch' ich wie die Andern nicht

Prunkvoll, geſpreizt und neu mich auszudrücken? c.

Es wurde ſchon Eingangs bemerkt, daß die Anfänge die⸗ ſer Ueberſetzungen rein aus äußerer Veranlaſſung entſtanden. Aehnlich ging es auch mit den Fortſetzungen. Meine Vor⸗ leſungen über Shakeſpeare führten mich von ſelbſt darauf, den in feinen Dramen unnahbaren Heros in feinen Sonetten zu zei- gen, wo er uns bald mit ſich aufſchwingt zu den erhabenſten Betrachtungen über Vergängliches und Ewiges, bald mit uns hellauflachend jubelt und neckiſchen Muthwillen treibt, immer aber, gleichviel ob in ernſter oder heiterer Stimmung, uns menſchlich nahe tritt, ſeine eigene Perſönlichkeit offenbart, un⸗ verhüllt durch die Larve eines Helden oder Narren.

So überſetzte ich denn einzeln eine Anzahl der ſchönſten Sonette mit beſonderer Sorgfalt, und manche davon wurden im Laufe der letzten ſechs Jahre theils im »Frankfurter Muſeum«, theils in meinen unter dem Titel „Aus der Sei- math und Fremde« erſchienenen Gedichtſammlungen mitgetheilt. Der Beifall, den fie fanden, ließ mich an Feft- und Feier⸗ tagen immer wieder zu der genußreichen Arbeit greifen, bis endlich in Folge wiederholter Aufforderungen die ganze Samm⸗ lung in den erſten Monaten dieſes Jahres Ann ae wurde.

Ich war Anfangs gewillt, die Seite alle in die hauptſächlich durch Rückert und Platen bei uns eingebürgerte Form Petrarka's zu gießen, welche A. W. Schlegel e folgendermaßen ſchildert:

207

Zwei Reime heiß' ich viermal kehren wieder Und ſtelle ſie, getheilt, in gleiche Reihen, Daß hier und dort zwei eingefaßt von zweien

Im Doppelchore ſchweben auf und nieder;

Dann ſchlingt des Gleichlauts Kette durch zwei Glieder Sich freier wechſelnd, jegliches von dreien. In ſolcher Ordnung, ſolcher Zahl gedeihen

Die zarteſten und ſtolzeſten der Lieder.

Allein ich merkte bald, daß ich mir in unſerer reimarmen Sprache meine Aufgabe dadurch ſehr erſchwerte und zwar unnöthigerweiſe, da ich mir füglich dieſelbe Freiheit nehmen konnte, welche Shakeſpeare ſich ſelbſt nach ſeinem Vorbilde Daniel genommen. So begnügte ich mich denn damit, nur eine kleine Anzahl annähernd in die bei uns übliche ſtrengere Form zu kleiden und den übrigen die freiere Bewegung des Urtextes zu geſtatten, wo der Regel nach die vierzehn Vers⸗ zeilen, welche ein Sonett bilden, dergeſtalt gegliedert ſind, daß man die zwölf erſten Verſe in drei vierzeilige Strophen (Quatrains) mit gleichmäßig wechſelnden Reimen ſondern kann, worauf denn die zwei letzten Verſe als abſchließendes Reimpaar (Couplet) folgen. |

Das Sonett wurde in England zuerſt eingeführt durch Wyat und Graf Surrey (denſelben, der auch das erſte Drama in Blankverſen ſchrieb) und vor Shakeſpeare zur höchſten Vollendung gebracht durch Spenſer, der noch immer als der größte Sonettendichter Englands gefeiert wird, obgleich ich innigſt überzeugt bin, daß Shakeſpeare auch im Sonette die Palme gebührt. Welch treffliches Vorbild er übrigens in Spenſer hatte, mögen hier einige Beiſpiele veranſchaulichen, welche, in der Ueberſetzung der italieniſchen Form ſich nähernd, zugleich zeigen werden, daß Spenſer ſeinem Meiſter Petrarka ebenbürtig zur Seite ſteht.

208

nnn bei 71 e Glücklich, ihr Blätter, wenn die eilienhand 1 Der Hohen, die beherrſcht mein ganzes Sein, 5 ? Euch hält und ſchließt euch wie Gefangne einn, Die vor Dem zittern, der ſie überwand. Re

Glücklich, ihr Zeilen, wenn auf euch gewandt RES Des ſchönen Aug's glutvoller Sonnenſchein, r Und ihr die blutige, thränenvolle Pein

14 112

Vor ihr enthüllt, die ich durch ſie empfand.

Glückliche Reime, die ſich baden dürfen sie In ihren Reizen und Begeiſtrung cee a nz Aus ‚Ihren Augen ſucht ihr zu gefallen, ers - . U 910 Rant

Die meine Sehnſucht iſt, mein Glück vor . Sr Blätter der Liebe, feiert nur die Eine! ee Erfreut 75 ſie / hi kümmert ſenſt be ene Pins: 2. Angus men mn . nen

Schuf ſo die Kunſt fe, oder die Natur, | ni Daß Stolz und Anmuth ganz in ihr bee) ; Und Beides doch getrennt zu 5 bn 11 In dieſer ganz vollkommnen Kreatut? mom u00

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Durch ihre zaubervolle Anmuth nur, 1 Die gänzlich frei von jedem Stolz erſcheint ;; Reißt fie mich hin dann naht ihr Stolz als Feind: Vernichtend aller ſündigen Triebe Spur. nne 800

Ihr Auge übt fo wunderſame Kunſt: 10 Ania

Mit einem Blicke nimmt ſie mir das 15 7 end

Um's mit dem andern mir zurückzugeben. en 2 > In inna

Ein Blick verheißt ein andrer raubt die Gunf 2 So lockt und ftößt mich ab ihr ganzes Wefen. ve Die Kunſt hab' ich in den en nie zer. ION

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185 p ia rn Wie herrlich ihr die ſtolze Haltung ſteht! Zum Himmel weiſt die himmliſche Geber; 0 urn Doch ſenkt ihr ſinnend Auge ſich zur Erde pie Demuth miſcht ſich in ihr mit Majeſtädtt.

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209

Denn wie ſie blickt zur Erde, drauf fie geht, Bedenkt ſie, daß der Tod auch ſie gefährde, Und was vom Staube kam, zu Staube werde, Daß auch das Schönſte auf der Welt vergeht.

Doch ſcheint der Stolz die Demuth zu bezwingen; Sie fühlt, zum Himmel kann ihr Geiſt ſich ſchwingen, Derweil ihr Fuß den Staub tritt mit Verachtung,

Der ſie verlockt zu irdiſcher Betrachtung. Doch neige Dich zu mir mit Huldgeberden, Laß Dich herab: Du ſollſt erhoben werden!

Ich laſſe hier gleich eines der am meiſten geprieſenen Sonette Petrarka's in gleicher Ueberſetzung folgen, um zu zeigen daß Spenſer hinter ſeinem Vorbilde durchaus nicht zurückſteht.

Was, wenn nicht Liebe, macht mein Herz ſo ſchlagen? Doch iſt es Liebe, Gott! wie mag ſie ſein?

Wenn gut, warum ſchließt ſie ſo Herbes ein?

Wenn ſchlecht, woher ſo ſüß ſind ihre Plagen?

Lieb' ich freiwillig woher Leid und Klagen? Und unfreiwillig iſt die Schuld dann mein?

O ſüßes Weh, lebendige Todespein,

Wie kommt's, daß ich gezwungen euch muß tragen?

Und ungezwungen klagt“ ich ohne Grund!

In morſchem Kahn treib' ich auf hohem Meer Ganz ſteuerlos, ein Spiel der Wind' und Fluten.

So leicht an Wiſſen und im Wahn ſo ſchwer, Daß, was ich möchte, ſelber mir nicht kund; Im Sommer beb' ich, fühl' im Winter Gluten.

Solche Beiſpiele find natürlich nur Winke, die den Ken- ner der italieniſchen und altengliſchen Poeſie zu näheren Ver— gleichen auffordern, während ſie den Unkundigen wenigſtens

einigermaßen orientiren. F. Bodenſtedt. VIII. 14

210

Petrarka war die Sonne, deren Strahlen ſich hundert⸗ fältig brachen in der engliſchen Poeſie der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, und der hauptſächlich dadurch, daß er die Poeten aneiferte, den verlockenden Wohllaut ſeiner Verſe und die Feinheit ſeines Ausdrucks in knapper Form nachzuahmen, veredelnd und läuternd auf die poetiſche Sprache der Englän⸗ der wirkte. Viele um nicht zu ſagen die meiſten dieſer Nachahmungen waren entſtellt durch rhetoriſchen Schwulſt, Con⸗ cetti und Wortſpiele (Auswüchſe, von welchen ſelbſt Shakeſpeare anfänglich nicht freigeblieben); allein zwiſchen dem poetiſchen Unkraut wuchs doch auch manche ſchöne Blume auf, deren Duft uns heute noch erfreut, wiewohl man eingeſtehen muß, daß die Mehrzahl der altengliſchen Sonette, abgeſehen von denen Spenſer's und Shakeſpeare's, für uns heute ungenießbar ſind, indem ſie eine Uebergangsperiode bezeichnen, welche wir ſelbſt längſt durchgemacht haben. Es begegnen ſich darin die poetiſchen Spitzfindigkeiten und Ueberſchwenglichkeiten einer alternden und einer erſt werdenden Kulturepoche, in welcher die Wiedererweckung des klaſſiſchen Alterthums, hier wie überall, den Muſenhain mit der ganzen griechiſchen und römiſchen Götterwelt bevölkerte. Hand in Hand mit der ſo entſtandenen fremdartigen Nomenklatur und Vorſtellungsweiſe ging die Nachahmung der keuſchen Gefühle und der unglücklichen Liebe Petrarka's, woraus ſich denn konventionelle Formen entwickel⸗

ten, die alles gefunde, urſprüngliche Gefühl umkruſteten und

erſt von Shakeſpeare, der (ähnlich wie bei uns Goethe) Herz und Natur wieder in ihre Rechte einſetzte, ganz und völlig durchbrochen wurden.

Seine namhafteſten Vorgänger im Sonett waren, außer den ſchon oben genannten: Watſon, Sidney, Drayton, Con⸗ ſtable, William Smith, Richard Barnefielde und wahrſchein⸗ lich auch Graf Stirling.

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In den Sonetten des Grafen Surrey (1757)*) finden fi) große rhetoriſche und deſeriptive Schönheiten. Sie ſchlie⸗ ßen ſich in den erſten acht Verszeilen genau der italieniſchen Form an, dann folgt ein Quatrain in Wechſelreimen und endlich die zweizeilige Pointe wie bei Shakeſpeare, oder vielmehr wie bei allen engliſchen Sonettiſten, denn dieſe Pointe iſt der einzige Punkt, in welchem keiner von dem andern abweicht, Sidney ausgenommen, der meiſtens mit zwei Terzetten ſchließt.

Ob man Watſon's Sonette (ohne Angabe der Jahres⸗ zahl) mit Fug ſo nennen kann, laſſe ich dahin geſtellt ſein. Sie haben alle vier Zeilen über das vorgeſchriebene Maß und gliedern ſich in drei ſechszeilige Strophen, wovon die vier erſten Zeilen immer in Wechſelreimen ſind, die dann (fünf und ſechs) mit einem Reimpaar ſchließen. Ihr poetiſcher Werth iſt nicht groß; ſie ſind allzuſehr mit Bildern überladen.

Zierlicher und wohlklingender ſind Philip Sidney's Sonette (1591), die ſich, gleich denen des Grafen Surrey, möglichſt dem Stile und Tone Petrarka's nähern.

Bei Daniel (1592), der in Sprache und Form Shakeſpeare am nächſten ſteht, begegnen wir auch ſchon ähn— lichen Prophezeiungen wie bei dieſem, über das Fortleben fei- ner Liebe im Gedicht.

Drayton (1593) iſt glatt und korrekt, aber ein ſchäfer⸗ licher Ton läßt kalt. Daſſelbe gilt von W. Percy (1594).

Der ſchwülſtige Conſtable (1594) wird hier nur er⸗ wähnt, weil er zu ſeiner Zeit eines großen, aber unverdienten Rufes genoß.

Richard Barnefielde (1595) nimmt einen kühneren Aufſchwung als die anderen; ſeine Liebe iſt nicht geſchlechts— los und nähert ſich in einigen Stellen entſchieden dem Shake—

) Die Zahlen bezeichnen die Jahre, in welchen die Sonette der verſchiedenen hier angeführten Dichter im Druck erſchienen. 14

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ſpeareſchen Tone, obwohl er ſich in der Form von ihm un- terſcheidet.

Barnabas Barnes (1595) giebt ſeinen Sonetten u weg einen erbaulichen und religiöſen Inhalt.

William Smith (1596) will feine Chloris nicht ver- gleichen mit Sternen und Blumen, wie andre Dichter thun, »die wohl gar aus ihrer Liebe einen Goldſchmiedsladen machen, angefüllt mit allen möglichen Perlen und Juwelen«. Er findet ſie unvergleichlich in ihrer Grauſamkeit wie in ihrer Schönheit.

Graf William Alexander Stirling (1604) ſchwört ſeiner Aurora bei ihren Sternenaugen und goldnen Locken, bei ihren Korallenlippen und ihrer ſchneeigen Haut, nie andere als keuſche Gelüſte zu haben.

Unter den Sonettiſten werden auch Robert Greene und Sir Walter Raleigh aufgeführt, ein Umſtand, aus dem ſich beweiſen ließe, daß in England früher der Begriff des Sonetts ein ſehr ſchwankender und vielumfaſſender war. Denn von den fünf Gedichten, welche in Greene's Werken als Sonette bezeichnet ſind, haben zwei je achtzehn Verszeilen (in drei Strophen getheilt, wie bei Watſon), zwei je vierundzwanzig und eines gar ſechsunddreißig!

In dem erſten wird die Frage aufgeworfen und beant⸗ wortet, was eigentlich die Liebe ſei; das zweite und dritte beſingt die Liebe der Venus zu Adonis; im vierten wird die Geliebte des Dichters mit allen Jahreszeiten verglichen und das fünfte ſucht der vielbeſungenen Liebesgeſchichte von Phillis und Coridon eine neue Wendung abzugewinnen.

Unter den ſämmtlichen Gedichten von Sir Walter Raleigh“)

*) Sie find ſchwer zu beſchaffen, da von der großen prachtvollen Quartausgabe, in welcher ſie zum erſtenmale vollſtändig geſammelt erſchienen, nur hundert Exemplare abgezogen wurden. Sie trägt den Titel: The Poems of Sir Walter Raleigh: Now first col-

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habe ich nur ein einziges Sonett gefunden (A vision upon the Fairy Queen), von welchem man jedoch bis in die neueſte Zeit viel Rühmens gemacht hat. Sir Egerton Brydges behauptet ſogar, Milton habe es bei ſeinen Sonetten zum Vorbilde genommen. Ich laſſe es daher, in ſeiner urſprüng— lichen Form verdeutſcht, hier folgen, um die kurze Ueberſicht der Vorläufer Shakeſpeare's damit zu ſchließen.

Mir träumt', ich ſäh' das Grab, das Laura barg, Im Tempel, den einſt Veſta's Glut erhellt Und als ich ſpähend hintrat zu dem Sarg,

Der todten Staub lebendigen Ruhms enthält,

Wo reine Lieb' und rein're Tugend wachte: Sah plötzlich ich die Königin der Feen, Sah wie ihr Bild Petrarka weinen machte, Und Lieb' und Tugend ſah ich mit ihr gehn.

Am Grab blieb nur Vergeſſenheit. Da weinte Der Stein ſelbſt, dem unheimlich das Gewimmel Der Geiſter hier Begrabner ſich vereinte;

Ihr lautes Wehgeſchrei drang bis zum Himmel, Wo zornesvoll der Geiſt Homers laut klagte, Daß ſolchen Raub die hehre Königin wagte.

Man hat darüber geſtritten, ob Shakeſpeare in ſeinen Sonetten Spenſer oder Daniel ſich zum Muſter genom- men, und höchſt gewichtige Stimmen haben ſich für dieſen ent- ſchieden, dem er jedenfalls die Form entlehnt, welche Spenſer in ganz anderer eigenthümlicher Weiſe behandelt, indem er drei Tetrachorden bildet, deren Reime ſolchergeſtalt wechſeln, daß der letzte Vers des erſten auf den erſten des zweiten reimt und der letzte des zweiten auf den erſten des dritten,

lected. With a biographical and eritieal introduction: by Sir Egerton Brydges. K. I. printed at the private press of the Priory; by Johnson and Warwick. 1813.

= —.

worauf dann wie bei Shakeſpeare ein Reimpaar als Schlußcouplet folgt. f Doch wenn ſich Spenſer auch durch die Form von

Shakeſpeare unterſcheidet, ſo will mich doch bedünken, daß er ihm geiſtig näher ſteht und einen größeren Einfluß auf ihn geübt hat als Daniel. Shakeſpeare hat in dem Sonette »Wenn ſich Muſik und Poeſie verbinden« offen ausgeſprochen, wie hoch er Spenſer als Dichter ſtellt, und auch unter den Sonetten, welche an den geheimnißvollen Freund gerichtet ſind, weiſen einige deutlich genug auf Spenſer hin, obwohl ſein Name nicht ausdrücklich genannt iſt. Man leſe z. B. das Sonett, welches beginnt:

O wie verzag' ich, wenn ich von Dir ſinge,

Seit Dich ein größrer Dichtergeiſt erhob

Auf ſeiner allgewalt'gen Ruhmesſchwinge,

Daß ich verſtummen muß mit meinem Lob!

Wer kann hier anders gemeint ſein als Spenſer? Doch ſcheint mir der Streit über die Frage, ob dieſer oder Daniel im Sonett Shakeſpeare's Vorbild war, ein ziemlich müßiger zu ſein, denn es läßt ſich ſehr leicht nachweiſen, daß Shakeſpeare ſich weder auf den einen noch auf den andern beſchränkte, ſondern alle ſeine Vorgänger kannte und benutzte. Wer ſich die Mühe giebt, genau zu vergleichen, wird bald finden, daß Shakeſpeare's Sonette nicht nur an Spenſer's Amoretti und Daniel's Delia, ſondern auch an Conſtable's Diana und Sid⸗ ney's Astrophel and Stella, ja ſogar an Surrey's Sonette erinnern, daß aber alle dieſe Anklänge und Aehnlichkeiten durch⸗ aus nicht zu ihren Vorzügen gehören, ſondern uns nur des⸗ halb intereſſant ſind, weil ſie durch Zurückführung auf die Quellen manche Wunderlichkeiten des Ausdrucks erklären. Wie als Dramatiker, ſo auch als Sonettiſt, iſt Shakeſpeare nicht groß durch das, was er mit ſeinen Vorgängern gemein hat, ſondern durch das, wodurch er ſich von ihnen unterſcheidet.

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215

In dem » Verliebten Pilger« erſcheint er noch gleich ihnen halbverpuppt in den konventionellen Formen ſeiner Zeit. Der Unterſchied zwiſchen dieſer Gedichtſammlung (in welche ſich übrigens auch ein paar nicht von Shakeſpeare herrührende Gedichte verirrt haben, wie z. B. Marlowe's »Come live with me and be my love«) und feinen der Mehrzahl nach in eine ſpätere Zeit fallenden Sonetten iſt ſo groß, daß man lange Zeit verſucht geweſen iſt, ihm die Autorſchaft des »Verliebten Pilgers« ganz abzuſprechen. Man könnte ihm mit demſelben Rechte die Autorſchaft ſeines Titus Andronikus abſprechen.

Die Verehrung für ſeine faſt unbegreifliche Größe hat Viele über ihn urtheilen laſſen, als ob er ein vom Himmel gefallenes Wunder geweſen wäre, das gar keiner menſchlichen Entwickelung bedurft hätte. Und doch hat er eine ſolche durch—

gemacht, wie wir Alle, nur daß er es weiter gebracht als

alle andern Sterblichen, nicht blos durch ſein Genie, ſondern auch durch feine ungeheure Arbeitskraft, Lernbegier und Aus- dauer, durch ſein raſtloſes Streben nach Vervollkommnung, wofür Inhalt und Umfang ſeiner Werke vollgiltiges Zeugniß geben.

Sein Genie gab ihm die Schwingen und das Auge des Adlers, aber er vereinte damit den ſtillen und ſtätigen Fleiß der Biene, ohne welchen er nicht geworden wäre, was er iſt. Seine ſtufenweiſen Fortſchritte laſſen ſich eben ſo deutlich in ſeinen kleinen lyriſchen Gedichten verfolgen wie in ſeinen gro— ßen dramatiſchen Schöpfungen, mit welchen ſie Hand in Hand gehen und zu welchen ſie eine Menge Parallelſtellen liefern, wobei freilich immer zu bedauern bleibt, daß ſich nichts mit chronologiſcher und hiſtoriſcher Beſtimmtheit aufſtellen läßt, da hiezu faſt alle Beweismittel fehlen.

Wir wiſſen, daß der „Verliebte Pilger« zum erſtenmale im Jahre 1599 gedruckt wurde (von W. Jaggard), aber ohne

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Shakeſpeare's Zuthun, obwohl unter feinem Namen, den er übrigens mit göttlicher, uns unbegreiflicher Ruhe zu allen möglichen Buchhändlerſpekulationen und Schwindeleien miß⸗ brauchen ließ. Zehn Jahre ſpäter (1609) erſchienen die Sonette im Buchhandel, gedruckt für T. T. (Thomas Thorpe) unter einem Titel, der es allein, abgeſehen von allen übrigen Um⸗ ſtänden, als gewiß erſcheinen läßt, daß Shakeſpeare mit der Veröffentlichung dieſer Sammlung eben ſo wenig zu thun hatte, wie mit der des „Verliebten Pilger«.

Auf den Titel und was drum und dran hängt werden wir ſpäter zurückkommen, hier ſollten nur die einzigen chrono⸗ logiſchen Anhaltspunkte hervorgehoben und dabei gezeigt wer⸗ den, wie wenig zubverläſſig dieſelben find. Es wird von den Literaturhiſtorikern ſtillſchweigend angenommen, daß die Ent⸗ ſtehung der Shakeſpeare'ſchen Sonette ſchon vor das Jahr 1598 fallen müſſe und als einziger Beweis dafür wird eine Stelle aus einem in demſelben Jahr gedruckten Büchlein (Palladis Tamia or Wit's Treasury etc.) von Francis Meres angeführt, welche heißt: »Wie man glaubte, daß die Seele des Euphorbus in Pythagoras lebe, ſo lebt der ſüße, witzige Geiſt Ovid's im Honigmunde Shakeſpeare's, in Venus und Adonis, in Lukrezia, in ſeinen ſüßen Sonetten unter feinen vertrauten Freunden.“ Was iſt damit nun bewieſen? Doch nicht mehr als dieſes: Daß im Jahr 1598 unter Shakeſpeare's näheren Freunden irgend welche Sonette des großen Dichters bekannt und beliebt waren, ſei es nun, daß er ſie ſelbſt vorgeleſen oder in Abſchriften mitgetheilt habe. Welche Sonette dies geweſen, ob diejenigen, welche in dem »Verliebten Pilger« enthalten ſind und bei Weitem das Schönſte dieſer Sammlung ausmachen, oder ob diejenigen, welche zehn Jahre ſpäter erſchienen, wiſſen wir nicht. Wohl aber wiſſen wir, oder haben wenigſtens der gewöhnlichen An⸗ nahme keinen gewichtigen Grund entgegen zu ſetzen, daß auf

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die Empfehlung des vielgelefenen Meres'ſchen Buches hin im folgenden Jahre der Buchhändler Jaggard den Verliebten Pilger« unter Shakeſpeare's Namen (obwohl wie ſchon be— merkt ohne Shakeſpeare's Wiſſen) herausgab, nachdem er ſich, Gott weiß auf welche Art, Abſchriften von einzelnen Sonetten und Liedern unſeres Dichters zu verſchaffen gewußt hatte, die er, vermiſcht mit andern, in willkürlicher Reihenfolge zufam- menſtellte und drucken ließ.

Denn daß ſich kein leitender Faden durch das Ganze zieht, wird Jedem auf den erſten Blick einleuchten, und daß fremde Stücke mit auf Shakeſpeare's Rechnung geſetzt wurden, iſt eine erwieſene Thatſache.

Heute würde man ein ſolches Verfahren als Betrug brandmarken; in Shakeſpeare's Tagen nahm man es damit nicht ſo genau, wie hundert ähnliche Beiſpiele beweiſen.

Doch dem ſei wie da wolle: ich glaube durch die einfache Darlegung des Sachverhaltes jedem unbefangenen Leſer klar gemacht zu haben, daß zur Beſtimmung der Zeit des Ent— ſtehens der Shakeſpeare'ſchen Sonette zuverläſſige Anhaltspunkte nicht vorhanden ſind; ferner daß die oben angeführte Stelle aus dem Büchlein von Francis Meres ſich weit ungezwun— gener auf die Sonette im Verliebten Pilger« als auf die zehn Jahre ſpäter erſchienene Sammlung beziehen läßt.

Wer dies zugiebt, wird auch nichts einzuwenden haben gegen die Annahme, daß der große hier mitgetheilte Cyklus von Sonetten nicht ſchon im Jahre 1598 abgeſchloſſen vorlag, ſondern daß die ſchönſten und reinſten dieſer Sonette einer ſpäteren Zeit angehören. Erwägt man nun, daß Shakeſpeare weder den „Verliebten Pilger« noch die ſpätere Sammlung ſelbſt herausgab, ſondern daß beide als Buchhändlerſpekula— tionen erſchienen, und erinnert man ſich, daß jene erſte Samm— lung erwieſenermaßen kein organiſch zuſammenhängendes Ganze bildet, vielmehr höchſt willkürlich durcheinander gewürfelt er—

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ſcheint, ſo wird auch bei der zweiten ein befcheidener Zweifel an dem bisher als Dogma aufgeſtellten Satze erlaubt ſein, daß ſie ſo vorliege,

„Wie fie der Verfaſſer ſchrieb, Nicht wie ſie der Diebſtahl druckte.“

Dieſer Zweifel wird ſich verſtärken aus inneren und äußeren Gründen, wenn man, die Sonette aufmerkſam durch⸗ gehend, ſieht, daß gerade unter den letzten ſich einige finden, deren Ton und Sprache merklich von den übrigen abweicht, während ſie eine auffallende Verwandtſchaft mit denen der erſten Periode, ich meine, mit den Sonetten im Verliebten a offenbaren.

Man leſe z. B. aufmerkſam die Sonette CLIII und CLIV des engliſchen Textes und frage ſich, in welchem Zu⸗ ſammenhange fie mit den vorhergehenden ſtehen. Oder CXXVI und CX “LV, die geradezu wie hineingeſchneit in ihre Umge⸗ bung erſcheinen und nicht blos durch ihren Sinn, ſondern auch durch ihre Form ſich davon unterſcheiden, indem das eine nur zwölf Zeilen enthält, die aus lauter Reimpaaren beſtehen, während das andere in vierfüßigen Jamben geſchrie⸗ ben iſt. Es genügt, von den beiden erſterwähnten hier eines anzuführen, da ſie beide in anmuthiger Spielerei daſſelbe Thema behandeln.

Cupido, da einſt Schlaf ihn überkam,

Ließ ſeine Fackel ſinken, welche ſchnell

Ihm eine Nymphe der Diana nahm,

Die tief ſie taucht in einen kühlen Quell.

Allein der Liebesfackel heilige Glut

Ward wunderſam dem Waſſer mitgetheilt,

Das endlos weiterglühend Wunder thut,

Den Schwachen Stärke giebt und Kranke heilt.

An meiner Liebſten Aug' entzündet wieder

Der Gott den Brand, der ſchnell mein Herz erfaßt,

Das Liebesfeuer raſ't durch meine Glieder

Zum Heilquell eil' ich, ein betrübter Gaſt Doch half mir's nicht! Die Bäder die mir taugen, Sind Amor's Feuerquell, der Liebſten Augen.

Ich laſſe hierauf gleich ein Sonett aus dem „Verliebten Pilger« folgen.

Im Myrthenſchatten bei Adonis ſaß Venus, die immer liebevoll Geſinnte; Und ſie erzählt' ihm, wie ſich Mars vergaß Bei ihr, einſt höchſt zudringlich um ſie minnte, Kühn wie er iſt ſprach ſie erlaubt' er ſich Gar viel mit ihr, was konnt' ich thun, ich Arme! Sieh, ſo, gerade ſo, umarmt' er mich! Sie ſprach's und ſchloß Adonis in die Arme. Dann küßt' er mich ſie ahmte auch den Kuß nach; Und holte Athem tief. Adonis ſchmollte Und ſprang davon. Sie ſah ihm mit Verdruß nach Daß er auch gar nicht merkte, was ſie wollte! Wenn mich doch meine Liebe ſo umfinge Und mich ſo küßte, bis ich von ihr ginge.

Der Leſer möge hienach ſelbſt urtheilen, ob ſich in dieſen beiden Sonetten eine weſentliche Verſchiedenheit des Tones offenbart. Er wird (beſonders wenn er den Urtext vergleicht) bei näherer Prüfung finden, daß das zweite alſo das von den Herausgebern in die früheſte Periode geſetzte noch rei- cher, gegenſtändlicher, plaſtiſcher iſt als das erſte, welches mit ſeiner darauf folgenden Variante den Schluß der ganzen ſpä⸗ teren Sammlung bildet, alſo in eine Zeit fallen müßte, in welcher Shakeſpeare mit den mythologiſchen Bildern und An- ſpielungen, wovon ſeine früheſten Gedichte wie diejenigen ſeiner Zeitgenoſſen wimmeln, längſt abgethan hatte.

Die Unzuſammengehörigkeit der Sonette CILIII und CLIV iſt auch ſchon engliſchen Gelehrten aufgefallen, aber ſie haben

we

die Sache auf ſich beruhen laſſen. So zählt z. B. Brown), der die Sonette als eine Selbſtbiographie des Dichters be- trachtet und ſie danach ordnet, die beiden letzten gar nicht mit, und Alexander Dyce “), der größte engliſche Shafefpeare- Gelehrte, bemerkt dazu, daß ſich dieſe Auslaſſung von ſelbſt verſtehe.

Gerade ebenſo verſteht ſich's von ſelbſt, daß die Sonette CXXVI und CXLV nicht hingehören, wo fie im engliſchen Texte ſtehen, und daß fie in der Sammlung des Verliebten Pilgers« weit beſſer an ihrem Platze ſein würden. Dieſer »Verliebte Pilger« iſt nämlich ein Deckname für alles Mög⸗ liche und Unmögliche, ein Titel, der gar nichts mit dem In⸗ halte zu thun hat, wenn man ein einziges Sonett, das dritte, ausnimmt, welches in Ton und Sprache auffallend an die be- rühmte Scene in Romeo und Julie erinnert, wo auch von Pilgern die Rede ift: If I profane with my unworthy hand ete.

In ähnlichem Tone und aus ähnlicher Stimmung heraus hat Shakeſpeare mehrere Sonette geſchrieben, die ich mir er- laubt habe zuſammenzuſtellen, wie ſie ihrem Inhalte nach auf einander folgen, und damit die hier gebotene Sammlung zu eröffnen, weil ich die feſte Ueberzeugung habe, daß ſie zu den früheſten Sonetten Shakeſpeare's gehören und deshalb nicht an das Ende zu ſetzen ſind. Uebrigens füge ich ein mit der neuen Anordnung korreſpondirendes Verzeichniß der älteren Reihenfolge bei, zur Bequemlichkeit derer, welche dieſe vorzie⸗ hen oder den Text mit der Uebertragung vergleichen wollen.

*) Shakespeare's Autobiographical Poems. Being his Sonnets clearly developed: with his character drawn chiefly from his works. By Charles Armitage Brown. 1838.

) Some account of the life of Shakespeare. (The Works of William Shakespeare; the text revised by the Rev. Alexander Dyce. In six volumes.) I. XCIV. 1857.

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Ein ähnliches Verfahren hat ſich ſchon F. Victor Hugo ſehr zum Vortheil der von ihm den Franzoſen gebotenen Ueber— ſetzung erlaubt. Im Prinzip ſtimme ich mit ihm überein; in der Ausführung bin ich aus guten Gründen meinen eigenen Weg gegangen.

Die ältern engliſchen Herausgeber der Sonette Shake— ſpeare's haben ſich mit einer einzigen Ausnahme immer ſtreng an die Reihenfolge der älteſten Ausgabe (1609) ge- halten, da es nicht in ihrer Abſicht lag, einen inneren Zu- ſammenhang herzuſtellen, ſondern den Text, wie er einmal vorlag, in möglichſter Reinheit dem Leſer zu bieten. Die ein⸗ zige Ausnahme davon bildet die unter dem Titel: Poems, written by Will. Shakespeare Gent. im Jahre 1640 erſchienene zweite Ausgabe der Sonette, welche acht Num- mern ganz wegläßt und dafür Gedichte aus dem Verliebten Pilger« einſchiebt, außerdem den Sonetten willkürliche, oft ganz unpaſſende Ueberſchriften giebt und häufig zwei, drei, vier Nummern unter einer Ueberfchrift zuſammenſtellt, fo daß weder auf den innern Zuſammenhang des Ganzen, noch auf die ältere Reihenfolge Rückſicht genommen, folglich die Kon⸗ fuſion nur vergrößert wurde. Die ſpäteren Herausgeber haben deshalb mit Recht die Ordnung der älteren Ausgabe beibe— halten“). Indem ich nun in Deutſchland den erſten Verſuch mache, den poetiſchen Zuſammenhang der Sonette herzuſtellen, um den Genuß des Leſers dadurch zu erhöhen, bin ich mir wohl bewußt, daß die Sache damit keineswegs erledigt iſt,

*) Bis auf Charles Knight, der in feinem Pictorial Shakspere eine neue Anordnung verſuchte, und einen Anonymus, der die Sonette unter folgendem Titel heraus gab:

The Sonnets of William Shakspere, rearranged and divided into four parts. With an introduction and explanatory notes. London: John Russell Smith, M. DCCC. LIX.

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ſondern noch viel zu wünſchen übrig läßt. Belehrende Winke von Seite geſchmackvoller Kenner zur Förderung und Ergän⸗ zung meines Verſuchs einer neuen Ordnung der Sonette werde ich dankbar in einer etwa folgenden Auflage benutzen.“)

Mit der Frage über die Reihenfolge der Sonette fällt natürlich die Frage über ihren Inhalt zuſammen. Sowohl in England als in Deutſchland wird ziemlich allgemein ange⸗ nommen, daß der größte Theil der Sammlung an Shakeſpeare's Gönner und Freund, den Grafen von Southamton, gerichtet ſei. Es ſprechen dafür eine Menge Gründe; zunächſt daß der junge, ſchöne, geiſtvolle, ritterliche, vornehme, reiche, hoch⸗ ſinnige Graf die Eigenſchaften wirklich beſaß, welche Shake⸗ ſpeare ſeinem in den Sonetten gefeierten Freunde beilegt; ferner daß Shakeſpeare ihm vielfach zu Dank verpflichtet war, ſchon früh mit ihm bekannt wurde, ihm im Jahre 1593 „Venus und Adonis« ſowie ein Jahr ſpäter »Lukrezia« widmete, mit einer Ueberſchwänglichkeit des Ausdrucks, die ſehr an die Freund⸗ ſchaftsſonette erinnert, theilweiſe ſogar wörtlich mit einigen derſelben übereinſtimmt“), endlich daß Graf Southamton ein bekannter Kunſtenthuſiaſt, ein großer Verehrer Shakeſpeare's und der fleißigſte Beſucher ſeines Theaters war. Die Huldi⸗ gungen, welche unſer Dichter dem für alles Schöne begeiſterten und ob ſeiner Freigebigkeit vielgerühmten Grafen brachte, ſtehen nicht vereinzelt da; faſt alle hervorragenden Poeten jener Zeit verherrlichten ihn in ähnlicher Weiſe. Wer ſich näher darüber unterrichten will, leſe Nathan Drake's Leben des Grafen von

) Solche Winke ſind mir geworden und ich habe ſie gewiſſen⸗ haft benutzt, wie man aus der theilweiſe neuveränderten Reihenfolge der Sonette erſehen wird. (Zuſatz zur neuen Auflage.)

) Vergl. die Widmung der Lukrezia mit den Sonetten 38, 39, 76, 78, 79 und 105 der engliſchen Ausgabe.

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Southampton“), den Chapman (ein Zeitgenoſſe Shakeſpeare's, bekannt als Dramatiker und berühmt als Veberſetzer Homer's) den Auserwählten aller edelſten Geiſter Englands nennt, ein Lob, welches von Naſh, Wither, Sir John Beaumont und Jarvis Markham wo möglich noch überboten wird.

Dazu kommt, daß Graf Southampton (geb. 1573) um neun Jahre jünger als Shakeſpeare war, daß alſo der väter⸗ liche Ton, welchen der ſchon zum Manne gereifte Dichter, deſſen mächtige Gedankenarbeit wohl frühe Falten auf ſeine Stirne geprägt, gegen den noch in erſter Jugendfriſche blühenden Freund anſchlägt, ganz zu dem Uebrigen paßt. Trotzdem ſprechen eine Menge ſchwer in's Gewicht fallender Gründe gegen die Annahme, daß die Sonette ſich auf Graf Sou⸗ thampton beziehen. Ich verweiſe hier wieder auf den vortreff⸗ lichen Aufſatz von Delius im Jahrbuch der Deutſchen Shake⸗ ſpeare⸗Geſellſchaft (Berlin bei Reimer, 1865). Ferner ſtimmt nicht damit überein: die ſeltſame Widmung der Sonette, die folgendermaßen lautet: Dem einzigen Erzeuger“) dieſer Sonette, Herrn W. H., wünſcht alles Glück und jene von unſerem ewiglebenden Dichter verheißene Unſterblichkeit der wohlmeinende Herausgeber 1.8

Daß dieſe Widmung nicht von Shakeſpeare ſelbſt herrührt, würde jedem unbefangenen Leſer einleuchten, ſelbſt wenn die Initialen des Herausgebers T. T(horpe) nicht darunter

) In Shakespeare and his Times ete. etc. By Nathan Drake. (T. II. p. 119) London, 1817.

**) begetter kann hier auch überſetzt werden: Verſchaffer oder Veranlaſſer.

) Engliſch: To the only begetter of these ensuing Sonnets Mr. W. H. all happiness, and that eternity promised by our ever-living poet, wisheth the well wishing adventurer in setting forth. T. T.

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ſtänden. Alle bewährten Shakeſpeare-Gelehrten ſtimmen in der Anſicht überein, daß dieſe Ausgabe eine ohne Vorwiſſen und Zuthun des Dichters veranſtaltete Buchhändlerſpekulation des Herausgebers (Thomas Thorpe) ſei, der deshalb guten Grund hatte, ſeinen vollen Namen zu verſchweigen. Daß ich dieſer Anſicht, welche Alexander Dyce“), die größte jetzt lebende Autorität, als etwas ſich von ſelbſt Verſtehendes annimmt, mich anſchließe, habe ich ſchon wiederholt hervorgehoben. Wer iſt nun aber der räthſelhafte W. H., dem der Herausgeber die Sonette widmet und den er zugleich den einzigen Erzeuger derſelben nennt?

Ueber die Beantwortung dieſer Frage haben ſich ſchon viele Leute den Kopf zerbrochen und die wunderlichſten Meinun⸗ gen und Schlüſſe ſind dabei zum Vorſchein gekommen. Ich will hier nur eine kleine Blumenleſe davon anführen.

Einige haben mit Farmer in W. H. einen Neffen Shake⸗ ſpeare's, William Harte vermuthet; allein dieſer Neffe war zur Zeit der Entſtehung des größten Theils der Sonette noch gar nicht auf der Welt, da er erſt im Jahre 1600 geboren wurde.

Andere ſchloſſen ſich der Meinung Tyrwhitt's an, der aus einer Verszeile im 20. Sonett (des engliſchen Textes)

»A man in hew all Hews in his controwling« folgerte, die geheimnißvolle Perſon müßte ein Mr. W. Hughes ſein. Dieſe Folgerung gränzt an Blödſinn.

Boaden wandte viel Scharfſinn auf, um zu beweiſen, daß mit W. H. William Herbert der Earl von Pembroke gemeint ſei, der nachweislich ein Gönner Shakeſpeare's war, und dem auch die erſte Geſammt-Ausgabe der Dramen des Dichters (Fol. A.) gewidmet wurde.

Brown in ſeinem ſchon früher erwähnten Werke ſchließt

*) In ſeiner ſchon erwähnten neueſten Prachtausgabe Shake⸗ ſpeares T. I. XCII.

WW

ſich der Hypotheſe Boaden's an, während A. Dice es höchſt unwahrſcheinlich findet, daß ein Buchhändler damals gewagt haben ſollte, einen ſo hochgeſtellten Mann wie den Earl von Pembroke einfach als Mr. W. H. zu bezeichnen.

Derſelbe Grund läßt ſich gegen Henry Wriothesly, Grafen Southampton anführen, an den Andere die Widmung gerichtet glaubten. Hier hätte alſo eine Umſtellung der Initialen ſtatt⸗ gefunden, was natürlich den Gläubigen keine Schwierigkeiten macht, aber die Zweifler zu der Frage berechtigt: »Wozu dieſe Umſtellung?« Denn entweder ſollte der Name des Ge— feierten unbekannt bleiben oder nicht. In jenem Falle war es ganz überflüſſig, ihn auch nur anzudeuten, und in dieſem Falle war es eine Thorheit, das X vor das U zu ftellen.

Beſtand wirklich ein freundſchaftliches Verhältniß zwiſchen Shakeſpeare und Southampton, ſo konnte das der Welt kein Geheimniß bleiben. Bezogen ſich die Sonette auf dieſes Ver- hältniß, ſo iſt es ebenfalls höchſt unwahrſcheinlich, daß die Zeitgenoſſen Shakeſpeare's dies nicht hätten merken ſollen, da, wie wir geſehen haben, die Sonette ſchon lange vor ihrer Veröffentlichung in gewiſſen Kreiſen bekannt waren. Wozu denn noch die Geheimnißkrämerei?

Kurz, man mag die Sache nehmen wie man will, die Widmung läßt ſich nicht auf Southampton beziehen, denn ſelbſt wenn man das W. H. gelten ließe, ſo könnte man doch das Mr. davor in keiner Weiſe gelten laſſen.

Aber geſetzt auch den Fall, man könnte das Mr. vor W. H. gelten laſſen und ſogar genau die Perſon beſtimmen, auf die es paßte, ſo enthielte die Widmung immer noch einen unlösbaren Widerſpruch, weil viele der Sonette an eine Dame gerichtet ſind und die Widmung ausſchließlich auf einen Mann deutet.

Chalmers hat deshalb nachzuweiſen geſucht, daß eine der

F. Bodenſtedt. VIII. 15

26

Bedeutungen des Zeitworts beget“) auch bring forth (zum Vorſchein bringen, verſchaffen, mittheilen) ſei, und daß man demnach unter dem Worte begetter den Mann zu verſtehen habe, welchem der Verleger die Mittheilung des Manuſkripts verdankte. Dieſe Anſicht hat viel für ſich. Allein da (wie Alexander Dyce bemerkt) dem kritiſchen Blödſinn keine Grenzen zu ſtecken ſind, ſo hat Chalmers auch den Satz aufgeſtellt, daß unter dem geheimnißvollen Freunde Shakeſpeare's Niemand anders zu verſtehen ſei, als die jungfräuliche Königin Eliſabeth, welche in den erſten 26 Sonetten ermahnt werde, ſich zu ver⸗ heirathen und zu vermehren. Dieſe Hypotheſe gründet ſich wahrſcheinlich darauf, daß die Königin Eliſabeth weder W. noch H. in den Anfangsbuchſtaben ihres Namens hat.

Allen ſcharfſinnigen Hypotheſen wird aber die Krone auf⸗ geſetzt durch ein Buch, welches ſich als den einzigen und unfehlbaren Schlüſſel zum Verſtändniß der Shakeſpeare'ſchen Sonette ankündigt. Der Verfaſſer beginnt fein Werk“) mit folgenden Worten:

»Einen Schlüſſel zu Shakeſpeare's Sonetten, ſo 5 ich dieſe Arbeit zu benennen und bin mir der ganzen Tragweite dieſes Titels bewußt. Mit der Anmaßung trete ich in die Oeffentlichkeit, das Verſtändniß eines Werkes des großen

*) Er ſagt, beget wird von Skinner abgeleitet vom Angelſäch⸗ ſiſchen begettan. Johnſon nimmt dieſe Ableitung an, ſo daß begetter in der affektirten Sprache des Buchhändlers Thorpe (Fähn⸗ drichs Piſtol u. dgl.) ſoviel als obtainer (Verſchaffer) hieß ꝛc. ꝛc. Boswell ſchließt ſich dieſer Auffaſſung an, indem er in einer Note zu der Widmung bemerkt: The begetter is merely the person who gets or procures a thing, with the common prefix be added to it. So, in Decker's Satiromastix: »I have some cousin-germans at court shall beget you the reversion of the master of the king's revels.«

) Schlüffel zu Shakeſpeares Sonetten von D. Barnſtorff. Bremen, 1861.

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Dichters zu erſchließen, welches bisher ſämmtlichen Auslegern ein unauflösliches Räthſel war. Ein unauflösliches Räthſel, ſage ich; denn Alles und Jedes, was ſelbſt durch bedeutende Männer über daſſelbe geſagt iſt, verfliegt es nicht wie Spreu vor dem Winde bei einem einzigen feſten Blick, den man in irgend eine Einzelheit dieſer Dichtung thut? Nichts als bloße Vertuſchung des Unverſtandenen, als bloße Verblümung des Unnatürlichen, ja Schmutzigen, was ihre eigene Auffaſſung ſie zu ſehen zwang, konnten Erklärer geben, die von der reinen Gedankenwelt, in welcher der Dichter ſich hier bewegt, keine Ahnung hatten. «

Der Schlüſſel des Herrn Barnſtorff führt uns in dieſe reine Gedankenwelt, von welcher die Weiſen und Schriftge— lehrten ſeit Shakeſpeare's Tagen bis auf den heutigen Tag keine Ahnung gehabt haben. Wer aber den »Schlüffele nicht zur Hand nimmt »wer die geiſtige Arbeit ſcheut, ſich eine Zeitlang mit dieſem Werke des größten, des begabteſten viel⸗ leicht aller Menſchen anhaltend zu beſchäftigen, wo dieſer aller Banden des Herkömmlichen ſich entſchlagend, in der reinſten Abſtraktion ſich ergeht, und ſeine Anſchauungen in einem Spiegel reflektirt, deſſen wunderbare Reinheit an das Uebermenſchliche grenzt für den (das erklärt Herr Barnſtorff rund heraus) werden die Sonette vor wie nach (warum nicht nach wie vor?) die ſchwächlichen Ergüſſe einer krankhaften Seelen- und Körperverſtimmung bleiben.«

Das Räthſel dreier Jahrhunderte wird dann folgender⸗ maßen gelöſt:

»Ganz einfach giebt uns Shakeſpeare in ſeinen Sonetten Seelenanſchauungen; er ſchildert ſeine eigene, letzte, geiſtige Individualität zuerſt unter der Form von Zu rufen feines ſterblichen an ſeinen unſterblichen Menſchen, ſeines äußeren, der Zeit, der Umgebung angehörenden Weſens an ſein höheres, der Menſchheit, der Ewigkeit gehörendes Ich;

15°

in Me

feines, To zu jagen, bürgerlichen Menſchen an feinen Genius, an feine Kunſt (Son. 1 126). Sodann als Betrachtungen über das Drama, welches eben das irdiſche Weib iſt, in deren Schoß ſich der Same ſeines Geiſtes, ſeines Genius (his love) befruchtend ergoß (127 152). Von dieſem Geſichtspunkt aus bleibt nichts dunkel, nichts zweifelhaft⸗ u. ſ. w. | 190 Das Buch des Herrn Barnſtorff erſchien mir von vorn⸗ herein ſo albern, daß ich es mit Stillſchweigen übergangen haben würde, wenn nicht einige unſerer kritiſchen Stimmführer dafür Partei genommen hätten mit einer Begeiſterung, die dem Barnſtorffſchen Unſinn ſehr nahe kam. Die Abfertigung, welche ich dieſem deshalb in der erſten Auflage meiner Ueber⸗ ſetzung der Sonette zu Theil werden ließ, hat inzwiſchen die gute Wirkung gehabt, daß jetzt Niemand mehr ernſthaft von dem »Schlüſſel« zu reden wagt. Das Buch iſt als abgethan zu betrachten und ich halt' es daher für überflüſſig, meine frühere Widerlegung deſſelben noch einmal abdrucken zu laſſen. Ich freue mich, ſagen zu können, daß eine unbefangenere Würdigung des Verhältniſſes Shakeſpeare's zu ſeinen Sonetten auch in England ſich Bahn zu brechen beginnt. Wurde ſchon das, was ich in der erſten Auflage dieſes Buchs in ähnlichem Sinne geäußert, von der engliſchen Kritik, namentlich vom Athenaeum, rühmend hervorgehoben, den moraliſchen Splitter- richtern zum Aergerniß ſo hat eine ſpäter erſchienene beſon⸗ dere Abhandlung über die Sonette (The Sonnets of William Shakspere: a critical disquisition suggested by a recent discovery. By Bolton Corney, M. R. S. L.) ſich ausdrücklich das Ziel geſetzt, den Charakter des größten Dichters in Schutz zu nehmen gegen die unwürdigen Verdächti⸗ gungen, zu welchen die falſche Auffaſſung ſeiner Sonette An⸗ laß gegeben. Er verfährt dabei in ähnlicher Weiſe wie Profeſſor Delius, indem er die Sonette, ihrer großen Mehrzahl nach,

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nicht als autobiographiſche Aufzeichnungen, ſondern als rn poetiſche Ergüſſe betrachtet.

Seine Abhandlung nimmt zum Ausgangspunkt einen Brief, welchen Herr Philarete ine (Conservateur de la Bibliotheque Mazarine) i. J. 1862 an das Londoner Athenaeum geſchrieben und worin 5 die erſte ſtichhaltige Er⸗ klärung der geheimnißvollen Widmung zu geben behauptet. Seine Beobachtung des Mangels an Vebereinſtimmung in den verſchiedenen ſpäteren Ausgaben der Sonette veranlaßte ihn, ſich ein fac-simile des Drucks der Inſchrift von 1609 zu verſchaffen, von welchem das Britiſh⸗Muſeum noch ein Exemplar beſitzt. Die genaue Unterſuchung dieſes alten Drucks führte zu einer neuen Interpretation, deren Reſultate kurzgefaßt folgende ſind:

» 1. Daß wir hier keine eigentliche Widmung, ſondern eine Art monumentaler Inſchrift vor uns haben.

2. Daß dieſe Inſchrift keinen zuſammenhängenden Sinn hat, ſondern in zwei unterſchiedene Sätze zerfällt.

3. Daß der erſte dieſer Sätze die wirkliche Inſchrift enthält, welche von und nicht an W. H. adreſſirt iſt.

4. Daß die Perſon, an welche die Inſchrift gerichtet iſt, aus verſchiedenen Gründen nicht direkt genannt wurde, ſondern nur umſchrieben oder angedeutet (by what the learned call an Autonomasid) als einziger Erzeuger oder Veranlaſſer (only begetter) der Sonette.

5. Daß der zweite Satz nur ein Anhängſel der wirklichen Juſchrift iſt.

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6. Daß der Verleger in dieſem Satze ſeine eigenen guten Wünſche ausdrückt: nicht für den unſterblichen Ruhm des Veranlaſſers (begetter) der Sonette, was eine Imper⸗ tinenz geweſen ſein würde, ſondern für den Erfolg des Unternehmens, in welchem er, der Abenteurer, ſein Kapital eingeſchifft hat.

Die urſprüngliche Inſchrift nimmt ſich folgendermaßen aus:

TO. THE. ONLIE. BEGETTER. OF. THESE. IN SVING. SONNETS . Mr. W. H. ALL. HAPPINESSE AND. THAT. ETERNITIE. PROMISED.

BIS OVR.EVER-LIVING.POET. WISHETH.

THE. WELL - WISHING. ADVENTVRER.IN. SETTING. FORTH.

1

Nach der Annahme des Herrn Ph. Chasles endet die eigentliche Inſchrift mit dem Worte wisheth und das Folgende wäre dann ein Zuſatz des ſpekulirenden Buchhändlers.

Dieſe Annahme für Gewißheit nehmend, folgert Herr Bolton Corney daraus, daß die eigentliche Inſchrift von William Herbert, ſpäterem Earl von Pembroke, herrühre und der ſpätere Zuſatz von Mr. Thorpe. Das Wort begetter nimmt er nicht in dem Sinne als ob die Perſon damit ge⸗ meint ſei, welche dem Buchhändler das Manuſcript verſchafft habe, ſondern er verſteht darunter den Veranlaſſer oder Er⸗ zeuger der Sonette, als welchen er den Earl von Southampton annimmt.

I

231

Um ſeine Auffaſſung des zweifelhaften Wortes zu recht— fertigen, führt er zwei Beiſpiele berühmter Sonettiſten aus Shakeſpeares Zeit an. Michael Drayton ſchrieb im Jahre 1596 an Lucy, Gräfin von Bedford:

Vouchsafe to grace what here to light is brought, Begot by thy sweet hand, born of my thought.

Und Samuel Daniel ſchrieb i. J. 1614 an Anna von Dänemark:

Here, what your sacred influence begat,

(Most lov'd and most respected Majesty)

With humble heart and hand I conseerate

Unto the glory of your memory.

Um nun weiter feine Annahme zu begründen, daß mit dem begetter kein Anderer als der Earl von Southampton gemeint fein könne, kommt Herr Bolton Corney auf die beiden Bücher zurück, welche Shakeſpeare dem Earl gewidmet hat.

Das erſte dieſer Bücher (Venus und Adonis, 1593) nannte der Dichter bekanntlich in der Widmung »den erſten Erben ſeiner Muſe« (the first heir of my invention) und in der Widmung des zweiten Buches (Lucrece, 1594) ſagt er: »Ihnen gehört was ich geſchaffen habe, Ihnen auch was ich noch ſchaffen werden (What I have done is yours, what I have to do is yours).

Hieraus ſchließt Herr Bolton Corney, man müſſe den Dichter entweder des Undanks zeihen, oder annehmen, daß er unmittelbar nach Lucrezia die Sonette geſchrieben habe, um ſein Verſprechen zu erfüllen. Später hatte er andere Sorgen und andere Beſchäftigungen.

Dies Alles zugegeben, bleibt die Beantwortung der Frage übrig: Wie kommt es, daß die Sonette, welche nach Meres' Zeugniſſe ſchon im Jahre 1598 unter des Dichters Freunden allgemein bekannt waren, erſt durch William Herbert in die Hände ſeines Bruders, des Grafen Southampton

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gelangten, für den und auf deſſen Veranlaſſung ſie doch eigentlich geſchrieben ſein ſollen? Und wie kommt William Herbert dazu, eine ſo wunderliche Inſchrift darauf zu ſetzen?

»Nehmen wir an ſagt Herr Bolton Corney William Herbert habe von den Sonetten eine Abſchrift nehmen laſſen und habe dieſe, mit einer Inſchrift von ſeiner eigenen Hand verſehen, dem Grafen Southampton als ein Geſchenk beſtimmt, welches ſpäter in die Hände des Verlegers gelangte, auf eine Art und Weiſe, welche eine gewiſſe Heimlichhaltung (concealment) bedingte. «

Es wird dann weiter erklärt, daß ſolche Geſchenke zu jener Zeit üblich waren, als die Kunſt des Schönſchreibens noch in größerem Anſehn ſtand, und daß William Herbert, als ein ſtudirter Mann, die klaſſiſche Form monumentaler Inſchrift, mit einem hinter jedem Worte, nachgeahmt habe.

Danach wäre alſo die eigentliche Jnſchrift im Da. hange ſo zu leſen:

To the only begetter of these insuing Sonnets, Mr. W. H. all happinesse and that eternity promised by our ever-living poet wisheth. Das Folgende: The well-wishing adventurer in setting lor. 3 käme dann auf Rechnung des Buchhändlers Thomas ag

Ich geſtehe offen, daß ich die Begeifterung des Herrn Bolton Corney für die Entdeckung des Herrn Philarete Chasles nicht theilen kann, und die Folgerungen welche er ſelbſt daraus zieht, nicht für ſtichhaltig erachte.

Daß ein leichtfertiger Verleger, wie Thomas Thorpe, der ohne Erlaubniß des Verfaſſers ein auf krummen Wegen erlangtes Werk durch den Druck veröffentlicht, eine geheimniß⸗ voll⸗konfuſe Widmung oder Inſchrift davorſetzt, um die Leſer irre zu führen und ſich einen Schein des Rechtes zu geben,

u MW

hat nichts Unwahrſcheinliches, zumal außerdem Beweiſe vor⸗ liegen, daß Thomas Thorpe ein durchtriebener Schelm war. Daß hingegen William, Lord Herbert, die Inſchrift, oder den erſten Satz davon, ſelbſt geſchrieben haben ſolle, will mir durchaus nicht einleuchten. Angenommen ſelbſt, er hätte, vielleicht durch die Kunſt eines von ihm protegirten Kalli⸗ graphen dazu veranlaßt, die Sonette abſchreiben laſſen um ſeinem Bruder ein Geſchenk damit zu machen: wie käme er zu der wunderlichen Inſchrift? Es widerſpricht allen geſunden Vorausſetzungen, daß ein Bruder dem andern wenn beide ſo hochgebildete Männer ſind, wie die Grafen Pembroke und Southampton es waren in dieſer Weiſe ein Geſchenk widme. Wie käme William, Lord Herbert, der ſeit 1601, nach dem Tode ſeines Vaters, den Namen Earl of Pembroke führte, dazu, ſich ſeinem Bruder gegenüber Mr. W. H. zu nennen? Wozu ſollte überhaupt jede Geheimnißkrämerei in einer intimen, nicht für den Druck beſtimmten Widmung an einen Bruder dienen? Warum ſchrieb Lord Herbert nicht ſeinen ganzen Namen? Und wenn er, der Kürze wegen, blos die Initialen ſetzen wollte, was ſoll das Mr. davor? Ich vermuthe, daß Lord Herbert, wenn die Inſchrift von ihm herrührte, das Mr. ausgelaſſen und dafür ſtatt promised geſchrieben haben würde: promised him, um ſich deutlich und richtig auszu- drücken. Endlich iſt anzunehmen, daß Shakeſpeare, wenn er die Sonette dem Grafen Southampton gewidmet hätte, irgend eine Widmung, ähnlich wie bei Venus und Adonis von Lukrezia, davor geſetzt haben würde und daß ſie in innerlich zuſammenhängender Reihenfolge zur Abſchrift gelangt wären, wonach denn die Veröffentlichung, wenn auch durch Raubdruck erfolgt, in Bezug auf das Weſentliche nichts zu wünſchen übrig ließe. Das iſt aber bekanntlich nicht der Fall.

Aus allen dieſen Gründen kann ich mich mit dem Aus— gangspunkte der Corney'ſchen Schrift nicht wohl einverſtanden

WM

erklären. Um ſo mehr freut es mich, ihren weiteren Aus⸗ führungen, in welchen der Verfaſſer mit einem großen Auf⸗ wand von Scharfſinn und Beleſenheit gegen die falſchen Deutungen zu Felde zieht, zu denen die autobiographiſche Auffaſſung der Sonette Anlaß gegeben hat, unbedingt beiſtimmen zu können. In der Erörterung dieſer wichtigen Frage kommt der Verfaſſer ſelbſtſtändig ganz zu demſelben Reſultat, welches ſich aus der ſchon mehrfach erwähnten vortrefflichen Abhandlung von Delius im »Jahrbuch der deutſchen Shakeſpeare⸗Geſell⸗

ſchaft« ergiebt.

E e r

Vergleichende Gebersicht

der

deutſchen und engliſchen Reihenfolge.

Deutſche Reihenfolge:

Die u Rhetorik Deiner Augen. dem »Passionate Pilgrim«.) Wie oft, wenn Deine zarten Finger fpringen . Wenn ſich Muſik und Poeſie verbinden. (Aus dem »Passionate Pilgrim.) Laß Andern ihre Wünſche! Deinen Willen . Zürnt Deine Seel', ich komme Dir zu us Wie eine Hausfrau ſorglich voller Haft . Wie auf der Bühn' ein ungeübter Held . ss iſt beſſer ſchlecht zu ſein als ſchlecht zu chi §vlßns Khan. Kai Cupido, da einſt Schlaf ihn überkam Einſt ſchlief der kleine Liebesgott; zur Seiten

(Aus

Was machſt Du, blinde, närr'ſche Lieb’ aus mir

. Lieb’ iſt zu jung, von Schuld und Neu’ zu wiſſen . Ihr Mund, dies Wunderwerk der Liebe... . . Du fagft, Grauſame, daß ich Dich nicht liebe . O welche Macht kann Dir die Allmacht leihn .

In Wahrheit lieb' ich Dich nicht mit den Augen Ich fehl aus Liebe, tugendhaft biſt hau Wie Brot dem Leben, biſt Du den Gedanken. Mein Lieben gleicht dem Fieber, es begehrt .

Engliſche Reihenfolge:

CXXVIII.

. CXXXV.

SEXAÄXVI. » CXLHI. XXIII.

CXXI CLIII. CLIV.

. Du weißt, Dich liebend trog ich mein Gewiſſen CLIL.

> XXVII.

CX LVI.

236

Deutfche Reihenfolge:

Weh mir, wie meine Augen durch mein Lieben 2. Dein Auge gleicht in Nich

. Schwarz hielt man nicht für ſchön im Alterthume . Ich liebe Deine Augen, die bedauernd . So launenhaft und herriſch iſt Dein Geiſt. .. Schwört meine Liebe, fie hält feſt am Wahren

ts dem Sonnenlicht.

Ich ſehe Aug’ und Herz ſich wild entzwein . Nun find verbündet Herz und Aug’ in mir Mein Auge ſitzt, ſeit wir geſchieden ſind .. Ob nicht vielleicht mein Geiſt, gekrönt mit Dir

. Dein Sklav bin ich und darum ſtets bereit. Verhüt' es Gott, der Dir zum Dienſt mich

wählte

Bi: EEE 7 I N

Wie ward zum ſchaurig öden Winter mir Ich war getrennt von Dir im Frühling auch So ſchalt ich früher Veilchen Uebermut h. . Erneu', o ſüße Liebe, Deine Kraft . Die tadeln Deiner Jugend Uebermuth .. Wie lieblich und wie ſüß machſt Du die Schande .Wenn Dir die Laune kommt mich zu verſchmähn

Sag', Du flohſt mich um einen dummen Streich

So haß' mich, wenn Du willſt; wenn jemals, nun Verlang' nicht, daß ich ſelb Sei klug in Deiner Grauſamkeit, daß nicht.. CXI. Geübte Wolluſt ift des Geiſts Verſchwendung. CXXIX Verwünſcht das Herz, das mir ſchuf ſolche Pein Ja, ich geſtand's: mein Freund iſt Dein

mein Mißgeſchick

r / RT

und mich

. Mein Herz, in zweier Geiſter Liebesbann . Schon manchen Morgen ſah ich ſtolz, wie dieſen Warum verhießeſt Du ſolch' ſchönen Tag

Gräm' Dich nicht mehr um das was Du gethan

. Nimm, die ich liebte, nimm fie Alle hin

Die artigen Sünden, denen Deine Tugend.

Daß Du fie Haft, iſt nicht mein ganzer Schmerz

Herr meiner Liebe, der zur Treue OB h

. Du haſt ein Fraungeſicht, das die Natur Mein Aug' als Maler hat Dein Bild verklärt

Wenn ich, von Gott und Menſchen überſehn . Wenn ich ſo ſinnend heimlich und allein

Die mir todt ſchienen, all' die Herzen wohnen.

Laß mich's geſtehn: das Schickſal trennt uns hier

. Den Tod mir wünſch' ich wenn ich anſehn muß 2. Wie könnt' es meiner Muſ' an Stoff je fehlen

Englifche

Reihenfolge: CXLVIII. CXXX. CXXVII. CXXXII. CXXXI. CXXõXVIII. XLVI. XLVII. CXIII. CXIV. LVII.

XCVI. XCV. LXXXVII.

LXVI. XXXVIII.

237

Deutſche Reihenfolge:

63.

O wie kann würdig Deinen Werth ich fingen .

64. Wie ſucht' ich ſorgſam jede Kleinigkeit... ..

. So bin ich wie der reiche Mann, der ſtill. . Wie mühſam ſchlepp' ich mich von Ort zu Ort I.

So kann ich liebreich mein ſchwerfällig Thier Von Müh'n erſchöpft ſuch ich mein Lager auf Wie könnt' ich wieder glücklich jemals werden Soll durch dein Bild, in Nächten voller Kummer Am beſten ſeh' ich, ſchließt mein Auge ſich .

. Wär’ dieſes Leibs ſchwerfälliger Stoff Gedanke

Die beiden andern, Luft und läuternd Feuer Aus welchem Stoffe ſchuf Dich die Natur..

. O wie verzag' ich, wenn ich von Dir ſinge

Du biſt mit meiner Muſe nicht vermählt

Nie fand ich farblos Dich und darum nie . Stumm hält ſich meine Muſe und befcheiden .

War es das ſtolze Segel feiner Dichtung.. Lebwohl! Du ſtehſt im Preis zu hoch für mich

. Was iſt jo arm an Neuheit mein Gedicht . Oft rief ich Dich als meine Muſe an So lang' ich Dich noch anrief ganz allein

Wie ſich ein altersſchwacher Vater freut

. Für jene Zeit wenn je fie follte kommen . Den äußern Gaben die wir an Dir ſehnn Daß r Dich ſchmäht, beweiſt nichts gegen

r e

Nicht länger traur' um mich als dumpf der Ton

. Damit man einſt Dir nicht mit Fragen droht

Die Zeit des Jahres kannſt Du an mir fehn .

Doch ſei zufrieden: wenn mich das Gericht

Wenn einſt, nachdem mich längſt der Tod ereilt

. Vom ſchönſten Weſen wünſchen wir Vermehrung I . Einft wird, eh' Du gelebt ein halb Jahrhundert . Schau in den Spiegel und ſag' Deinen Zügen

Fruchtloſe Lieblichkeit, warum verſchwenden

Die Zeit, die Deiner Schönheit Fäden ſpann . Drum laß, eh' Winter Deinen Sommer ſcheucht Sieh, wenn im Oft glutvoll das Himmelslicht Du, den zu hören ſelbſt Muſik, warum . Iſt es die Furcht, daß eine Wittwe weine

Engliſche Reihenſolge:

XXXIX.

238

Deutſche Reihenſolge:

106.

107. 108. 109.

. Bedenk' ich, daß nur Augenblicke währt Doch warum kehrſt Du ſelbſt nicht ſtärkre Wehr Wer glaubt wohl künftig meinem Lied, erfüllt . Soll ich dich einem Sommertag 8 251 . Stumpf', gierige Zeit, des Löwen

Mein Wohl gleicht nicht meine Muſe jenem Lied. O du, mein holder Freund, der in der Welt . . O wolle nicht mich falſch von Herzen nennen. . Ach, wohl iſt's wahr: ich ſchwärmte hier und dort . O zürn' der Glückgöttin! denn fie allein Dein liebend Mitgefühl ſchließt bald die Wunde Wer ſagt das Meiſte? Was kann mehr entfalten . Seh' ich des Alterthums erhabne 9 . Wenn Erz, Stein, Erde, ſelbſt des Weltmeers

lau' es

ähne lter glaub' ich meinem Spiegel nicht

racht

Flut

wien BEA, eee eee

Nicht eigne Furcht, noch das prophet'ſche Ahnen .Was kann das Hirn durch Dinte offenbaren . . Wo biſt Du, Muſe, die fo lang' vergeſſen . Wie büßeſt, träge Muſe, Du Dein Schweigen Verklag' mich, daß ich nur mit Dürftigfeit . . . Wie man den Gaumen reizt durch ſcharfe

Me ai Bi eee ae Wie o

Miſchung

2. Wie viel Syrenenthränen trank ich ſchn 3. Jetzt freut mich, daß einſt ſpärlich Deine Huld Ach, wie. fo arm doch meine Muſe iſt . Der Eigenliebe Sünde herrſcht in Augen Du wirſt der Zeit Verwüſtung nicht entfliehn . . Für mich, Geliebter, wirſt Du niemals alt Nennt meine Lieb' nicht Götzendienſt, vergleicht .Wenn ich in Chroniken der alten Zeit Die Tafeln trag' ich, die Du mir gegeben Falſch war ich, als ich ſchrieb in frührer Zeit Nichts kann den Bund zwei treuer Herzen hindern Nein, Zeit, nie zeig' ich Dir des Wechſels Launen . Wär’ meine Lieb’ ein Kind des Standes blos Soll über Dir ein Baldachin ſich breiten

———

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veel.

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239

Deutſche Engliſche Reihenfolge: Aalhenfeige -

146. . Doch thu' Dein Aergſtes nur, entflieh! Es bliebe XCH. Mein Lieben, ſcheinbar ſchwächer, iſt vermehrt CI.

Stolz find die Andern auf Geburt, auf Kunſt XCI.

Wenn's gar nichts Neues giebt, ſchon Alles war LIX. Wie Wellen, die zum ſteinigen Ufer fluten .. LX.

. O wieviel mehr die Schönheit uns erfreut... LIV. Kein Marmorbild, kein fürſtlich Monument. . LV. Wer Macht zu ſchaden hat und es nicht thut. XCIV.

O arme Seele! Kern der ſündigen Erde.. . CXL VI.

Wie 8 die Schönheit flieht, zeigt Dir Dein

—,! LXXVII.

Laß, die 3 unter günſt'gem Stern.. XXV

8 3 3

Vergleichende Aebersicht

der

engliſchen und deutſchen Reihenfolge.

Engliſche Reihenfolge:

Deutfche Reihenfolge:

Vom ſchönſten Weſen wünſchen wir Vermehrung Einſt wird, eh' Du gelebt ein halb Jahrhundert Schau in den Spiegel und ſag' Deinen Zügen Fruchtloſe Lieblichkeit, warum verſchwenden .. Die Zeit, die Deiner Schönheit Fäden ſpann . Drum laß, eh' Winter Deinen Sommer ſcheucht Sieh, wenn im Oſt glutvoll das Himmelslicht Du, den zu hören ſelbſt Muſik, warum. ft es die Furcht, daß eine Wittwe weine .. O Schmach! Geſteh', Du kannſt nicht Andre BE RER AH ss So ſchnell Du welkſt, in einem Sproß erblühſt Zähl' ich die Glocke, die die Stunden mißt .. O, daß Du ganz Dein eigen wärſt! Doch biſt Nicht von den Sternen hol' ich meine Kunde .

VCC ͤ D ̃ , è˙—ũCöß E93

Du haft ein Fraungeſicht, das die Natur .

Wohl gleicht nicht meine Muſe jenem Lied... Mein Alter glaub' ich meinem Spiegel nicht

Wie auf der Bühn' ein ungeübter Held. .. Mein Aug' als Maler hat Dein Bild verklärt Laß, die geboren unter günſt'gem Stern Herr meiner Liebe, der zur Treue Du..... Von Müh'n erſchöpft ſuch ich mein Lager auf. Wie könnt' ich wieder glücklich jemals werden. Wenn ich, von Gott und Menſchen überſehn .

F. Bodenſtedt. VIII. 16

Engliſche

Reihenfolge:

XXX. XXXI. XXXII. XXXIII.

LXXIII. LXXIV.

242

nahen er Wenn ich fo finnend heimlich und allein .... 58. Die mir todt ſchienen, all' die Herzen wohnen 59. Wenn einſt, nachdem mich längſt der Tod ereilt 96. Schon manchen Morgen ſah ich, ſtolz wie dieſen 48. Warum verhießeſt Du ſolch' ſchönen Tag... 49. Gräm' Dich nicht mehr um das was Du gethan 50. Laß mich's geſtehn: das Schickſal trennt uns hier 60. Wie ſich ein altersſchwacher Vater freut.... 84. Wie könnt' es meiner Muſ' an Sur je fehlen 62. O wie kann würdig Deinen Werth ich ſingen . 63. Nimm, die ich liebte, nimm fie Alle hin .. 51. Die artigen Sünden, denen Deine Tugend .. 52. Daß Du ſie haſt, iſt nicht mein ganzer Schmerz 53. Am beſten ſeh' ich, ſchließt mein Auge ſich .. 71. Wär' dieſes Leibs ſchwerfälliger Stoff Gedanke 72. Die beiden andern, Luft und läuternd Feuer . 73. Ich ſehe Aug’ und Herz ſich wild entzwein .. 27. Nun find verbündet Herz und Aug in mir .. 28. Wie ſucht' ich ſorgſam jede Kleinigkeie - 64. Für jene Zeit wenn je fie ſollte kommen .. 85. Wie mühſam ſchlepp' ich mich von Ort zu Ort 66. So kann ich liebreich mein ſchwerfällig Thier . 67. So bin ich wie der reiche Mann, der ſtill. .. 65. Aus welchem Stoffe ſchuf Dich die Natur... 74. O wieviel mehr die Schönheit uns erfreut... 151. Kein Marmorbild, kein fürſtlich Monument .. 152. Erneu', o ſüße Liebe, Deine Kraft 36. Dein Sklav bin ich und darum ſtets bereit .. 31. Verhüt es Gott, der Dir zum Dienſt mich wählte 32. Wenn's gar nichts Neues giebt, ſchon Alles war 149. Wie Wellen, die zum ſteinigen Ufer fluten .. 150. Soll durch Dein Bild, in Nächten voller Kummer 70. Der Eigenliebe Sünde herrſcht in Augen .. 185. Du wirft der Zeit Verwüſtung nicht entfliehn . 136. Seh’ ich des Alterthums erhabne Pracht .... 124. Wenn Erz, Stein, Erde, ſelbſt des Weltmeers Flut sh ir 125. Den Tod mir wünſch ich wenn ich anſehn muß 61. Warum in ſchlechtem Umgang ſoll er leben .. 88. So iſt er uns ein Bild aus beſſern Tagen .. 89. Den äußern Gaben die wir an Dir ſehn .. 86. Daß man Dich ſchmäht, beweiſt nichts gegen Dich 87. Nicht länger traur' um mich als dumpf der Ton 92. Damit man einſt Dir nicht mit Fragen droht. 93. Die Zeit des Jahres kannſt Du an mir ſehn 2

Doch ſei zufrieden: wenn mich das Gericht

TREE TER

Englifche Reihenfolge: LXXV. LXXVI. LXXVII.

LXXVIII. LXXIX. LXXX. LXXXI. LXXXII. LXXXNIII. LXXXIV. LXXXV. LXXXVI. LXXXVII. LXXXVIII. - LXXXIX.

243

Deutſche Reihenfolge:

Wie Brot dem Leben, biſt Du den Gedanken. Was iſt ſo arm an Neuheit mein Gedicht.. Wie ſchnell die Schönheit flieht, zeigt Dir Dein %%% . Oft rief ich Dich als meine Muſe an So lang’ ich Dich noch anrief ganz allein. . O wie verzag' ich, wenn ich von Dir ſinge . Entweder ſchreib' ich noch die Grabſchrift Dir Du biſt mit meiner Muſe nicht vermählt .. Nie fand ich farblos Dich und darum nie. Wer ſagt das Meiſte? Was kann mehr entfalten Stumm hält ſich meine Muſe und beſcheiden . War es das ſtolze Segel feiner Dichtung .. Lebwohl! Du ſtehſt im Preis zu hoch für mich Wenn Dir die Laune kommt mich zu verſchmähn Sag', Du flohſt mich um einen dummen Streich So haſſ' mich, wenn Du willſt; wenn jemals, nun Stolz ſind die Andern auf Geburt, auf Kunſt Doch thu' Dein Aergſtes nur, entflieh! Es bliebe So werd' ich leben, glaubend, Du ſeiſt treu . Wer Macht zu ſchaden hat und es nicht thut. Wie lieblich und wie ſüß machſt Du die Schande Die tadeln Deiner Jugend Uebermuteth .. Wie ward zum ſchaurig öden Winter mir.. Ich war getrennt von Dir im Frühling aud) . So ſchalt ich früher Veilchen Uebermut h... Wo biſt Du, Muſe, die ſo lang' vergeſſen .

Wie büßeſt, träge Muſe, Du Dein Schweigen

Mein Lieben, ſcheinbar ſchwächer, iſt vermehrt Ach, wie fo arm doch meine Muſe iſt Für mich, Geliebter, wirft Du niemals alt .. Nennt meine Lieb' nicht Götzendienſt, vergleicht Wenn ich in Chroniken der alten Zeit Nicht eigne Furcht, noch das prophet'ſche Ahnen Was kann das Hirn durch Dinte offenbaren . O wolle nicht mich falſch von Herzen nennen . Ach, wohl iſt's wahr: ich ſchwärmte hier und dort O zürn' der Glücksgöttin! denn ſie allein Dein liebend Mitgefühl ſchließt bald die Wunde Mein Auge ſitzt, ſeit wir geſchieden ſind.... Ob nicht vielleicht mein Geiſt, gekrönt mit Dir Falſch war ich, als ich ſchrieb in frührer Zeit Nichts kann den Bund zwei treuer Herzen hindern Verklag' mich, daß ich nur mit Dürftigkeit .. Wie man den Gaumen reizt durch ſcharfe

19. 81.

V 1381

Englifche Reihenfolge : CXIX. CXX. CXXI.

CXXII. CXXIII. CXXIV. CXXV. CXXVI. CXXVII. CXXVIII. UXXIX. CXXX. CXXXI. CXXXII. CXXXIII. CXXXIV.

CXXXV. CXXXVI. CXXXVII. CXXXVIII. C XXXIX. CXL. CXLI. CXLII. CXLIII.

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Deu Reihenfolge a

Wie viel Syrenenthränen trank ich ſchon ... Jetzt freut mich, daß einſt ſpärlich Deine Huld s iſt beſſer ſchlecht zu fein als ſchlecht zu

ſch einen lf Die Tafeln trag' ich, die Du mir gegeben.

Nein, Zeit, nie zeig' ich Dir des Wechſels Launen

Wär' meine Lieb ein Kind des Standes blos . Soll über Dir ein Baldachin ſich breiten .. O Du, mein holder Freund, der in der Welt.

132. 133.

8. 140. 143. 144. 145. 118.

Schwarz hielt man nicht für ſchön im Altertfume 23

Wie oft, wenn Deine zarten Finger fpringen . Geübte Wolluſt iſt des Geiſts Verſchwendun Dein Auge gleicht in Nichts dem Sonnenlicht. So launenhaft und herriſch iſt Dein Geiſt ... Ich liebe Deine Augen, die bedauernd ... Verwünſcht das Herz, das mir ſchuf ſolche Pein Ja, ich geſtand's: mein Freund iſt Dein r ER Laß Andern ihre Wünſche! Deinen Willen .. ürnt Deine Seel’, ich komme Dir zu nag.

Was machſt Du, blinde, närr'ſche Lieb’ aus mir

Schwört meine Liebe, fie hält feſt am Wahren Verlang' nicht, daß ich ſelbſt mein Mißgeſchick Sei klug in Deiner Graufamfeit, daß nicht .. In Wahrheit lieb' ich Dich nicht mit den Augen Ich fehl’ aus Liebe, tugendhaft biſt Od. Wie eine Hausfrau ſorglich voller Haſt .. Mein Herz, in zweier Geiſter Liebesbann

Ihr Mund, dies Wunderwerk der Liebe. O arme Seele! Kern der fündigen Erde. ... Mein Lieben gleicht dem Fieber, es begehrt .. Weh mir, wie meine Augen durch mein Lieben Du ſagſt, Grauſame, daß ich Dich nicht liebe O welche Macht kann Dir die Allmacht leihn . Lieb' iſt zu jung, von Schuld und Reu' zu wiſſen

Du weiſt, Dich liebend trog ich mein Gewiſſen

Cupido, da einſt Schlaf ihn überkaamdn Einſt ſchlief der kleine Liebesgott; zur Seiten.

Die himmliſche Rhetorik Deiner Augen. (Aus

dem » Passionate Pilgrim«.) ....... Wenn fih Muſik und Poeſie verbinden. (Aus dem » Passionate Pilgrim «.

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Berlin, gedruckt in der Königlichen Geheimen Ober + Hoſbuchdruckerei (R v Decker)

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